Studie in Leibnitz präsentiert
Koralmbahn: "Größte Chance für Region seit 150 Jahren"
Eine Standortstudie hat in den letzten Jahren die Auswirkungen der Koralmbahn auf die Region berechnet – und sieht viele Chancen: Es sei das größte Experiment seit der Semmeringbahn vor über 150 Jahren. Die Studie wurde letzten Dienstag in Leibnitz präsentiert.
STEIERMARK. „Als wir 2018 mit der Studie zur Koralmbahn begonnen haben, hat sich keiner dafür interessiert“, eröffnete Eric Kirschner von Joanneum Research seine Präsentation in Leibnitz. Mittlerweile, vier Monate vorm Start der Koralmbahn, ist das ganz anders: Das Alte Kino war voll, als Kirschner seine Studie zur Bahn präsentierte. AMS und WKO Leibnitz hatten dazu eingeladen, ihre zweite gemeinsame Veranstaltung.
"Größtes Experiment seit 1854"
Für Kirschner ist klar: „Die Koralmbahn ist das größte sozialökonomische Experiment seit 1854, als die Semmeringbahn eröffnet wurde.“ Er hat mit seinem Team die Auswirkungen der Bahn auf die Region erforscht und Prognosen erstellt, was passieren wird:
- Mehr Pendlerinnen und Pendler
Laut Studie seien 50 bis 55 Minuten pendeln mit der Bahn kein Problem – es geht darum, wie teuer es ist und wie oft man umsteigen muss. Die Pendlerströme würden sich um 35 Prozent erhöhen: „Auch am Umland und von der Stadt ins Umland, wo neue Industrieflächen entstehen“, so Kirschner. Neben Landeshauptstädten werden Deutschlandsberg und Wolfsberg besonders profitieren.
- Hohes Potenzial im Bereich Produktion
Mit den größten Veränderungen rechnet die Studie in Deutschlandsberg, Wolfsberg und Völkermarkt.
- Bevölkerungswachstum
Gemeinden, die am Bahnhof oder nur wenige Minuten davon entfernt liegen, werden ein Bevölkerungswachstum spüren: laut Modell knapp drei Prozent. Für manche Gemeinden wird das eine Umkehr des demografischen Trends.
„Das wird passieren“, ist Kirschner sicher. „Diese Schätzungen sind sehr konservativ, weil wir versucht haben, realistisch zu bleiben.“ Er sagt aber auch: „Es wird immer Verlierer geben – Wachstum und Verteilung. Wenn man denkt, es geht so weiter wie bisher, dann wird man ganz sicher verlieren.“
- Eric Kirschner (Joanneum Research) präsentierte die Standortstudie in Leibnitz.
- Foto: MeinBezirk/Simon Michl
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Steiermark und Kärnten sind im europäischen Vergleich hoch entwickelte Industrieregionen, alleine aber zu klein, um international sichtbar zu sein, rechnet Kirschner vor. Mit über einer Million Einwohner:innen in einer urbanen Region von Graz bis Klagenfurt wird man der zweitgrößte Ballungsraum Österreichs: „Der Berg dazwischen ist eine Barriere. Die wird erschlossen und man hat eine urbane Agglomeration.“
Gemeinsame Denkweise
So einen Blickwinkel wünschte sich Wirtschaftslandesrat Willibald Ehrenhöfer in seinen Grußworten: „Wir müssen den größeren Raum denken – schon jetzt über Synergien und Gemeinsamkeiten nachdenken und nicht über das Trennende.“ Ähnlich sieht das Dietmar Schweiggl, WKO-Obmann in Leibnitz: „Wenn das im Dezember wirklich losgeht, werden wir alle sagen: eine tolle Entscheidung, eine Rieseninvestition für die Zukunft.“ Der Leibnitzer Bürgermeister Daniel Kos ist überzeugt, dass die Wirtschaft und sanfter Tourismus florieren werden, meint aber, die Gemeinden müssen auch regional denken: „Wir müssen schauen, dass sich keine Firmen aus unserer Region absiedeln, dass Standorte gut entwickelt werden.“
- Die Vertreterinnen und Vertreter von Politik, AMS und WKO beim Studienvortrag
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Die Strecke Groß St. Florian-Graz wird eine Fahrtzeit wie Simmering-Ottakring, Klagenfurt-Graz wie Wr. Neustadt-Wien. „Das pendeln täglich tausende Menschen in Ostösterreich“, so Kirschner. Deutschlandsberg wird mit der Koralmbahn Erreichbarkeiten haben, die mit Graz vergleichbar sind: Der Bahnhof Weststeiermark hat ein Einzugsgebiet von knapp einer Million Menschen. Kirschner mahnt jedoch, dass Infrastrukturmaßnahmen kein Selbstläufer sind: „Ohne die richtigen regionalpolitischen Weichenstellungen schwächt sich der positive Effekt sukzessive ab.“
- Die Koralmbahn wird bis nach Leibnitz und nach Graz wirken.
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Der Suchradius nach potenziellen Arbeitgebern wird sich für Beschäftigte ausdehnen. „Die Effizienz am Arbeitsmarkt steigt, das bringt einen Produktivitätsgewinn“, so Kirschner. Das AMS beider Bundesländer plant Jobbörsen im Zug, um das Pendeln den Arbeitnehmern näher zu bringen. Die Auswirkungen auf den Güterverkehr dürften kurzfristig bescheiden sein. Der wird erst steigen, wenn der Semmeringbasistunnel (geplant 2030) fertig ist.
Sorgen um Mikro-ÖV
Tourismusvorsitzender Herbert Germuth und NAbg. Joachim Schnabel kritisierten in Fragen die fehlende Einbindung des Mikro-ÖV wie RegioMobil oder WeinMobil, die immer schwerer zu finanzieren sind. „Das wird eine Lösung sein müssen“, antwortete Kirschner. „Woanders ist das überhaupt kein Problem – aber es dauert. Wenn das Bedürfnis in der Region wächst, und das wird es, wird was passieren in der Politik.“ Dass es Mikro-ÖV überhaupt braucht, sei laut dem Forscher eine Folge der steirischen Raumordnungspolitik der letzten Jahrzehnte: „Es ist sehr stark zersiedelt und gibt weniger funktionierende Ortskerne.“
- Am Bahnhof Weststeiermark in Groß St. Florian entstehen die ersten Firmen.
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Grundstückspreise sind schon gestiegen – hier lobt Kirschner das Regionalmanagement Südweststeiermark, das beim Bahnhof Weststeiermark schon lange Flächen gesichert hat. Dort entsteht schon der erste Betriebsstandort. „Kärnten war da hinterher.“
Weitere Handlungsempfehlungen der Studie:
- Gemeinsame, überregionale Projekte entwickeln
- Regionale Erreichbarkeiten sicherstellen
- Südösterreich als international attraktiven Standort kommunizieren
- Überregionale Effekte nutzen
- Mit der Koralmbahn werde ein neuer Ballungsraum entstehen, der zwei Bundesländer miteinander verbindet, so die Studie.
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„Eigenartig ist, dass die Bahn am Flughafen vorbeifährt“, vergleicht Kirschner mit anderen Regionen. Und merkt an: „Die österreichische Lösung – da ein bisserl was und dort ein bisserl was – wird nicht funktionieren.“ Denn: „Wir haben einiges zu tun, aber das ist sicher die größte Chance, die dieser Wirtschaftsraum in den letzten 150 Jahren hatte.“
Chronologie der Koralmbahn:
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