Innsbruck schmeißt so viel Essen weg, wie Kufstein verbraucht

Damit genießbare Lebensmittel nicht mehr im Müll landen, setzen Greenpeace und der WWF auf eine Gesetzesinitiative. | Foto: Haberl
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BEZIRK (nos). Seit 2015 werden in Wörgl die biologisch verwertbaren Siedlungsabfälle, also der "Biomüll", in Küchen- und Gartenabfällen getrennt gesammelt. Etwa 80 Kilogramm Küchenabfälle entsorgt jeder Wörgler jährlich über die "Braune Tonne", hinzu kommen "Fehlwürfe" und Eigenkompost. "In der Entsorgungsschiene unserer Küchenabfälle ist wichtig, dass keine Störstoffe enthalten sind. Nur dadurch ist es möglich, sie in der Co-Vergärungsanlage zu nutzen", erklärt Stadtwerke-GF Reinhard Jennewein, wie hoch dabei der Anteil intakter Nahrung ist, oder "ob derartige Lebensmittelabfälle noch genießbar wären, können wir nicht beurteilen". (zur pdf Broschüre "Abfallwirtschaft 2016")

In Kufstein werden jährlich rund 1.900 Tonnen Restmüll und 1.100 Tonnen Biomüll entsorgt, auch hier werden Grün- und Rasenschnitt getrennt vom Biomüll aufbereitet. Abfallberater Manfred Zöttl weiß, es gibt selten Biomüll-Tonnen, in denen sich keine Störstoffe finden – oft originalverpacktes Obst und Gemüse.
"Handel und Gastronomie haben eigene Entsorgungslinien", erklären Jennewein und Zöttl.

30 Prozent der welt­weit produzierten Lebens­mittel landen unangetastet im Müll.

Allein in Österreich betrifft dies jährlich hunderttausende Tonnen an ungenutzter Nahrung. Greenpeace spricht von "mehr als 500.000 Tonnen", der WWF von "mehr als 760.000 Tonnen" Lebensmittel, die völlig unnötig weggeworfen werden. Die Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) kommt in einer Studie aus dem Jahr 2012 auf 168.000 Tonnen.

Besonders drei große Bereiche haben Einfluß auf die Essensverschwendung:

  • Zehntausende Tonnen Obst und Gemüse landen jährlich im Müll, weil sie nicht den Ansprüchen des Marktes entsprechen
  • Falsches Einkaufsverhalten führt zu unnötigem Müll in den Privathaushalten
  • Unmengen an genießbarem Essen werden irrtümlicherweise bereits am Mindesthaltbarkeitsdatum entsorgt

Hinzu kommt auch, dass viele Konsumenten mittlerweile die "alten" Verwertungsstrategien ver- oder gar nicht mehr ge-lernt haben – der Gedanke an "Restlküche" lässt Viele erschaudern. Sie wäre aber ein sinnvolles Werkzeug, um der Nahrungsmittelverschwendung entgegenzusteuern.

Produzenten und Handel wollen gegensteuern

Der österreichische „Wegwerfschlüssel“ bei Lebensmitteln liegt derzeit bei etwa 1:5, erklärt der Tiroler Bauernbund. Im übertragenen Sinn wird also in Innsbruck soviel weggeworfen, wie man in Kufstein zum Essen benötigen würde. „Das ist nicht nur ökonomisch und ökologisch, sondern vor allem auch ethisch-sozial ein Wahnsinn“, mahnt LAbg. Kathrin Kaltenhauser (ÖVP).
„Um die Berge von Lebensmittelabfällen zu verkleinern, müssen wir alle einen Beitrag leisten!“, ist sich Kaltenhauser sicher.

"Das beginnt beim bewussten Einkauf und mit einer höheren Wertschätzung der Lebensmittel. Wir alle sind gefordert, mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen.“

Lebensmittel im Wert von über 300 Euro pro Jahr und Haushalt landen im Müll.

Eine Maßnahme zur effizienteren Ressourcennutzung gibt es auch bäuerlichen Bereich, wo qualitativ einwandfreie Produkte, die aufgrund von Form- und Größenfehler jedoch für den Handel unverkäuflich sind, dennoch sinnvoll abgesetzt und nicht vernichtet werden. Dadurch gehen nicht nur wertvolle Nahrungsmittel verloren, es werden auch die für die Aufzucht eingesetzten Ressourcen verschwendet: menschliche Arbeitskraft, Energie, Düngemittel, Geräte und landwirtschaftliche Nutzflächen. Von dieser Verschwendung hat niemand etwas, weder die Bauern, die ihren Ertrag verlieren, noch die Konsumenten, denen so die Wertigkeit von nahrhaftem Essen durch das vermeintlich perfekte Gemüse aberzogen wird.
"Wir kaufen etwa den Hokkaido-Kürbis von 'Bio vom Berg' gezielt in Handelsklasse II ein", erklärt Gudrun Pechtl (MPReis), "die Narben an der Schale beeinflussen die Qualität in keinster Weise."
Seit Oktober 2013 wird bei REWE (Billa, Penny) unter der Eigenmarke "Wunderlinge" Obst und Gemüse angeboten, das trotz eigenwilligem Aussehen einwandfrei in Qualität und Geschmack ist. "Damit setzt die REWE International AG ein klares Zeichen gegen die Wegwerfkultur. Saisonal und je nachdem ob bzw. was gerade verfügbar ist, wird Obst und Gemüse angeboten, das trotz eigenwilligem Aussehen einwandfrei in Qualität und Geschmack ist – zu einem günstigeren Preis", so der Konzern.
Der Lebensmitteleinzelhandel und viele Bauern beliefern bereits jetzt Sozialmärkte und versuchen durch die Produktion für den Convenience-Bereich auch auf die besonderen Mengenbedürfnisse (Singlehaushalte) der Konsumenten einzugehen.
Bei der Lösung des Problems kommt den Händlern eine entscheidende Rolle zu. Durch Qualitätskriterien gestalten sie Angebot und Nachfrage mit und die Angebots- und Preispolitik hat großen Einfluss auf die Lebensmittelabfälle der Konsumenten: Durch Mengenrabatte, Großpackungen und Preisaktionen werden oft ungeplante Mengen gekauft.

