Osteuropaforum thematisierte den Ukrainekonflikt

Heinrich Schaller, Alexander Rahr, Marc Deimling und Heinz Pöttinger (v. l.). | Foto: RLB OÖ/Strobl
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Es werde nicht einfach sein, die Krise im Zusammenhang mit der Ukraine und Russland zu lösen, weil sich die Konflikte über 20 Jahre kumuliert hätten. Und es werde eine Generation dauern, bis man wieder ein Verhältnis wie in den 1990er Jahren hergestellt habe, meinte Professor Alexander Rahr diesen Montag beim 12. Osteuropaforum der Raiffeisenlandesbank OÖ. „Ich hoffe, dass es vor allem über die Wirtschaft und über gemeinsame Interessen zu einer Milderung der aktuellen Situation kommt“, so der Historiker und Osteuropaexperte bei seinem Vortrag und in der Diskussion mit RLB OÖ-Generaldirektor Heinrich Schaller sowie Heinz Pöttinger (Alois Pöttinger Maschinenfabrik Ges.m.b.H.) und Marc Deimling, Geschäftsführer TMS Turnkey Manufacturing Solutions GmbH, vor rund 600 Gästen im RaiffeisenForum der RLB OÖ.

„Ich hoffe, dass wir zu einer Partnerschaft zurückkehren, und das ziemlich schnell“, betonte Rahr. Dies sei jedoch nur möglich, wenn beide Wahrheiten gesehen werden würden – „unsere Wahrheit und die Wahrheit, wie die Russen sie sehen.“ Der Osteuropakenner und Buchautor skizzierte eine Reihe von Gründen, warum die Welt derzeit vor Konflikten stehe, die vor einem halben Jahr noch als völlig undenkbar charakterisiert worden wären.

Die monopolare Welt, in der es mit den USA nur eine Supermacht gegeben habe, gehe zu Ende. Mit China oder Indien entstünden neue Pole, auch in Eurasien gibt es laut Rahr neue Kräfterelationen: „Wir sind im Begriff, vor unseren Augen eine neue multipolare Welt entwickelt zu sehen. Und sie wird bedauerlicherweise nicht so friedlich aufgebaut werden wie die Nachkriegsordnung nach dem Kalten Krieg, als die Berliner Mauer fiel.“

Wertestreit und Wirtschaftskonflikt

Man müsse sich der gesamten Konfliktlage bewusst werden, so Rahr. „Wir haben einen zivilisatorischen Konflikt, einen Wertestreit. Wir erklären den Russen Demokratie und die Russen sagen, wir haben eine andere Demokratie. Wir erklären den Russen Menschenrechte. Die Russen sagen, bei uns steht der Staat über den Menschen. Die Russen behaupten von uns, wir seien postmodern und dekadent und Russland entdecke sich neu als das andere Europa.“ Dazu komme der Wirtschaftskonflikt, unter anderem durch die Sanktionen. „Ich hoffe, dass diese nur temporär sind. Aber im Moment machen sie uns schwer zu schaffen“, meinte Rahr.

Der Konflikt sei sehr schwer zu lösen, weil er vielfältig ist. „Man hätte die Ukraine weder vom Westen noch von der russischen Seite vor eine Entscheidung stellen dürfen“, zeigte sich der Osteuropaexperte überzeugt. Auch das Land selbst sei gespalten. „Die Ostbevölkerung der Ukraine will nicht Teil Russlands werden, will Russland als Handelspartner aber auch nicht verlieren. Auch in die NATO will man nicht. Im Westen der Ukraine wollen viele genau das Gegenteil. Sie haben Angst vor Russland, wollen in die NATO, wollen in die Europäische Union und wollen mit Russland, zu dem sie historisch nie richtig gehört haben, nichts zu tun haben. Das Land ist gespalten, aber wir brauchen eine Gesamtlösung für die ganze Ukraine.“ In diesem Zusammenhang stufte Rahr die Gefahr eines wirtschaftlichen und finanziellen Zerfalls der Ukraine als viel gefährlicher ein als das, was derzeit in der Ostukraine passiere.

