Gendern soll uns allen auf die Nerven gehen!

Armin Turnher und Michael Fleischhacker fragten an prominenter Stelle in der Kleinen Zeitung jüngst, ob ihnen Gendern auf die Nerven gehen darf.
Antwort: Aber natürlich, meine Herren! Es darf uns alles Mögliche auf die Nerven gehen, denn wir leben ja in einer Demokratie. (Gott sei Dank in einer katholischen!)

Als SouveränInnen des Staates sind wir sogar aufgefordert, uns einzubringen und denkend mitzugestalten. Solange wir damit keine Gesetze brechen, dürfen wir unsere Meinungen frei äußern und auch zu Papier bringen.

Ich meine sogar, Gendern soll uns auf die Nerven gehen. Dazu wurde es erfunden. Denn es erinnert uns in jedem Satz, in jedem Bericht, in jeder Kommunikation daran, dass wir aus Prinzip unsere Töchter gleichberechtigt und gut ausbilden und dass sie dennoch – eines nicht allzu fernen Tages – weniger verdienen werden, als ihre männlichen Gerationskollegen.
Denn obwohl Frauen heute ihre Studien durchschnittlich immer besser und häufiger abschließen, sitzen sie seltsamerweise – und das verwundert uns alle mehr oder weniger täglich – immer noch recht selten an den Hebeln der Macht.

Mit geringerer Wahrscheinlichkeit als Männer werden sie Kanzlerinnen, Finanzministerinnen oder Großinvestorinnen. Aber sollten sie es doch schaffen, findet sich sofort irgendjemand, der sich für sie schämt: für die Standpunkte, die sie äußern oder für die Politik die sie betreiben oder für die Kleider, die sie tragen. Wobei mich oft wundert, dass ich noch nie gehört habe, dass sich jemand schämt, ein Mann zu sein, weder anlässlich Berlusconis Verurteilung, noch für braune Lapsus im Parlament oder für Ecclestones Hang zu jungen Gespielinnen.
Ein Mann zu sein ist offensichtlich Ehrensache und Punkt.

Genderforschung als Voodoo-Zeug zu degradieren, spricht für die Salonfähigkeit der eklatanten Bildungslücke im österreichischen Qualitätsjournalismus.

Ich unterstelle, dass Genderwissenschaften gerade deswegen so despektierlich betrachtet werden, weil immer mehr Frauen gerade in dieser wissenschaftlichen Disziplin akademische Abschlüsse anstreben und vorlegen.

Sich zu profilieren und von der Masse abzuheben ist das A und O unseres Zeitalters. Europa ist geeint, alle Staaten, die auf ihre Reputation achten, haben zumindest auf dem Papier die Europäische Konvention der Menschenrechte ratifiziert, und wir arbeiten stetig an rechtlich kompakteren Ausformulierungen zu universellen Rechten für Lebewesen.
Wahrscheinlich ist es gerade deswegen umso wichtiger, in einer hochtechnisierten pluralistischen Gesellschaft durch Einzigartigkeit und Brillanz zu glänzen.

Es gehört nicht viel Hirnschmalz dazu zu erkennen, dass eine Frau sich nicht profilieren kann, wenn sie in männlichen Formen über sich spricht.
Sage ich als Frau: „Ich bin Lehrer.“ „Ich bin Arzt.“ „Ich bin Friseur.“ So gebe ich damit ein Bild von mir – und zwar das durchschnittliche Bild, das jede/r von uns im Kopf hat.

Wollen wir uns die Mühe machen und es selbst ausprobieren: Stellen Sie sich bitte einen glücklichen Menschen vor, der gesund und beruflich erfolgreich seinen Feierabend genießt!
Wenn Sie die Augen schließen und an diesen Menschen denken, was sehen Sie?
Sehen Sie eine Frau Mitte 50? Sehen Sie eine schwarze Frau? Sehen Sie eine junge Frau im Rollstuhl? Oder sehen Sie vielleicht zufällig einen Mann?
Und gerade weil wir alle Bilder im Kopf haben, ist es ein wichtiger gesellschaftspolitischer und evolutionärer Akt zu sagen: „Ich bin Lehrerin.“ „Wer ist heute diensthabende Ärztin?“ „Ich lese den 100. Bericht über die LehrerInnengewekrschaft.“
Das dauert zeitökonomisch berechnet nicht wesentlich länger, auch an die Mehrleistung beim Denken gewöhnen sich Menschen recht schnell. Sprache bedeutet Veränderung. Wäre es nicht so, sängen wir heute noch Wather von der Vogelweides Minnelieder und nicht Songs über Sidos Haare am Sack und über 20 schöne Frauen und ein Haus am See. Fortschritt muss sein und zeichnet sich in unserer Sprech- und Sprachkultur ab.

Ob geschriebene Sprache ästhetisch sein soll, ist auch eine überlegenswerte Frage. Wer sich über die Hässlichkeit des Binnen-I beklagt, hat vermutlich nichts gegen Ysilons in KanzlerInnennamen. Die Vorstellung, was ein ästhetischer Name sei, macht vielen unserer Jugendlichen die Lehrstellensuche schwer. Schon deswegen bin ich dafür, dass wir die Binnen-I-Sprach-Ästhetik-Debatte unvermindert fortsetzen sollten.

Gerade eben weil Ungleichheit ein dynamisches Element ist, ist es notwendig immer wieder auf Ungleichheiten hinzuweisen, sie mitunter sogar selbst zu verursachen. Nicht durch Heruntermachen, Verspotten und als Voodoo und damit vielleicht gar afrikanisch-rückständig Deklassifizierung der Genderwissenschaften sondern durch Offenheit, Toleranz und Bemühen in Alltag und Praxis, können wir den Nutzen für die Gesamtbevölkerung herausarbeiten. Wir sind uns im Grunde genommen doch einig, dass mehr tatsächliche Gleichberechtigung entstehen soll.

Daher schlage ich für die nächste samstägliche E-Mail-Debatte vor, Ruth Wodak und Angelika Wetterer einzuladen. Thema: „Darf Journalismus mich anzipf(el)n, wenn er reaktionär daherkommt?“

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