"Bisher musste beispielsweise ein Sack Zitronen, wenn eine Frucht schimmlig war, als Ganzes weggeworfen werden. Wir stellen nun neues Verpackungsmaterial zur Verfügung, damit aus 1- oder 2-kg-Packungen die schlechten Stück aussortiert und zwei Packungen zu einer einwandfreien zusammengefügt werden können, anstatt die ganze Packung entsorgen zu müssen", erklärt Barbara Moser von der Wörgler Spar-Zentrale.
Gudrun Pechtl ist als Abfallmanagerin bei MPreis für das Thema Lebensmittelmüllvermeidung zuständig. "Wir haben uns bei MPreis gefragt, 'was können wir hier tun?' und dann einige Maßnahmen erarbeitet. Unsere Mitarbeiter in den Filialen wurden zum Beispiel geschult und informiert, wie man Obst und Gemüse zurechtputzen kann und Übermengen, bevor sie schlecht werden, in Convenience-Produkte umarbeitet – zum Beispiel in Obstsalate oder Gemüsepfannen", erklärt Pechtl.

Streitpunkt Mindesthaltbarkeitsdatum

Greenpeace hat zehn Lebensmittel, darunter Käse, Eier, Salami, Joghurt und verpackte Backwaren wie etwa Kuchen auf ihre Haltbarkeit testen lassen. Obwohl die Produkte bereits seit zwei Wochen das angegeben Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten hatten, konnten sie als unbedenklich eingestuft werden. Das MHD auf Lebensmitteln ist ein wesentlicher Faktor für die Menge an Lebensmittelmüll in Privathaushalten.
„Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist lediglich eine Garantieerklärung seitens der Produzenten, es hat nichts mit Hygienebestimmungen oder ähnlichem zu tun“, erklärt Konsumentensprecherin Nunu Kaller. Oft hat das MHD auch gar keinen Sinn: „Trockenprodukte wie Reis, Tee oder Nudeln halten oft Jahre länger als auf dem Datum angegeben. Konsumenten, die sich auf dieses Datum verlassen, werfen daher häufig Produkte, die noch völlig in Ordnung sind, in den Müll“, sagt Kaller.

„Wir empfehlen, auf die eigenen Sinne zu vertrauen. An den betroffenen Lebensmitteln sollte man zuerst riechen und sie schmecken, anstatt sie ungeprüft in den Müll zu werfen.“

Um Lebensmittel auch nach dem MHD-Ablauf noch "frisch" genießen zu können, spielt natürlich die lagerung eine wichtige Rolle. Das Gesundheitsministerium gibt Tipps zur richtigen Lagerung von Lebensmitteln, Greenpeace bietet hierzu eine umfangreiche Broschüre an, auch die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) stellt Informationen bereit.
"Wo es möglich ist, wird gemeinsam mit dem Hersteller die Haltbarkeitsfrist hinterfragt und das MHD angepasst. Und bei uns wird mit dem Abverkauf von Produkten früher begonnen", so Moser.
Auch MPreis versucht Produkte vor Überschreiten des MHD mit "Last minute"-Preisen verbilligt abzuverkaufen und kooperiert mit Sozialmärkten und Tafeln, dafür wurden mit den Partnern Verträge geschlossen, die Kühlketten unter die Lupe genommen, Personal geschult und die Prozesse optimiert, wie Gudrun Pechtl erklärt.

Das MHD muss jedoch vom sogenannten Verbrauchsdatum, das bei einigen wenigen besonders empfindlichen Lebensmitteln wie Faschiertem und Frischfisch angebracht wird, unterschieden werden. Derartige Produkte, deren Verbrauchsdatum überschritten ist, sollten tatsächlich nicht mehr verzehrt werden.

Petitionen für Maßnahmen gegen Verschwendung

Greenpeace und der WWF fordern "endlich gesetzliche Rahmenbedingungen, die unser Essen vor dem Mist retten" und daher "einen konkreten österreichweiten Umsetzungsplan zur Halbierung der Lebensmittelabfälle bis 2030".
Hierfür gibt es auch eine gemeinsame Online-Petition von Greenpeace und dem WWF, der auch eine Liste von Ernährungstipps erstellt hat.
Handesketten wie etwa Spar reagieren bereits mit eigenen Maßnahmen auf Nahrungsmittelverschwendung.

Informationen und Materialien "von Klein auf"

Das Forum Umweltbildung stellt auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Informationen bereit. In den Tiroler Neuen Mittelschulen ist "Ernährung und Haushalt" ein Pflichtfach, der Landesschurat bietet weitere Links und Informationen. Auch das Projekt "Landwirtschaft macht Schule" setzt sich kindgerecht mit Ernährung und Ressourcen auseinander, ebenso die "Schule am Bauernhof", die auch zahlreiche Materialien bereit stellt.

Wir haben uns bei MPreis, Spar, REWE und Hofer über ihre Maßnahmen zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen erkundigt.
Hier geht's zum Artikel.
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