23. März 2016: Wie man sich Migration schön rechnet
In Zeiten anhaltender Flüchtlingsbewegungen und schockierender Terroranschläge haben die Hass-Poster im Internet Hochkonjunktur. Dem wolle man etwas Positives entgegenhalten, hat man sich daher wohl an der Uni Wien gedacht. Eine an sich erfreuliche, gut gemeinte Idee. Leider hat man in der Umsetzung bewiesen, dass "gut gemeint" tatsächlich nur allzu oft das Gegenteil von gut ist.
Denn die Wissenschafter der Uni Wien, konkret drei Soziologen und Soziologinnen, haben eine nette, bunte Grafik geschaffen. Anschaulich, klar, unterhaltsam. Ein Lob an den Grafiker. Der Inhalt ist es, der zu denken gibt. Die Grafik trägt den Titel „Wie wäre Wien eigentlich ohne Migration?“ Aufgelistet werden allerlei Fakten rund um die Rolle von Migranten im Leben der Bundeshauptstadt (die gesamte Grafik siehe unten).
Die Daten, die die Wissenschafter dafür verwendet haben, stammen aus unterschiedlichen Untersuchungen. Inwieweit es wissenschaftlich sauber ist, diese nebeneinander zu stellen, ohne zu hinterfragen, ob die Ergebnisse auch wirklich zueinander passen, sei dahingestellt.
Wesentlich problematischer ist, dass die Forscher in eine Falle getappt sind: Statt sich auf Fakten zu konzentrieren, die verdeutlichen, in welchen Bereichen die Stadt wirklich von Migranten profitiert, hat man sich hinreißen lassen, allerlei verspielte pseudo-wissenschaftliche Behauptungen aufzustellen. Einige Beispiele gefällig?
Glauben Sie, dass Wien wirklich „hungriger“ wäre ohne Migration? Weil es ohne Migration tatsächlich, wie in der Grafik vermerkt, 71 Imbissstände weniger und daher keine (!) Pizza gäbe in Wien?
Oder dass die Wiener wirklich „einsamer“ wären, weil der Partner jedes Vierten nicht hier wäre? Gehen Soziologen der angesehenen Universität Wien tatsächlich davon aus, dass all diese Menschen glück- und partnerlos geblieben wären? Schön, dass da noch jemand an die einzig wahre Liebe im Leben glaubt. Wissenschaft ist das nicht.
Und glauben Sie, dass Wien „ungebildeter“ wäre, weil 30 Prozent der Studierenden eine ausländische Staatsbürgerschaft haben? Haben die Verfasser da die deutschen Numerus-Clausus-Flüchtlinge mit eingerechnet, die zumeist das Land bald wieder verlassen? Haben sie generell schon mal etwas vom Brain Drain gehört? Und wissen sie eigentlich, dass die Zahl der Studierenden (leider gerade an der Uni Wien) schon lange nichts mehr mit jener der tatsächlichen Absolventen zu tun hat?
Ein positives Bild von Migration und Migranten zu zeichnen, tut in Zeiten wie diesen gut - und not. Aber wenn eine Institution wie die Uni Wien nur eine geschönte Wellness-Grafik zustande bringt, statt argumentierbare Fakten zu präsentieren, dann sorgt das nicht für positive Stimmung. Sondern bei vielen Menschen eher für noch mehr Verärgerung. Den Vorwurf, hier etwas schön rechnen zu wollen, muss man sich gefallen lassen.
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