Fesselndes Finale des 21. Philosophicum Lech

Sophie Loidolt bei Ihrem Vortrag über "Lust und Frust des animal laborans. Hannah Arendt über die Verfallsformen der vita activa". | Foto: Philosophicum Lech, Florian Lechner
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  • Sophie Loidolt bei Ihrem Vortrag über "Lust und Frust des animal laborans. Hannah Arendt über die Verfallsformen der vita activa".
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LECH. Bevor das Philosophicum Lech alljährlich beim genüsslichen Vorarlberg Brunch im Festzelt ausklingt, steigt jedes Mal die Spannung. Schließlich finden sich unter den rund 600 Teilnehmern viele Stammgäste, die wohl nichts sehnlicher erwarten als die Bekanntgabe des Themas im folgenden Jahr durch Ludwig Muxel. Heuer spannte der Bürgermeister von Lech die Zuhörerschaft besonders auf die Folter. Dies lässt sich aus der Erheiterung des Publikums schließen, als er seinen Dankesworten an alle Beteiligten nützliche Informationen folgen ließ – doch sich die Wichtigste für den Schluss aufsparte. Stattfinden wird das Philosophicum Lech 2018 vom 19. bis 23. September. Da die Veranstaltung jedes Jahr noch früher ausgebucht ist, sei eine möglichst frühzeitige Online-Anmeldung angeraten. Sie startet am 03. April 2018 um 0:00 Uhr! Mehr, sprich das Thema 2018 sei auch hier erst einmal nicht verraten.
Um der Faszination des Philosophicum Lech auf die Spur zu kommen, spricht man am besten mit den Teilnehmern. Ob Erstbesucher oder mittlerweile schon bekanntes Gesicht ist dabei egal. Dominieren bei den einen Momente spontaner Begeisterung, offenbart sich bei den anderen eine emotionale wie auch intellektuelle Verbundenheit – zudem ein Fundus an Anekdoten. Meist kommen auch die Vorzüge von Lech am Arlberg zur Sprache. Sei es das kulinarische Angebot und Niveau, sei es der Komfort der Unterkünfte, sei es die vorherrschende Gastfreundschaft und natürlich auch die herrliche Bergkulisse. Bekanntlich kommen einem beim Gehen bzw. Wandern oft die besten Gedanken und die frühherbstliche Landschaft gibt dazu Gelegenheit genug. Vor allem ist es aber die einzigartige Kombination zwischen einem Kurzurlaub oder Tagesausflug sowie mannigfaltiger geistiger Anregung und Auseinandersetzung.

Anstoß vor über 20 Jahren

Als Schriftsteller Michael Köhlmeier vor über 20 Jahren den Anstoß für ein geistes- bzw. kulturwissenschaftliches Symposium in dem vor allem als Ski-Eldorado bekannten Alpendorf gab, konnte wohl kaum jemand die Erfolgsgeschichte des Philosophicum Lech voraussehen. Zu verdanken ist diese insbesondere dem wissenschaftlichen Leiter Konrad Paul Liessmann, Professor für „Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik“ an der Universität Wien und profilierter Kulturpublizist. Sowohl durch die Auswahl der Themen, im Wissen um brennende Fragen der Zeit, als auch durch die der Referenten garantiert er für die Aktualität und zugleich wissenschaftliche Qualität des Philosophicum Lech. Längst gilt es als Vorzeigemodell für philosophische Diskurse außerhalb akademischer Institutionen.
Aufgrund der Erfahrungsberichte und der auch damit verbundenen hohen Reputation folgen exzellente Vertreter ihres Fachs aus dem gesamten deutschsprachigen Raum der Einladung nach Lech. Auf die Frage an einen der heurigen Referenten, ob er das erste Mal hier sei, meinte dieser: „Ja. Und hoffentlich bald wieder.“ Die Teilnehmer kommen in den Genuss ausgezeichneter Vorträge und zur Gelegenheit anregender Diskussionen – ob mit den Wissenschaftlern oder auch untereinander. So bunt das Publikum, so bunt auch die Gespräche, wie etwa in der legendären Philosophenbar. Allgemeinverständliche Vermittlung und Interdisziplinarität sind zweifellos Stärken des Philosophicum Lech. Und das Programm während der vier Tage zeigt sich so kurzweilig wie vielseitig, wovon man sich auch heuer wieder überzeugen konnte.