Dringende und gesichtswahrende Lösung

„Wir brauchen eine dringende Lösung für die Ukraine, eine gesichtswahrende Lösung für alle. Das Problem ist, dass bis heute keine Seite zu Kompromissen bereit ist“, so Rahr. Russland fürchtet, dass die Ukraine doch früher oder später NATO-Mitglied wird und dagegen kämpft es an. Man möchte die Ukraine in die Eurasische Union holen. Weiters möchte man eine Föderalisierung der Ukraine, damit mit dem Osten der Ukraine weiter Handel betrieben werden kann. Die jetzige ukrainische Regierung wolle sich sicherheitspolitisch nach Westen orientieren, wirtschaftlich aber weiterhin von Russland profitieren. Die Europäische Union wolle Demokratie an ihrer Ostgrenze, Zukunftsmärkte und Energiesicherheit.

Russland findet aus Kommunismus

„Dazu muss die Europäische Union verstehen, dass man dies in Kooperation und Abstimmung mit Russland machen sollte. Das hätte man vor zwei Jahren eher verstehen müssen. Das sind Dinge, die man politisch und diplomatisch einfach anders regeln sollte“, sagte Rahr. Aufgrund seiner Größe will Russland Mitbestimmung und will am neuen Europa mitwirken. Die Möglichkeit zur Kooperation werde dem Land aber nicht geboten. Russland finde 23 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion aus dem Kommunismus, so Rahr. „Natürlich versucht Russland zunächst, auf Demokratie von oben zu setzen. Das ist eben die russische Wahrheit. Ob das gut ist oder schlecht, weiß ich nicht. Es soll nur zeigen, wie man mit dem Land einen Dialog führen kann, um zu Kompromissen oder zu einem Verständnis zu kommen.“

Durch die Sanktionen sei man in einem ganz anderen Stadium angekommen. Dadurch werde der russischen Wirtschaft natürlich großer Schaden zugefügt. Russland werde versuchen, die Inlandsproduktion zu steigern. Man dürfe in diesem Zusammenhang aber die Leidensfähigkeit der Russen nicht unterschätzen, warnte Rahr. „Wenn man sich in der Defensive und vom Westen ungerecht behandelt fühlt, dann scharrt man sich hinter der Führung und wird noch vieles andere aushalten.“ Rahr bezeichnete es als Trugschluss, Russland mit Sanktionen in die Knie zwingen zu wollen. Die Antwort auf einen Machtverlust Putins sei seiner Meinung nach ein noch nationalistischeres und antieuropäisches Regime. „Durch stärkere und länger andauernde Sanktionen würde sich Russland Richtung Asien orientieren. China, Vietnam oder Korea, aber auch der Iran und Pakistan würden Schlange stehen, um Produkte nach Russland liefern zu können. Eine Freihandelszone zwischen Lissabon und Wladiwostok muss ein strategisches Ziel bleiben. Das ist der einzige Weg aus der Krise“, betonte Rahr.

Pöttinger: Werden Krise überstehen

Durchaus optimistisch blickt Landmaschinenproduzent Mag. Heinz Pöttinger in die Zukunft: „Wir wollen unseren Weg in Osteuropa und auch speziell in der Ukraine und in Russland weiter fortsetzen und sind optimistisch, dass wir die Krise in Russland überstehen. Landtechnik ist zurzeit ja auch nur von Restriktionen und nicht von Sanktionen betroffen. Außerdem gelten wir Österreicher in den Augen der Russen weiterhin als paktfähig.“ Als Unternehmer habe er aber die Erfahrung gemacht, dass es in der Ukraine und auch in Russland aufgrund der Kultur und der örtlichen Gegebenheiten schwieriger ist, Geschäfte zu machen, als beispielsweise in Tschechien oder in Polen.

