Leitl kündigt Wirtschaftskammer-Reform an

Was ist ihre Wirtschaftsprognose für heuer?
CHRISTOPH LEITL:
1,3 Prozent plus. Wobei mir Sorge macht, dass wir bei den Investitionen deutlich zurückfallen. Innerhalb von vier Jahren haben wir den Anteil der Investitionen an unserer Gesamtwirtschaftsleistung halbiert. Das ist erschreckend. Damit gerät die Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit ins Hintertreffen. Und die Unternehmen zahlen so hohe Steuern und Abgaben wie nie zuvor.

Sind sie nach dem jüngsten Leak über die TTIP-Verhandlungen weiterhin ein Befürworter?
LEITL:
Was ist denn geleakt worden? Eine erste Verhandlungsposition einer der Verhandlungsparteien. Besonders ein kleines Land wie Österreich ist darauf angewiesen, dass es Freihandel gibt. Die USA sind weltweit der zweitwichtigste Handelspartner Österreichs. Darin steckt enormes Potenzial, das bisher von den Großunternehmen genutzt wird, aber nicht von den Kleinen, weil die vorhandenen Barrieren faktisch unüberwindbar sind.

TTIP heißt aber auch, dass Produkte aus der US-Landwirtschaft, die viel stärker gefördert wird als in der EU, zu uns auf den Markt kommen.
LEITL:
Das ist alles Verhandlungssache. Die zwei Grundbefürchtungen sind, dass internationale Konzerne über nationale Regierungen stehen und, dass wir einen schleichenden Qualitätsverlust haben werden. Wenn diese beiden Punkte ausgeräumt sind, dann bin ich ein Befürworter eines Freihandelsabkommens. Gerade für kleinere und mittlere Betriebe wird dieses Abkommen im internationalen Wettbewerb von großer Bedeutung sein. Ich verlasse mich darauf, dass das Europäische Parlament etwas ablehnt, wenn es für uns Europäer nicht zumutbar ist. Als Geschäftsmann schaut man sich einen Vertrag erst an und entscheidet dann, ob man ihn unterschreibt.

Was ist ihr Rezept, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren?
LEITL:
Ich habe mir viel Feindschaft zugezogen, als ich gesagt habe, ‚wäre ich arbeitslos, ich würde es nicht lange bleiben’. Man hat mir gesagt, ich verhöhne die Arbeitslosen. Ein Beispiel: Ich habe mich unlängst mit Vertretern der Fleischer-Innung getroffen. Sie suchen dringend Fachkräfte: Fleischer, Ladner, Verkäufer. Sie bekommen sie nicht. Ich kenne Wirtshäuser, die müssen zusperren, weil sie keine Leute finden. Darüber wird man reden müssen. Und natürlich brauchen wir insbesondere Wachstumsimpulse und eine Entbürokratisierung für die Unternehmen.

Wie sollen bei der hohen Arbeitslosigkeit Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden?
LEITL:
Wir haben offiziell 40.000 offene Stellen, die von Österreichern nicht angenommen werden. Diese Stellen könnten den Asylberechtigten angeboten werden. Sie kosten uns dann nicht, sondern sie bringen uns etwas. So kann man auch das Meinungsklima wieder drehen. Es ist doch das Gegenteil von Integration, wenn Flüchtlinge in einem Heim untergebracht sind, dort untätig sind und ohne ausreichenden Spracherwerb monatelang nur unter sich bleiben.

Industrie 4.0 gilt als Jobkiller. Welche Lösungen gibt es?
LEITL:
Die schlesischen Weber zertrümmerten einst die Webstühle, weil sie sagten ‚Diese Maschine nimmt uns die Arbeit weg’. Ist die Beschäftigung mit Einführung des Webstuhls gestiegen oder gesunken? Sie ist gestiegen. So wird es auch mit der Digitalisierung neue Berufsfelder und Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Da bin ich optimistischer als andere.

Wie können die Probleme, welche die Digitalisierung der Arbeitswelt mit sich bringt, möglichst sanft überbrückt werden?
LEITL:
Indem die aktive Arbeitsmarktpolitik auf das Zukünftige umorientiert wird, anstatt die Leute in Frühpension zu schicken. Warum ist die Frage der Weiterbildung bei den über 45-Jährigen so ein Tabuthema? Nach dem Motto ‚Zahlt sich nicht mehr aus’? Dabei beginnen diese Menschen erst die zweite Hälfte ihres Berufslebens.

Sie führen die Wirtschaftskammer seit 15 Jahren. Medien spekulieren über Ihren Rückzug nächstes Jahr.
LEITL:
Früher wurde spekuliert, was ich noch werden möchte und jetzt werde ich gefragt, wie lang ich noch bleiben will. Ich bin gewählt bis 2020. Das werde ich nicht ausschöpfen. Wir haben jetzt aber noch wichtige Aufgaben vor uns. Wenn wir die wirtschaftliche Vertretung auf Herausforderungen wie Digitalisierung, Migration und Internationalisierung neu einstellen wollen, dann müssen wir die Organisation verändern. Das müssen die Älteren machen, die Erfahrung haben, gemeinsam mit den Jüngeren, die neue Ideen haben.

Wie wird die WKÖ-Reform aussehen?
LEITL:
Wir wollen – um einen Schwerpunkt zu nennen – eine Netzwerkorganisation werden. Besonders für kleine und Ein-Personen-Unternehmen. Etwa durch B2B-Kontakte. Dieses geschäftliche Netzwerk soll zugänglich und systematisiert werden. Indem wir etwa Financiers und Unternehmen, die sich entwickeln möchten, zusammenbringen.

Bis wann soll die Reform abgeschlossen sein?
LEITL:
In zwei Jahren.

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