Kann Musik Demenz verhindern?
„Warum gerade ich? Was habe ich verbrochen?“ fragen sich Betroffene. Nein, natürlich kann Musik die Demenz nicht verhindern, aber sie kann die Angehörigen ein wenig trösten. Sehr bedrückt strebe ich dem Musikverein zu. Den Adventmarkt am Karlsplatz meide ich. Mental erschöpft nehme ich das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich wahr. Das Programm ist für meine Stimmung genau richtig: „The Unanswered Questions“ (Die unbeantworteten Fragen). Trotz allen Bemühens findet Komponist Charles Ives keine Antworten.
Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada führt Mahler und Ives anmutig und sensibel zusammen. Letzterer hatte es zeitlebens schwer, anerkannt zu werden. Sein ungewöhnlicher Kompositionsstil verschreckte Publikum und Kritik. Und doch ist der ungewöhnliche Künstler ein Big Player der neueren Klassik. Die Streicher sind die Basis, die während des gesamten Stückes einen choralähnlichen Hintergrund bilden und den dissonanten Blasinstrumenten scheinbar kein Kontra bieten können. Mit wuchtigen Schlägen geben die Schlagwerker den Takt vor. Der Amerikaner sucht eine Antwort nach der ewigen Frage unserer Existenz. Doch die musikalische Antwort ist vernebelt und mysteriös. Das Werk endet unbefriedigend, unvollendet, obwohl sich alle Instrumentengruppen bemühen, Aufschluss über die Geheimnisse des ungewöhnlichen Stückes zu geben.
Das Tonkünstler- Orchester Niederösterreich spielt in Hochform. Daher dankt Andrés Orozco-Estrada zuerst lange seinen Musikern und erst dann wendet er sich mit Verneigung dem Publikum zu, das von der elementaren Gewalt des Werkes überwältigt ist und nur zaghaften Applaus spendet. Der Dirigent hat die Gabe, trotz strengem Blick immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben. Dass wir ihn ans Houston Symphony-Orchestra abgeben müssen, schmerzt.
Wer so wie ich ein glühender Anhänger des Kolumbianers ist, sollte am 9.4.2015 in den Musikverein gehen, oder am 11.4. nach Grafenegg fahren.
Infos und Tickets: www.tonkuenster.at, www.grafenegg.com
Reinhard Hübl
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