Jugend ohne Kult: Die ersten Gruftis pilgerten vom Franz zum Conny

Friedhöfe und Gruftis gehörten in den Achtzigern untrennbar zusammen. Wurde eine Reise gemacht, standen die Gottesäcker auf dem Sightseeingprogramm, wie hier in Irland.
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  • Friedhöfe und Gruftis gehörten in den Achtzigern untrennbar zusammen. Wurde eine Reise gemacht, standen die Gottesäcker auf dem Sightseeingprogramm, wie hier in Irland.
  • hochgeladen von Maria-Theresia Klenner

WIEN, Mitte der Achtziger: In einem Kaffeehaus in der Schönbrunner Straße 285 in Meidling wird die Melange auf einem kleinen Silbertablett mit einem Wasserglas serviert, Zeitungen hängen in Holzrahmen an den Wänden und ein Billardtisch im Hinterzimmer lädt zu einer Partie Pool ein. Die Luft ist verraucht, der Kellner unhöflich - alles ganz so, wie man es sich von einem Wiener Kaffeehaus erwartet. Nur die Gäste sind alles andere als typische Kaffeehausbesucher. Statt alter Männer mit kleinen Hunden und Schulschwänzern besteht das Publikum aus sehr bleichen, schwarz gekleideten Menschen, die ihre blauschwarz gefärbten Haare zu Vogelnestern auftoupiert haben. Als Schmuck hat die illustre Runde große silberne Kreuze, Rosenkränze und Spinnenohrringe angelegt. Bedient werden die jungen Menschen mit den stark schwarz umrandeten Augen von einem genervten Ober in einem schillernden Gilet. Es ist ein Uhr nachts und Neuankömmlinge werden von besagtem Kellner mit der Frage "Viel Leut´ im U4?" begrüßt.


Der Treffpunkt der Wiener Gruftiszene war "beim Franz".

Die jungen Leute sind die ersten Gruftis der Stadt, der Ober heißt Franz und ist eine Kultfigur der Wiener Undergroundszene, deren Heimat der Club U4 bei der U4-Station Meidlinger Hauptstraße ist. Aufgrund der Nähe zum "U" avancierte das Café Raimann binnen kürzester Zeit zum Treffpunkt der Szene. Ein paar Krügerl später wurde der Gang ins U4 angetreten, doch bis zur Sperrstunde pendelten die Nachtschwärmer gerne zwischen dem Club und "dem Franz" (nur Leute, die keine Ahnung von der Gruftiszene hatten, gingen "ins Café Raimann"). Verließ man "den Franz", kam man "zum Conny", dem legendären Türsteher Conny de Beauclair des U4.



Für das Café Raimann und das U4 gab es sogar eine gemeinsame Visitenkarte samt Plan, wie man vom Franz zum Conny findet.

Das U4 wurde am 8. Mai 1980 als Diskothek von Ossi Schellmann, dem Vater der Summerstage, eröffnet und entwickelte sich aufgrund der wechselnden Veranstaltungen - heute Clubbings genannt - und Konzerte zum Tempel der heimischen Subkultur. "Erst kamen die Mods und Popper ins U4 und ganz plötzlich waren die Gruftis da", erklärt Conny. "Sie haben sich stark an England, wo die schwarze Szene ihren Anfang hat, orientiert und hörten Joy Division. Ich habe immer Gruftis zu ihnen gesagt und bilde mir ein, den Namen somit erfunden zu haben."


Ein Ausflug führte den Grufti wie Claudia Rossner-Ponitz in den Achtzigern stets auf einen Friedhof.

"Die Gruftis haben nie Probleme gemacht, das waren die sympathischsten Leute", erinnert sich Karin Rudolf, die einst hinter der Bar und dem DJ-Pult im Clubraum anzutreffen war. "Das Interessante an den Gruftis war, dass sie aus den unterschiedlichsten Schichten kamen. Vom Student über den Künstler bis hin zum Lehrling waren alle vertreten."

Ein Leben für den Tod

Tatsächlich hat die Gothic-Szene, die sich Anfang der 1980er Jahre ebenso wie der New Wave aus der Punkbewegung heraus entwickelte, ihren Ursprung in England und war auch dort unabhängig von Gesellschaftsschichten. Morbide Literatur von Edgar Allen Poe bis Bram Stoker, schwarze Kleidung, alte Horrofilme mit Bela Lugosi und Boris Karloff sowie eine Vorliebe für Friedhöfe, den Tod und die Nacht kennzeichneten die Gruftis der ersten Stunde. Am Wichtigsten war jedoch, ebenso wie bei allen anderen Subkulturen, die Musik. The Cure, The Sisters of Mercy, Nick Cave and the Bad Seeds, Fields of the Nephilim und Joy Division unterstützten die unglücklichen Jugendlichen von Beginn an in ihrer Todessehnsucht; Mitte der Achtziger gesellten sich Bands wie The Mission und The Jesus and Mary Chain im Plattenregal dazu. Zusammenfassend kann die Musikrichtung der Gruftis als Post Punk/New Wave/Gothic Rock beschrieben werden. Auch poppige Elemente wurden hinter vorgehaltener Hand geduldet, doch wer U2 offiziell Siouxsie and the Banshees vorzug, musste mit verächtlichen Blicken rechnen.


Zum M’era Luna Festival im deutschen Hildesheim reisen Mitglieder der schwarzen Szene, wie Mel Ania Le aus Wien (rechts), aus ganz Europa an.

