T-Mobile-Chef Andreas Bierwirth: "Ich halte die neue Startup-Kultur für absolut wichtig"

Wieviel Zeit verbringen Sie täglich am Handy?
ANDREAS BIERWIRTH: Gute Frage. Handys sind ja längst mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Ich habe das jedenfalls so noch nicht zeitlich bemessen.

Warum sind Sie nicht auf Facebook?
Ich weiß, wie Facebook funktioniert. Ich weiß, dass ich auf Facebook oder Twitter mein Verhalten, meine Daten, meine Gläsernheit voll zur Verfügung stelle und ich von vorne bis hinten durchanalysiert werde, um kommerzialisiert zu werden. Auf der anderen Seite erkenne ich natürlich die Bedeutung von Facebook als Medium. Vermutlich werde ich also noch heuer auf Facebook gehen.

Würden Sie als Telekom-Manager auch gerne so mit den Daten ihrer Kunden Handel betreiben können wie Facebook?
Es wäre sicherlich für uns als Unternehmen eine Möglichkeit. In einer Welt des Preisverfalls könnte meine Branche neue Märkte gewinnen. Es ist ja absurd: Neulich wurden uns von Facebook Daten angeboten, die ich in meinem eigenen Unternehmen schon besitze, aber nicht verwerten darf, weil ich dadurch gegen Konsumentenrecht verstoßen würde. Facebook darf das.

Hat hier die EU-Politik gegen Facebook und Co. versagt?
Ich würde nicht die Politik für alles verantwortlich machen. Als nach der Snowden-Affäre der Datenskandal aufflog, war das Thema Datensicherheit ja in aller Munde. Ich kenne aber niemanden, der auch nur eine App gelöscht hätte.

Warum?
Das Nutzungserlebnis ist so stark, dass es vielen Leuten relativ egal ist, wie sehr sie durchleuchtet werden.

Aber wie kann ihre Branche Chancengleichheit mit Facebook und Co. erhalten?
Man muss für uns die Überregulierung beenden. Wenn man in Europa die digitale Industrie weiterhin als wichtigen Player haben will, dann muss man uns Wachstumsmöglichkeiten im Big-Data-Bereich erschließen lassen. Genau das wird blockiert.

Stattdessen könnte ihrer Branche aber bald E-Privacy in Haus stehen. Ein EU-Gesetz, bei dem ich Sie sozusagen anrufen und fragen muss, ob ich Sie anrufen darf.
Wenn man die europäische Telekom-Industrie wettbewerbsfähig gegenüber der digitalen und in ihren Geschäftsmodellen stark überlegenen Industrie in Silicon-Valley halten will, dann muss man das ändern. Und zwar in Form von Liberalisierung, die Gleichstellung zur Folge hat. Ich spüre in der Politik diese Art von Veränderungsbereitschaft aber nicht.

Warum nicht?
Weil man sich viel zu sehr vor der Gegendiskussion fürchtet, die beim Thema Datenschutz natürlich leicht zu führen ist. Da traut sich kein Politiker oder Regulator durch.

Was ist aber dann die Konsequenz?
Wenn wir die Fairness nicht haben, müssen wir Dinge auslagern. Über Tochterfirmen möglicherweise in die USA, damit wir als Gesamt-Unternehmen Dinge, die wir hier nicht tun dürfen, trotzdem machen können. Beinahe lustig finde ich übrigens, dass selbst die in Sachen Datenschutz radikalsten Politiker auf Facebook oder Whatsapp sind und nichts dabei finden, dass mit ihren intimsten Daten im Netz gehandelt wird. Das ist eine Divergenz zwischen der Lebensrealität und dem, was man eigentlich will. Die europäische Industrie ist da der Notleidende.

Andreas Bierwirth
T-Mobile-Chef Andreas Bierwirth im Interview mit Chefredakteur Wolfgang Unterhuber. (Foto: Thürridl)

Anderes Thema: Bald kommt das superschnelle Handydatennetz 5G. Was bedeutet das?
5G, also die fünfte Mobilfunkgeneration, bedeutet Datenübertragung in Echtzeit. Für die Industrie ist das ein Quantensprung. Für autonomes Autofahren zum Beispiel. Oder für die Medizin etwa bei Fern-Operationen, wo ein Operateur via Computer das Skalpell ansetzt und ein Roboter dann beim Patienten im gleichen Moment auch schneidet.

Und was bedeutet 5G für Privatkunden?
5G ist kein Netz für private Kunden. Nur ein wenig, weil natürlich die Kapazitäten mobil dramatisch erweitert werden.

In Südkorea soll eine Testversion von 5G noch heuer an den Start gehen. Und Europa?
Die Südkoreaner sind ja immer sehr weit vorne. Da gibt es eine sehr starke Elektronik-Industrie. Ich glaube aber, dass auch wir beim Thema 5G mit dabei sein werden.