Generell gesehen ist Russland aufgrund der Größe seiner landwirtschaftlichen Flächen für die Landtechnik in den vergangenen Jahren ein extrem starker und wichtiger Markt geworden und könnte künftig global gesehen eine wichtige Rolle übernehmen: „80 Prozent der russischen Landwirtschaft ist bis heute nicht modern mechanisiert. Dabei ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche mit 219 Millionen Hektar unglaublich groß. Wenn die 185.000 landwirtschaftlichen Holdings ihre Effizienz entsprechend steigern, wird Russland in Zukunft bei der Ernährung der Weltbevölkerung eine entscheidende Rolle spielen.“ Pöttinger appellierte auch für mehr Respekt gegenüber Russland: „Mit einem Land, das 18 Prozent der Weltfläche ausmacht, muss viel sensibler umgegangen werden. Wir können die Russen nicht belehren, wie sie ihr Leben zu führen haben. Man muss auch die russische Sichtweise beachten. In den Augen der Russen haben die Europäer eine Regierung in der Ukraine unterstützt, die geputscht hat, nicht demokratisch gewählt war und sich dadurch auch nicht ans internationale Völkerrecht gehalten hat.“

Deimling: Wollen russischen Markt weiterbearbeiten

Der austrokanadische Autozulieferer und Anlagenbauer TMS Turnkey Manufacturing Solutions ist in Russland seit 2011 mit mittlerweile zwei Standorten vertreten. Zu seinen Kunden zählen Volkswagen, Skoda und General Motors, die ebenfalls in Russland produzieren. Seit Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts verzeichnete das Unternehmen am russischen Markt noch keine Geschäftseinbrüche, betonte Geschäftsführer Dipl.-Vw. Marc Deimling: „Der russische Markt ist kein banaler Markt, sondern ebenbürtig mit den anderen BRICS-Staaten. Wir können nur Gutes berichten, der Konsum ist in Russland immer noch vorhanden“. Man wolle den russischen Markt auch künftig weiterbearbeiten und werde „von Kunden ermutigt, weiterzumachen“.

Abwanderung steht im Raum

Die Automobilindustrie sei jedoch auch ein „Wanderzirkus“. „Wir gehen dorthin, wo unsere Kunden produzieren. Die entscheidende Frage wird sein, wie sich der Absatz unserer Kunden in Russland entwickeln wird. Die Russen identifizieren sich mit russischen bzw. in Russland gefertigten Autos. Aufgrund der Embargos aus der EU erhalten nun aber auch Mitbewerber aus Japan und Korea Auftrieb. Wenn der Markt dort stockt, gehen wir woanders hin“, so Deimling. Ein weiteres Problem sind auslaufende Risikoversicherungen und die Diskussion mit den kanadischen Eigentümern von TMS, die die Gefahr von Enteignungen in Russland sehen. „Wir werden uns nach unseren Kunden richten müssen, aber wenn das dort nicht mehr funktioniert und wenn wir keine Versicherungen mehr bekommen, werden wir den russischen Markt verlassen müssen.“

Schaller: Europa kann auf Absatzmarkt im Osten nicht verzichten

RLB OÖ-Generaldirektor Dr. Heinrich Schaller erachtet es nicht als sinnvoll, sich jetzt aufgrund der politischen Turbulenzen aus Osteuropa überhastet zurückzuziehen: „Auch wenn die Gesamtsituation im Osten, und natürlich vor allem in der Ukraine, nicht unheikel ist, ist Osteuropa für unseren Wirtschaftsraum nach wie vor sehr wichtig. Es gibt Regionen in Russland, wo österreichische Unternehmen auch heute noch gute Geschäfte machen. Auch der Zahlungsverkehr und die Kreditvergabe funktionieren in Russland immer noch. Wir müssen aber natürlich darauf hoffen, dass die Sanktionen nicht verschärft werden.“ Jetzt gehe es vor allem darum, dass die gemäßigten Kräfte wieder Oberhand bekommen und auf politischer Ebene auf Deeskalation gesetzt würde. „Fehler sind auf beiden Seiten passiert, denn die Sanktionen schaden allen Beteiligten. Man muss jetzt einen Weg finden, wie man ohne Gesichtsverlust wieder aufeinander zugehen kann. Europa ist nicht so groß, dass es auf den Absatzmarkt im Ostern auf Dauer verzichten kann.“

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