Nationalsozialismus und Volkshochschule
Ein Schwerpunktheft der Zeitschrift „Spurensuche“

Die beiden Historiker Prof. Dr. Robert Streibel und Dr. Christian H. Stifter beleuchten die Geschichte der Wiener Volkshochschulen in der NS-Zeit.
2Bilder
  • Die beiden Historiker Prof. Dr. Robert Streibel und Dr. Christian H. Stifter beleuchten die Geschichte der Wiener Volkshochschulen in der NS-Zeit.
  • hochgeladen von Robert Streibel

Nationalsozialismus und Volkshochschule stößt in Krems auf besonderes Interesse nicht nur aufgrund der aktuellen Debatte über einen "nicht gebilligten Vortrag" über Maria Grengg. In Krems wurde 1887 der Grundstein für die österreichweite Volkshochschulbewegung gelegt.
In den Volkshochschulen wurden nach 1945 lange bevor die Zeitgeschichte als eigenes Fach der Geschichtewissenschaft auf der Universität installiert war, Vorträge und Diskussionen zum Thema Nationalsozialismus durchgeführt. Die Geschichte der Volkshochschulen im Nationalsozialismus wurde jedoch nie systematisch aufgearbeitet. Als Untertitel für das Schwerpunktheft der Spurensuche des Österreichischen Volkshochschularchivs zu diesem Thema findet sich der Hinweis: „Eine späte Annäherung“.

Völkisches Gedankengut des Volksbildungsvereins
So mancher blinde Fleck wird in diesem Heft mit 232 Seiten behandelt, so auch die Frühgeschichte des NÖ Volkshochschulvereins. Celine Wawurschka widmet sich dem „völkischen Gedankengut in der frühen Volksbildung Niederösterreichs und Wiens“ und zeigt, wie sich der Liberalismus in ein bewusstes Deutschtum wandelt auch prominente Kremser Proponenten können hier genannt werden. In der Gründungsurkunde ist das Ziel definiert „die sittliche geistige und wirtschaftliche Bildung des Volkes“ im Sinne einer „deutschnationalen Erziehung“.

In einem umfangreichen Beitrag beleuchten die Historiker Robert Streibel und Christian H. Stifter auch die „Tätergeschichten“ in den Reihen der Volkshochschulen. „…und mich freudig zum National-Sozialismus bekenne!“ Die Neuordnung der Wiener Volkshochschulen 1938-1945: Gleichschaltung, Programmstruktur, Karrieristen und Täter“.

Opfer der Shoa im Rahmen der Volkshochschulen
Seit 2018 wurde in einem Projekt die Opfer der Shoa im Rahmen der Volkshochschulen erforscht. Mehr als 450 Vortragende und MitarbeiterInnen konnten namentlich erfasst werden. Als Opfer definiert sind Personen, die 1938 Selbstmord verübt haben, die in KZ deportiert und ermordet wurden und jene, denen die Flucht vor der Verfolgung ins Ausland geglückt ist. Zu diesem Thema wurde auch eine Wanderausstellung konzipiert. „Nach den Opfern war es uns wichtig auch die Geschichte der Täter zu beleuchten“, so Robert Streibel. Eine besondere Rolle spielte dabei Dr. Friedrich Plutzar, der seit 1934 NSDAP Mitglied war und nach seiner Funktion als Gaubildungswart ein hochrangiger NS-Funktionär in den besetzten Niederlanden war. Interessant ist auch eine Analyse des Angebotes der Volkshochschulen. Während vor allem 1938/39 überproportional politische Kurse angeboten wurden dominierten mit Fortdauer des Krieges Angebote im Bereich Kunst und Kultur.
Film über die Wanderausstellung

Die Schwerpunktausgabe im Überblick
Die „Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung“ setzt sich in ihrer aktuellen Schwerpunktausgabe mit dem Thema Erwachsenenbildung und Nationalsozialismus auseinander und schließt damit eine Forschungslücke.

Obwohl die zeithistorische Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust mittlerweile Bibliotheken füllt und sich um eine Vielzahl von methodisch ausdifferenzierten Forschungszugängen erweitert hat, so sind manche gesellschaftlichen Bereiche noch zu wenig beleuchtet worden. Obwohl neben der Rolle von Universität und Wissenschaft zunehmend auch nach den Funktionen von Kunst, Kultur, Erziehungswesen beziehungsweise Pädagogik gefragt wird, ist der Forschungsoutput hier quantitativ nach wie vor vergleichsweise bescheiden geblieben. Der allgemein zu konstatierende Randstatus bildungsgeschichtlicher Themen, die einen nur wenig beachteten Nebenschauplatz im Mainstream des historiografischen Analysespektrums bilden, lässt sich auch im spezifischen Kontext der NS-Forschung feststellen. Abgesehen von einigen wenigen, oftmals aus dem unmittelbaren edukativen Berufsfeld heraus entstandenen Einzeldarstellungen und Dokumentationen blieb die Frage nach der Funktion der Volks- beziehungsweise Erwachsenenbildung im Nationalsozialismus weitgehend unberücksichtigt.

