Weihnachtsgeschichte: Erst eins, dann zwei ...

In den 60er-Jahren – des 20. Jahrhunderts wohlgemerkt – war der Adventkranz in St. Johann in Tirol und in Brandenberg erst teilweise bekannt. In Serfaus war der Adventkranz zwar in der Kirche zu finden, aber noch nicht in den Häusern.“ Das erzählen Tiroler Volkskundler. Ja, gehört das Anzünden der Kerzen etwa nicht seit jeher zum unverzichtbaren vorweihnachtlichen Symbol-Inventar? Nicht zu Unrecht hat die Journalistin Helga Maria Wolf, eine Kennerin österreichischen Brauchtums wie wenige, den Adventkranz einmal leicht abschätzig in den „Jahreslauf der Büro-Folklore“ eingeordnet. Sprich: Ohne Adventkranz geht gar nichts – oder, wie es die Salzburger Volkskundlerin Ulrike Kammerhofer-Aggermann formuliert: „Wie der Christbaum ist er auch für Menschen ohne religiöses Bekenntnis ein unverzichtbares Requisit, das Ruhe, Besinnung und die Werte zwischenmenschlicher Kommunikation ins Bewusstsein ruft.“

Und doch bürgerte sich der Adventkranz im Alpenraum erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein, zuerst in den Städten und sehr zögerlich auch auf dem Land. Als sein Erfinder gilt der Initiator des Diakonie-Gedankens, der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern (1808–1881). In seinem „Rauhen Haus“, einer Wohnstätte für sozial gefährdete Jugendliche in einem alten Hamburger Bauernhaus, hängte er 1839 einen Holzleuchter mit vier großen und 19 kleinen Kerzen (für die Wochentage) auf. Der Schmuck mit Reisig (ab 1860) führte im Lauf des späten 19. Jahrhunderts zur Ausbildung des Adventkranzes, wie wir ihn kennen. Er verbreitete sich zuerst in den protestantischen Gemeinden. Deutsche bündische Jugendbewegungen haben mit ihren „Julpyramiden“ und dergleichen Lichtsymbolen indirekt dem Adventkranz zugearbeitet. Übrigens: Da ging man anders vor als beim heutigen Adventkranz, es wurde jede Woche eine Kerze weniger angezündet. Am Jul-Lichtfest (zu Winterbeginn) sollte ja das Licht umso stärker zur Wirkung kommen. Im Ersten Weltkrieg kamen Adventkränze als Hoffnungszeichen in die Lazarette. So ging es nach und nach, wenn auch schleppend, mit dem Adventkranz auch in katholischen Landen bergauf.

Als Adventszeit galten ursprünglich die Tage vom 11. November bis zum ursprünglichen Weihnachtstermin, dem Fest Epiphanie (Hl. Drei Könige, 6. Jänner) – das war, die Sonntage und damaligen Feiertage weggerechnet, eine Fastenzeit von 40 Tagen. In der Mailänder Liturgie war und ist der Advent seit jeher sechs Wochen lang, und so hält es bis heute auch die Ostkirche: Sie lässt den Advent mit dem 15. November beginnen, und zwar dezidiert als Zeit der Enthaltsamkeit mit drei Wochen leichtem Fasten (mit Fisch) und drei Wochen mittelschwerem Fasten (nicht einmal Fisch).

Da haben wir es besser, Advent gilt in katholischen Landen nicht als Fasten-, sondern als Besinnungs- und Vorbereitungszeit. Am dritten Adventsonntag gewinnt sogar die Vorfreude Oberhand. Da beginnt der die Messe einleitende gregorianische Gesang mit dem Wort „Gaudete“ (Freuet euch). Das ist der Moment, an dem die eine rosafarbene Kerze am Kranz entzündet wird. Übrigens: Der jeweilige Sonn- oder Feiertag beginnt nach kirchlichem Verständnis immer schon am Vorabend. Also wird die nächste Kerze schon am Samstag nach Sonnenuntergang entzündet.

Informationen über den Autor

Reinhard Kriechbaum

Geboren 1956 in Graz. Studium der Kunstgeschichte und Volkskunde an der Universität Graz, Chordirigieren und Gesang an der dortigen Musikhochschule. Von 1982 bis 1989 Kulturredakteur der „Salzburger Nachrichten“, 1989 bis 1991 Leiter der Pressestelle der Erzdiözese Salzburg. Kulturjournalist für in- und ausländische Medien. Seit 2004 Chefredakteur und Herausgeber der Salzburger Internet-Kulturzeitung „DrehPunktKultur“. Reisejournalismus mit Schwerpunkt Osteuropa. Einige Buchveröffentlichungen zu Österreich-Themen.

Informationen zum Buch

Titel des Buches: Weihnachtsbräuche in Österreich
ISBN: 978-3-7025-0627-8
Umfang: 200 Seiten
Preis: € 24

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Österreich auf MeinBezirk.at

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

MeinBezirk auf Facebook: MeinBezirk.at/Österrreichweite Nachrichten

MeinBezirk auf Instagram: @meinbezirk.at


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.