Konzerthaus
Bürger Europas erhebt euch
Beethovens Neunte im Wiener Konzerthaus am ersten Tag des neuen Jahres ist Verpflichtung und höchstes Vergnügen. Nach einer Nacht, die durch ein von Böllern gestörtes Hündchen zum Glück nicht so schlimm ausgefallen ist wie befürchtet, aber die Völlerei und der Alkohol doch Wirkung gezeigt hat, bringen mich erst nach zwei Schlafeinheiten wieder in die Spur.
Heuer ist ein ganz großer Dirigent der jüngeren Generation als Vorsitzender auf der Orchesterbühne: Andrés Orozco-Estrada. Ich folge ihm, seit er beim Tonkünstler Orchester Niederösterreich sein Engagement hatte. Manche meinen, ich verfolge ihm. Gerne bin ich ein musikalischer Stalker, wenn einem die beste Performance geboten wird. 2020 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker.
Unterstützung findet er durch die Wiener Singakademie (Einstudierung: Heinz Ferlesch) und den SolistInnen Regula Mühlemann, Sopran, Dorottya Láng, Mezzosopran (präsentiert im Rahmen des Förderprogramms »Great Talent«), Steve Davislim (Tenor) und Florian Boesch, Bassbariton.
Andrés Orozco-Estrada, nimmt sich viele Monsterwerke vor, die er zu einem musikalischen Erlebnis macht. So auch 2018 bei den Bregenzer Festspielen, als er das Te Deum von Antonín Dvořák leitete. Und nun Beethovens Neunte „An die Freude“ nach der Textvorlage von Friedrich Schiller. 1972 wurde das Hauptthema des letzten Satzes vom Europarat zur Hymne erklärt. Es ist gleichzeitig ein Bekenntnis zu Solidarität, Frieden und gegen Hass sowie nationalistischem Denken. Sehr früh haben die EU-Größen die Macht der Musik erkannt. Wenn auch heute nur mehr ein zerbröckelter Haufen übrig ist, den selbst die österreichische Ratspräsidentschaft nicht zu stoppen im Stande war. Ganz im Gegenteil. Egoismen wurden verteidigt, statt abgebaut. Was bleibt, ist die Musik, die Hoffnung bringt.
Europas Bürger erhebt euch, hört nicht auf die Orbans, Kaczynskis, Salvinis, Vilimskys. Orientiert euch nach dem Bundespräsidenten. Das Konzert habe ich als Manifest für Europa empfunden. Andrés Orozco-Estrada lässt das Werk mit feiner Ausgewogenheit spielen, mal rasant, mal verhalten. Bei dem in Wien lebenden Kolumbianer kommen die einzelnen Orchestergruppen als Bestandteil einer klug akzentuierten Aufführung zur Geltung. Die SängerInnen tragen im letzten Satz mit hoher Perfektion ein kraftvolles Zeichen zum Klangbild bei. Ebenso wie die Wiener Singakademie. Ein musikalischer Bogen legt sich über das Beethoven-Fundament. Einen besseren Jahresbeginn kann man sich nicht wünschen. Der Maestro und die Wiener Symphoniker können miteinander. Dementsprechend war der brandende Applaus mehr als berechtigt.
Während ich den Text schreibe, höre ich im Livestream das Klavierkonzert Nr. 4 von Beethoven und die Symphonie Nr. 7 von Anton Bruckner. Alan Gilbert dirigiert das Elbphilharmonie Orchester. Der Amerikaner ist am 11.1.19 Gast im Wiener Konzerthaus.
Infos und Tickets: www.konzerthaus.at
Reinhard Hübl
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