Konzert zweier behinderter Komponisten
Dass Beethoven zunehmend an Schwerhörigkeit litt, ist allgemein bekannt, dass Béla Bartók quasi im Totenbett das Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 komponierte, schon weniger. Der an Krebs leidende Ungar war ein Getriebener. Dem Faschismus entzog er sich durch die Ausreise in die USA. Schwere Depressionen und der schleichende Krankheitsverlauf lassen ihn den Vorsatz fassen: „nie und unter keinen Umständen“ wollte er ein neues Werk schreiben. Dennoch, das Boston Symphonie Orchestra erteilt Béla Bartók einen Kompositions-Auftrag. Er schreibt ihn in Windeseile - sein Abschied an die Welt.
Den Beginn des Sonntagskonzertes im Wiener Konzerthaus macht Beethovens Ouvertüre in c-moll zu „Coriolan“. Nebenan, im Akademietheater, ist die Textfassung des Trauerspiels zu sehen. Der römische Feldherr Coriolan lässt keinen Zweifel daran, dass ihm durch seine Erfolge im Krieg der Konsul-Titel nicht zu nehmen ist. Er muss sich dem Volk stellen, das ihn wählen soll. Eine Zumutung meint er. Wegen seines Zornes und seiner Unbeherrschtheit entzieht ihm das Volk den wichtigen politischen Posten und verbannt ihn. Das nimmt er nicht hin, bald zieht er mit einem großen Heer gen Rom. Er will die Stadt vernichten. Die Familie, insbesondere die Mutter, bittet ihn auf Knien um Verschonung. Coriolan, bar jeder Perspektive, wählt den Freitod. Nun, in einer 10-minütigen Ouvertüre ist das Geschehen nicht abzuhandeln. Aber in einem kleinen Ausschnitt - wenn ich das Bild im Programmheft richtig deute - geht es um das Flehen der Mutter das Gemetzel zu beenden. Für die Wiener Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Philippe Jordan ist es die Aufwärmrunde.
In Béla Bartóks Symphonie feiert ein Debütant seinen ersten Auftritt in Wien: François-Frédéric Guy. Der ausgewiesene Beethoven-Experte spielt diesmal nicht in seinem Stammfach, sondern in einem Klavierkonzert des Ungarn Bartók. Er macht es mit Leidenschaft und Professionalität. Jordan gibt ihm viel Freiraum für die Gestaltung. Im Programmheft gibt es vielerlei Deutungen über die Musik Bartóks. Ich sage ihnen aber, die Musik ist ein Aufbäumen gegen die Krankheit. Wuchtige Passagen folgen einem leisen In-sich-hineinhören. Ich hatte selbst Krebs und fühle mich mit dem Werk sehr verbunden. In der Zugabe von François-Frédéric Guy kommen in Johannes Brahms Intermezzo in h-moll op. 119 die leisen Töne zur Geltung. Ein Wiedersehen wäre wünschenswert.
„Pastorale“ bedeutet sinngemäß Seelsorge. Beethoven war zwar getaufter Katholik, hatte aber keine wirkliche Beziehung zur Kirche. Auch in späteren Jahren lehnte Beethoven institutionalisierte Formen der Frömmigkeit ab und machte sich in seinen Briefen wiederholt über die katholischen Gebräuche lustig. Zu seinen Lieblingsbüchern zählten die 1811 erschienenen „Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur“ des protestantischen Theologen Christoph Christian Sturm. Beethoven hatte einen Gottbegriff wohl nicht im katholischen Sinn. Nichtsdestotrotz verfasste er Hymnen mit lateinischem Text. Die Symphonie hat er in Wien geschrieben. Ich sehe ihn vor mir, wie er den Beethoven-Gang in Nussdorf entlang geht, umgeben von Natur, Wäldern, Kräutern, was ihn wohl zum ersten Satz inspiriert hatte.
Philippe Jordan leitet die Wiener Symphoniker mit großen Gesten und Umsicht. Seine aufmunternde Art ergibt ein exzellentes Gesamtbild, was das Publikum mit Jubel quittiert.
Next: Frühling in Wien am 15./16.4. mit Jean-Yves Thibaudet am Klavier und Philippe Jordan am Pult.
Top aktuell: Soeben hat intendant Matthias Naske das Jahresprogramm 2017/18 vorgestellt. Schwerpunkte sind Beethoven, Mahler, der neue Zykus Teodor Currentzis, Great Talent (Förderung hochbegabter Musiker (innen), der Zykus "Verhören", der besonders Kinder ansprechen soll. Natürlich kommen auch internationale Orchester ins Konzerthaus. Die Wiener Symphoniker sind und bleiben das Stammorchester. Und eine Sänger (innen)-Riege der aller Besten.
Infos und Tickets: www.konzerthaus.at
Reinhard Hübl
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