Das ABC der Flüchtlingshilfe. Oder: Ein Kaffeekränzchen mit Folgen

KLOSTERNEUBURG (Printausgabe, 18. Jänner 2017). Die Landessprache zu beherrschen unterstützt nicht nur die Integration geflüchteter Menschen, sondern gibt ihnen auch ein wichtiges Stück Autonomie zurück. Die Klosterneuburgerin Stephanie Schmid hat Deutsch-Lernunterlagen speziell für die Bedürfnisse von Flüchtlingen erstellt. Die Materialien entstanden aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit in der Magdeburgkaserne heraus und füllen eine wichtige Lücke in der österreichischen Flüchtlingshilfe.
405.000 Kurshefte wurden innerhalb eines Jahres von der dafür eigens konzipierten Plattform deutsch.info kostenlos heruntergeladen. Mittlerweile arbeiten Flüchtlingsunterkünfte wie Traiskirchen, NGOs und Schulen mit den Unterlagen der 38-Jährigen.

Deutschlernen statt Guglhupf

Der ORF-Fernsehsprecherin (u. a. "heute leben") ist das Projekt mehr oder weniger in die Hände gefallen. Es war am Valentinstag, als Einheimische und die in der Magdeburgkaserne untergebrachten geflüchteten Menschen in der Galemo-Privatschule zu einem Kennenlernen zusammentrafen. Die KlosterneuburgerInnen brachten Kaffee und Kuchen und die Flüchtlinge Wissbegier. Schmid lacht bei der Erinnerung: "Wo ist der Unterricht, haben die Menschen gefragt, aber wir reichten ihnen Guglhupf statt Lehrbücher." Ihre Mutter, eine Volksschullehrerin, hatte schließlich die Initiative ergriffen und kurzerhand eine Deutschstunde improvisiert.
Seit diesem Tag trafen sich ehrenamtliche LehrerInnen und Flüchtlinge regelmäßig zum Unterricht. "Existierende Deutschlern-Materialien waren uns dabei keine Hilfe", erklärt Schmid. "Dort werden Gespräche wie ins Hotel einchecken oder im Restaurant Coq au vin und Rotwein bestellen gelernt. Das ist Hohn für Menschen, die nach ihrer Flucht in der Klosterneuburger Kaserne leben."

Grammatik ist Nebensache

Zeitangaben, Lebensmittel, Verben und Höflichkeitsfloskeln stehen im Kurs von Stephanie Schmid ganz oben: "Wir wollen nicht erreichen, dass die Menschen perfekte Grammatik beherrschen, sondern dass sie kommunizieren können – im Alltag und bei den Ämtern." Stephanie Schmid treibt vor allem die eigenen Freude an der Arbeit an: "Es macht mir wirklich großen Spaß. Außerdem ist es wunderschön, wenn man sieht, wie viel Freude man den Menschen durch die Unterstützung beim Deutschlernen machen kann."
Neben der überwältigenden Resonanz und vielem freundlichen Feedback musste Schmid auch Kritik von Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrenden einstecken. Für Letzteres hat die engagierte Helferin kein Verständnis. Konstruktive Kritik arbeitet sie in die Unterlagen ein, aber Angriffe auf ihr Konzept lässt sie nicht gelten: "Die Arbeit von ehrenamtlichen Deutschlehrenden und ProfessionistInnen kann man nicht vergleichen. Mit meinen Materialien unterstütze ich einen Unterricht von Laien für Flüchtlinge." Viele Ehrenamtliche kommen zu dieser Arbeit, weil sie helfen möchten, aber außer Zeit vermeintlich nichts anzubieten haben – doch genau diese Zeit ist wertvoll. In ihren Lernmaterialien gibt Schmid den HelferInnen, für die ihre Lehrposition meist auch neu ist, wertvolle Tipps für die Praxis.

Auf Deutsch Witze erzählen

Die Niveaus und Ausgangssituationen der Flüchtlinge sind sehr unterschiedlich – vom nicht alphabetisierten alten Mann aus Afghanistan bis hin zur lerneifrigen Teenagerin aus Syrien. Schmid versucht den Spagat zwischen diesen Extremen sowie den dazwischen liegenden Bedürfnissen mit ihren Deutschlern-Materialien zu schaffen. Die eifrige Verwendung ihrer Bücher – weit über die Grenzen von Österreich hinaus – zeugt vom Gelingen ihres Vorhabens. Die für sie persönlich schönsten Erfolge sind, wenn sie ein Schützling auf den Arm nehmen und Scherze machen kann oder auch wenn eine stille Schülerin plötzlich aus dem Nichts ihre Fluchtgeschichte in vollständigen Sätzen erzählt – auf Deutsch versteht sich.

Österreich-Heft in Planung

Dass das Projekt in ständiger Bewegung ist, zeigen nicht nur die kontinuierlichen Adaptionen und Anpassungen, die Stephanie Schmid aus der praktischen Lehrarbeit mithineinbringt, sondern auch die regelmäßigen Erweiterungen. Seit kurzem stehen die Vertonungen der Unterlagen auch offline als Lernhilfen zur Verfügung und zum letzten Nationalfeiertag gab's die Nationalhymne in Bildern. Außerdem arbeitet Schmid derzeit an einem Österreich-Heft mit Wissenswertem zum Land.

ZUR SACHE
Stephanie Schmid wird unterstützt von Raffaela Bartik (Grafik), Rudi Wanka (Vertonung), Laurin Herlt (Website), Harald Havas (Leseheft-Autor), Nathalie Rouanet-Herlt (Leseheft-Autorin). Für fachliche Fragen und mit wohlwollender Expertise stehen dem Projekt mehrere VS-LehrerInnen zur Seite.

ZUM WEITERLESEN
Zu Besuch im Flüchtlingsquartier Magdeburgkaserne