Wie in anderen Subkulturen auch, war den Gruftis eine gewisse Arroganz eigen. Sie gehörten einer in ihren Augen elitären Gruppe an und waren erleichtert, mit ihrer Melancholie und Faszination für alles Morbide nicht mehr allein zu sein. Jemanden zu treffen, der im Ö3-dominierenden Wien Cure-Bootlegs aus England besaß und wußte, wer Nick Cave ist, war eine Offenbarung und gab den Jugendlichen Hoffnung, dass die Welt vielleicht doch nicht so schlecht wie zutiefst empfunden ist.

Grufti goes Mainstream

In den 90ern begann sich die schwarze Szene zu wandeln: Die einst wallende viktorianisch angehauchte Kleidung musste engen Lackstücken weichen, die Schminke wurde immer skurriler, aus Gruftis wurden plötzlich Gothics und das Independent-Musikmagazin Zillo verwandelte sich in das Sprachrohr der deutschsprachigen Gothic-Szene. Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der schwarzen Subkultur wurde die Szene immer größer und DJ-Veranstaltungen wie "Dance or Die" oder "Ashes to Ashes" gingen in Wien in Serie. Neue Gesichter tauchten in der schwarzen Szene auf, etliche "Gründungsväter" verschwanden und irgendwann war auch der Franz aus dem Raimann Geschichte.

Mit dem "Wave Gotik Treffen", das seit 1992 jedes Jahr am Pfingstwochenende in Leipzig stattfindet, begann international die geographische Veränderung der Szene, die mit der Jahrtausendwende abgeschlossen war. "London war lange Zeit der Hotspot, doch die Szene verlagerte sich immer mehr nach Deutschland", so Werner Nowak, der als DJ Eraserhead nicht nur im "Viper Room" auf der Landstraßer Hauptstraße und im "Down Under" auflegt, sondern 2001 den "Schwarzen Reigen" - einen Ball für die schwarze Szene, die abwechselnd im Palais Eschenbach und im Schloss Neugebäude stattfindet - ins Leben rief.

"Love Will Tear Us Apart" von der Band Joy Division im April 1980 veröffentlicht, ist ein bis heute unerreichter Klassiker.

DJ Eraserhead, der erst 1991 von Niederösterreich nach Wien zog und ursprünglich aus dem Metal- und Punkbereich kommt, konnte die Entwicklung der Gruftis in den letzten 26 Jahren hautnah miterleben. "Mittlerweile zählt nicht mehr so der ursprüngiche Gedanke, sondern es geht mehr um das Drumherum. Ich denke schon, dass Musik nach wie vor ein wichtiger Aspekt ist, aber heute ist es eher Partymusik. Zum Glück kommen neue Bands im alten Stil nach, wie etwa "She Past Away" aus der Türkei."

"Was klingt denn da so beschissen?"

Während Urgesteine wie Claudia Rossner-Ponitz, die ihren ersten U4-Besuch in den Achtzigern als das "Finden einer verlorenen Heimat" beschreibt und heute Bands wie Turm & Strang und Massenhysterie managt, die jungen Gruftis als schaulaufende Modegruftis bei Events beschreibt, ortet DJ Eraserhead eine begrüßenswerte Retroschiene: "Es wird wieder zurück Richtung Achtziger gehen. Neonfarben sind aus den Outfits der jungen Gothics verschwunden und ich hoffe, dass der Sound wieder gitarriger wird." Eher skeptisch steht Conny dieser Aussage gegenüber. "Die Jugend heute ist total fad, alle sind gleich", klagt die U4-Legende. "Auch die Musik hat in den letzten Jahrzehnten gelitten. Irgendwann legten die DJs nicht mehr Vinyl auf, sondern brannten ihre Lieder auf CDs und nun kommen sie überhaupt mit dem Laptop. In den Neunzigern bin ich eines Tages im U4 runter zu einem DJ gegangen und habe ihn gefragt: ´Was klingt denn da so beschissen?´ Zur Antwort erhielt ich, dass er nicht mehr Vinyl auflegt, sondern sein Programm auf CDs gebrannt hat."


Das Grab von Ian Curtis am Macclesfield Cemetery ist seit den Achtzigern eine Pilgerstätte für Gruftis.

Während einige Gruftis Anfang der Neunziger abtrünnig wurden und sich dem Grunge zuwandten (naürlich hat auch Nirvana im U4 gespielt), sind im Jahr 2017 noch Überreste der damaligen Subkultur bei Konzerten der einstigen Helden anzutreffen. Nach wie vor am Thron der schwarzen Szene sitzt Joy-Division-Sänger Ian Curtis, der sich am 18. Mai 1980 einen Tag vor dem Beginn der Amerika-Tour strangulierte. Sein Grab wird nach wie von Gruftis aus der ganzen Welt besucht.

"Die heutige ist Szene ist überaltert, da es etliche Leute gibt, die immer dabei bleiben. Es gibt Gruftis, die sich bereits in ihren Sechzigern befinden!", so Werner Nowak alias DJ Eraserhead. Zum Franz geht der Mittvierziger heute ebenso wie der Rest der Szene nicht mehr, dafür pilgern die Gothics zu ihm ins Palais Eschenbach - denn wenn Eraserhead auflegt, fühlen sich selbst die Sechzigjährigen wieder wie in den Achtzigern - blutleere Gesichter inklusive.

"The Mercy Seat" von Nick Cave wurde 1988 veröffentlicht und handelt von einer Exekution auf dem elektrischen Stuhl.

Lesen Sie mehr aus der Serie "Jugend ohne Kult":

Kommentar:Die Achtziger sind kein Mythos, es hat sie wirklich gegeben Bericht:Wo sind die Mods, Punks und Gruftis? Punks not dead in Währing

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