Österreich will ja die digitale Wende schaffen. Realistisch?
Das Thema Digitalisierung wurde lange Zeit völlig unterschätzt. Digitalisierung ist ja nicht nur die Telekomindustrie. Da geht es im weiten Sinn um viel mehr wie Startups, Venture Capital und so weiter. In den politischen Entscheidungsebenen verstehen aber mittlerweile viele Personen, worum es da geht.

In Österreich herrscht Startup-Euphorie: Blase oder Realität?
Sowohl als auch. Sicherlich werden viele Startups sterben, aber ich halte es für absolut wichtig, dass es diese neue Startup-Kultur gibt. Gerade Konzerne wie unsere brauchen die Startup-Szene, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

T-Mobile und Deutsche Telekom brauchen Startups?
Ich könnte ein Buch darüber schreiben, wie schwierig es in einem Unternehmen unserer Größenordnung ist, wenn man Prozesse verändern und innovative Dinge hereinholen will. Beispiel: Unser Internet-Kinderschutz-Programm stammt von einem österreichischen Startup. Nach Österreich installieren wir das jetzt in Polen und dann in Deutschland. Deshalb finde ich es enorm wichtig, dass man so eine Startup-Szene hat. Denn dadurch kann man als Konzern Innovation sozusagen zukaufen.

Andreas Bierwirth
"Das Thema Digitalisierung wurde lange Zeit völlig unterschätzt", sagt Andreas Bierwirth im Interview. (Foto: Thürridl)

Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand des Breitband-Ausbaus?
Sehr. Wir haben als Mobilfunkunternehmen in Österreich die Breitbandversorgung in den letzten zwei Jahren schnell vorangetrieben. Es sind bis auf wenige Ausnahmen nahezu alle Gemeinden in Österreich mit Breitband aus der Luft – also via Mobilfunknetz – versorgt. Das Spannende ist, dass in Österreich die Internetversorgung aus der Luft, also über mobile Technologien, eine so starke Relevanz bekommen hat.

Tatsächlich?
Ich kenne kein europäisches Land, wo so viel Breitbandversorgung über mobile Technologien stattfindet wie hier. Ich kenne auch keine Mobilfunknetze, die derart viel Datenmenge transportieren wie die österreichischen Netze und trotzdem dabei noch eine so außerordentliche Performance haben.

Das müssen Sie mir erklären?
LTE, also der Mobilfunkstandard der vierten Generation, hat dafür gesorgt, dass Mobilfunk das Festnetz überholt hat. Und gerade jetzt dreht sich auch das Kundenverhalten. Die Kunden verstehen: Wozu braucht man ein Kabel? Man kann einfach seinen Router einstecken und es läuft.

Also kein Kabel mehr?
Korrekt. Man sagt Breitband und meint, wenn ein Festnetzkabel in jedem Haushalt die entsprechende Performance hat. Dabei hat man hat sie längst. Wir sind aus der Luft schon versorgt. Und wenn nach der vierten LTE-Generation 5G kommt, werden die Kapazitäten gerade im ländlichen Bereich dauerhaft stärker über mobile Technologien vorhanden sein als über Festnetztechnologie.

Festnetz ist somit gleichsam out?
Festnetz ist für mich allenfalls noch ein Produkt im Speckgürtel und in den urbanen Zentren, wo die Antennenleistung vielleicht einmal unter Druck geraten könnte.

Was sagen Sie zu den Menschen, die Angst vor der Digitalisierung haben?
Zunächst bin ich erleichtert, dass die Angst da ist. Bisher ist ja jeder bedenkenlos in die Sozialen Medien reingegangen und hat das als Spaß gesehen. Jetzt sieht man die Herausforderung. Aber natürlich kann niemand die digitale Revolution aufhalten. Viele Industrien und die Wirtschaft werden sich verändern. Aber das ist auch eine Chance. Nur: Wir müssen diese Chance auch nutzen, wenn wir dieses Land nicht zu einem Entwicklungsland machen wollen.

Klingt übertrieben.
Nein. Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, muss das Thema Digitalisierung umfassend gemanagt werden. Vom Kindergarten an über Schulen, über Universitäten, über Startups, über Konzerne, über Regulierung. Alle, die Politik und die Bürgerinnen und Bürger, müssen einen Beitrag leisten, um das Thema Digitalisierung zu verstehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Werden die Menschen in Zukunft nur noch SMS hin- und herschicken oder auch noch miteinander reden?
Es gibt immer mehr Kommunikation in Echtzeit mit immer mehr Menschen. Nur halt leider nicht mit seinem Gegenüber. Ich hoffe, dass da die Digitalisierung eines Tages eine Gegenbewegung auslösen wird: Also einfach mal da sein und miteinander reden.

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