Erwachsenenbildung und Nationalsozialismus: ein Widerspruch?
Volksbildung und Nationalsozialismus schließen einander eigentlich kategorisch aus: hier die gesellschafts- und bildungspolitischen Axiome einer demokratie-förderlichen und wissenschaftszentrierten Lehr- und Lernfreiheit im Sinne einer weltoffenen, an der Entfaltung des Individuums orientierten Weltauf¬fassung, dort die auf rassistischem Antisemitismus basierende Ideologie und Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus, die das „Zeitalter des Liberalis¬mus und Individualismus“ durch die gleichgeschaltete „Volksgemeinschaft“ endgültig überwinden wollte. Dennoch gab es Volks- beziehungsweise Erwachsenenbildung im Nationalsozialismus – in Deutschland seit 1933, in Österreich seit 1938. Es gab (propagandistische) Vorträge, Kurse und (systemstabilisierende) kulturelle Veranstaltungen, deren Programmgestaltung den NS-Gauleitungen unter¬worfen war. Die „Volksbildungsstätten“, in welche die Volkshochschulen umgewandelt wurden, waren nur für „arische Volksgenossen“ zugänglich. Jüdische und politisch unliebsame KursleiterInnen, administrative Kräfte und Volkshochschulleiter wurden entlassen, inhaftiert, vertrieben oder ermordet.

Wiederaufbau auf den „Rückseiten von NS-Drucksorten“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Volkshochschulen früh ein Ort der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die organisatorische sowie personengeschichtliche Täter- und Opfer-Perspektive wurde dabei jedoch lange ausgeblendet. Auch wenn sich die Erwachsenenbildungsorganisationen nach 1945 früh mit der jüngeren Vergangenheit beschäftigten, blieb die Auseinandersetzung mit der institutionellen Entwicklung in der NS-Zeit weitgehend Desiderat. Bis heute haben sich die Einrichtungen der Erwachse¬nenbildung im deutschsprachigen Raum weder mit ihrer institutionellen Vorgeschichte noch mit der Frage nach den Opfern, den Karrieristen und den NS-Tä¬tern in den eigenen Reihen eingehend beschäftigt. Dass die Zeit des Nationalsozialismus aber in vielerlei Hinsicht in die antifaschistische Wiederaufbauar¬beit hereinragte, illustriert die durchaus doppelsinnig zu lesende Aussage des langjährigen Generalsekretärs des Verbands Österreichischer Volkshochschulen, Wolfgang Speiser, wonach die Korrespondenz nach Kriegsende aufgrund des Papiermangels auf den „Rückseiten von NS-Drucksorten“ verfasst werden musste.

Zu all diesen Themengebieten liefert diese Ausgabe der „Spurensuche“ einige erste Beiträge wie zu Aspekten der institutions¬geschichtlichen Entwicklung oder zu Frühformen völkischen Gedankenguts. Autorinnen und Autoren sind: Matthias Alke, Hannelore Bastian, Thomas Dostal, Georg Fischer, Bernd Käpplinger, Antje von Rein, Bernhard Schoßig, Christian H. Stifter, Maria Stimm, Robert Streibel und Celine Wawruschka.

Nationalsozialismus und Volksbildung
Eine späte Annäherung
ISSN 1025-9244
ISBN 978-3-902167-23-1
Zum Inhaltsverzeichnis
Das Schwerpunktheft kostet € 18,50
und kann unter archiv@vhs.at bestellt werden.
Tel. 89174-156000

Die beiden Historiker Prof. Dr. Robert Streibel und Dr. Christian H. Stifter beleuchten die Geschichte der Wiener Volkshochschulen in der NS-Zeit.
Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung, 232 Seiten; € 18,50 Zu bestellen unter: archiv@vhs.at; Tel. 89174-156 000

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

4:00

Wassermann – Glückskind des Monats
So wird das Horoskop im April

Alle zwölf Sternzeichen sind schon gespannt, was Astrologe Wilfried Weilandt zu berichten hat. Wie der April wird, wollt ihr wissen? Werft einfach einen Blick ins aktuelle Horoskop! ÖSTERREICH. Der April macht, was er will, das sagt uns schon der Volksmund. Damit es aber nicht ganz so turbulent wird, schauen Astrologe Wilfried Weilandt und Moderatorin Sandra Schütz wieder in die Sterne. Und so viel sei vorweg verraten: Der Wassermann ist das Glückskind des Monats, tapfer müssen hingegen die...

Hier findest du die billigsten Tankstellen in Niederösterreich.
4

Benzin- und Dieselpreise
Die billigsten Tankstellen in Niederösterreich

Hier erfährst du täglich, wo die billigsten Tankstellen in Niederösterreich sind, wie man günstig tankt und auch, wie man am Besten Sprit sparen kann. NÖ. In ganz Österreich ist es am günstigsten Vormittags zu tanken, da die Tankstellen nur einmal täglich, um 12 Uhr, die Spritpreise erhöhen dürfen. Preissenkungen sind jedoch jederzeit und in unbegrenztem Ausmaß möglich. Wir aktualisieren die Liste der günstigsten Tankstellen in Niederösterreich täglich mit den aktuell gültigen Preisen. Die...

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Niederösterreich auf MeinBezirk.at/Niederösterreich

Neuigkeiten aus Niederösterreich als Push-Nachricht direkt aufs Handy

Bezirksblätter auf Facebook: MeinBezirk.at/Niederösterreich

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Niederösterreich und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.