Von Roboter Aristoteles bis zum neuen Geist des Laboralismus

Das erste Referat am Freitag hielt Sophie Loidolt, Philosophieprofessorin an der Universität Kassel. „Ich möchte Sie heute mit einer von Hannah Arendts Grundfragen aufwecken“, verwies sie einleitend auf das Hauptwerk „Vita activa“ der deutsch-US-amerikanischen Philosophin. „Lust und Frust des animal laborans. Hannah Arendt über die Verfallsformen der vita activa“ lautete der Vortrag. In diesem zeichnete Loidolt nach, wie die weltberühmte Theoretikerin bereits 1958 voraussah, „dass die geschichtlichen Grunderfahrungen des menschlichen Tätigseins am Ende der Entwicklung der Moderne sämtlich auf den eindimensionalen Blickwinkel des Arbeitsprozesses herabnivelliert worden“ sein werden. Auf die Dystopie von Arendt folgte ein echter Clou des Physikers, Schriftstellers und Wissenschaftsredakteurs für „Die Zeit“ Ulrich Schnabel. Und zwar übermittelte er einen Forschungsbericht aus einem japanischen Labor der Zukunft (2033) über einen humanoiden Roboter namens Aristoteles. Nachdem dieser auf Ineffizienz und die Produktion von Unsinn programmiert wird, fängt er an zu träumen, wird faul und erzählt schräge Witze. Der Witz an Schnabels Geschichte: Sollten Roboter jemals menschlich werden, wären sie kreativ, würden philosophisch und völlig unberechenbar, doch womöglich weise.
Ernster im Ton war der erste Vortrag am Samstagnachmittag unter dem Titel „Über die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus – heute“. Stephan Lessenich, Professor am Institut für Soziologie der Universität München (und Nachfolger von Ulrich Beck, der mit seinem Werk „Risikogesellschaft“ weltberühmt wurde), analysierte die „neoliberalen“ Reformen der letzten drei Jahrzehnte als Versuch, durch politische Intervention die Kultur der Erwerbsarbeit wiederzubeleben. In dem neuen Geist, von ihm Laboralismus genannt, sieht er allerdings Selbstwidersprüche. Anschließend präsentierte der Wiener Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal ein breites Panorama an Problemen und fragwürdigen Lösungsvorschlägen, aber auch realistischen Alternativen bezüglich des rasanten Wandels unserer Arbeitswelt. Im Kern schlug er vor, die Arbeit gerechter zu verteilen und auch Tätigkeiten in Haushalt, Erziehung oder Pflege zu entlohnen. Da er damit jenen Arbeitsethos bzw. jene politischen Vorstellungen vertrat, die Lessenich zuvor kritisierte, erwies sich die übliche Publikumsdiskussion mit den beiden Referenten als besonders dynamisch.

Von wohliger Hygge, „produktivem“ Konsum und einem Paukenschlag

Deutlich unaufgeregter, ja geradezu kommod gestaltete sich der Sonntagvormittag. So führte Christoph Bartmann, Leiter des Goethe-Instituts in Warschau, unter dem Titel „Probier’s mal mit Gemütlichkeit. „Hygge“ und die Flucht aufs eigene Sofa“ in den biedermeierlich-funktionalistischen dänischen Wohn- und Lebensstil ein. Dabei kam er auf dessen historischen Hintergrund wie auch aktuellen Hype zu sprechen und nannte Hygge eine „Form des geselligen, sozial verträglichen Müßiggangs“, ein „Appell zu einer Lebensführung, die nicht arbeitszentriert ist“. Ebenso unterhaltsam geriet der das Philosophicum Lech 2017 abrundende Vortrag des ehemaligen Professors für Kunstwissenschaft und nunmehrigen freien Autors, Dozenten sowie Beraters Wolfgang Ullrich. Als streitbarer Querdenken bekannt, eröffnete er ein neues Kapitel der Konsumkritik, indem er anschaulich erläuterte, dass der Konsum mittlerweile die Charakteristik von Arbeit angenommen habe. Wer beim Einkaufen tunlichst auf die Produktionsbedingungen achtet, sich auch beim Zusammenbau von Möbeln als Experte versucht, zudem sich beim Konsumieren als Kreativer geriert oder gar als “Influencer” seinen Konsum als Job definiert, ist produktiv – oder scheint es zumindest zu sein. “Dem Konsum wurde somit alles Frivole genommen. Er ist Arbeit. Er verbessert die Welt. Er ist protestantisch und links”, so Ullrich. Bei so viel Ironie mag sich manch Zuhörer ertappt fühlen, wie der Kunsthistoriker anmerkte.
Wie Bartmann bei seinem Hygge-Vortrag erklärte, gehören die behagliche Stimmung sowie freundschaftliche Geselligkeit, außerdem der mäßige Genuss von Alkohol und gutes Essen zur Hygge. Was dann noch fehle, sei etwas „Un-Hyggeliges“ wie zum Beispiel ein Sturm vor der Tür. Lachte in Lech von Donnerstag bis Samstag wie so oft die Herbstsonne vom Himmel, wurde es am Sonntagvormittag etwas windig und regnerisch. Hyggeliger hätte das Symposium nicht ausklingen können. Während die Teilnehmer sich im Festzelt am vorzüglichen Vorarlberg Bruch delektierten, wurde bereits lebhaft über das kommende Philosophicum diskutiert, bezüglich einzelner Vortragsthemen wohl auch spekuliert.
Jedenfalls erinnerte auch das Leitthema 2018 prompt an den Vortrag von Bartmann. Hatte dieser doch zu bedenken gegeben, dass auch in die heile Hygge-Welt das Unbehagen einbrechen kann - veranschaulicht an den Werken des dänischen Filmemachers Lars von Trier, der das Grauen prächtig zu inszenieren und tiefgründig zu analysieren weiß. 2018 trägt das Philosophicum Lech jedenfalls den starken Titel: „Die Hölle. Kulturen des Unerträglichen“.
Weitere Informationen unter www.philosophicum.com

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