Vida-Chef: "Flexibilisierung hat einen Preis"

Hebenstreit: "Ich kenne niemanden, der seine Haare zum Schneiden nach Indien schickt." | Foto: Arnold Burghardt
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  • Hebenstreit: "Ich kenne niemanden, der seine Haare zum Schneiden nach Indien schickt."
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Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl ist offen für den Mindestlohn. Freut Sie das?
ROMAN HEBENSTREIT:
Leitl hat Verständnis für die Forderung nach 1.500 Euro signalisiert. Das ist auf jeden Fall erfreulich. Ziel des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) sind 1.700 Euro Mindestlohn. Auf dem Weg dahin sind 1.500 Euro als Mindestlohn eine erste Etappe. Alleine in unserer Gewerkschaft Vida gibt es 18 Kollektivverträge, die darunter liegen, zwei sogar unter 1.300 Euro.

Wieviele Beschäftigte sind betroffen?
Alleine in den von uns vertretenen Niedriglohnbranchen wie Tourismus, Reinigung, Bewachung, Pflege oder Friseur sind es 190.000 Beschäftigte. Insgesamt verdienen laut Statistik Austria etwa 365.000 Beschäftigte unter 1.500 Euro.

Der Mindestlohn soll 200 bis 900 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich kosten.
Sobald über Mindestlöhne diskutiert wird, kommt die Frage nach der Finanzierbarkeit. Bei Managergagen, bei denen es enorme Steigerungen gibt, habe ich diese Frage noch nie gehört. Wirtschaftsforscher bestätigen, dass wir ein Nachfrageproblem haben. In Niedriglöhne investieren, heißt Kaufkraft fördern, denn hier geht jede Erhöhung eins zu eins in den Konsum, was wiederum der Wirtschaft zugutekommt. Insofern halte ich derartige Propaganda für entbehrlich.

Wird der Mindestlohn nicht zu einem Standortnachteil führen, wie es Unternehmer befürchten?
Der Großteil der Niedriglöhne betrifft Dienstleistungsbetriebe. Bei Dienstleistungen, also Friseure, Pflege, Kosmetik und Tourismus gibt es keinen Standortnachteil durch internationalen Wettbewerb. Ich kenne niemanden, der seine Haare zum Schneiden nach Indien schickt.

Sind Sie gegen Arbeitszeitflexibilisierung?
Die Vorschläge, die wir kennen, lauten: Zwölf-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche, zweijähriger Durchrechnungszeitraum. Man sollte die Dinge beim Namen nennen. Wenn einer Karl heißt, sag ich Karl zu ihm und nicht Franz. In Wahrheit geht es bei diesen Vorschlägen um eine massive Reduktion der Überstundenentlohnung. Bei 200 Millionen Überstunden im Jahr sind das bei einem durchschnittlichen Zuschlag rund 1,6 Milliarden Euro.

Die Arbeitgeberseite dementiert das.
Warum dann ein zweijähriger Durchrechnungszeitraum? Das bedeutet doch, dass der Arbeitgeber zwei Jahren Zeit hat, geleistete Überstunden durch Minusstunden auszugleichen und erst nach zwei Jahren die erste Überstunde als solche gezählt wird. Das Arbeitszeitgesetz wurde als Kräfteausgleich und zum Schutze des Arbeitnehmers eingeführt, da er gegenüber dem Arbeitgeber die schwächere Position hat. Zweitens: Unternehmer argumentieren ihren höheren Gewinnanteil in der Regel mit dem wirtschaftlichen Risiko, als auch mit dem der Auslastung.Wenn Aufträge kommen, soll man arbeiten. Wenn keine da sind, wird nicht gearbeitet. Eine derartige Arbeitszeitflexibilisierung bedeutet die Übertragung des Auslastungsrisikos vom Unternehmer auf den Arbeitnehmer. Wenn das so sein soll, dann muss der Arbeitnehmer auch einen höheren Anteil am Gewinn haben.

Was wollen Sie also im Gegenzug?
Es gibt etwa 930 Kollektivverträge, die zig Varianten an flexiblen Arbeitszeiten erlauben. Nur eben zu einem Preis. Arbeitszeit ist Lebenszeit und da bedarf es ausgleichender Maßnahmen. Mindestlohn ist sicher nicht der Preis für mehr Flexibilität. Zur Diskussion stehen eine 36-Stunden-Woche, eine sechste Urlaubswoche oder eine Entschärfung der All-in-Verträge, die ja ursprünglich für Manager gedacht waren, mittlerweile aber auch bei Regalbetreuerinnen oder Bewachern eingesetzt werden.

Roman Hebenstreit, 45, schloss zunächst eine Lehre zum Maschinenschlosser ab und bildete sich dann zum Lokführer weiter. Der gebürtige Steirer ist seit 1997 gewerkschaftlich tätig. Seit sechs Jahren ist er Vorsitzender des ÖBB-Konzernbetriebsrats und wurde im Dezember 2016 zum Chef der Teilgewerkschaft Vida gewählt, die etwa 135.000 Mitglieder hat.

Hebenstreit: "Ich kenne niemanden, der seine Haare zum Schneiden nach Indien schickt." | Foto: Arnold Burghardt
Hebenstreit ist neben seiner neuen Funktion als Vida-Chef auch Konzernbetriebsratsvorsitzender der ÖBB. | Foto: Arnold Burghardt

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