Erzählcafé für Menschen mit demenzieller Erkrankung
"Oft schimpfe ich mit meinem Spiegelbild"

Im Erzählcafé erinnerten sich die Teilnehmer an prägende Erlebnisse in ihrem Leben, sprachen über Wünsche und Träume.  | Foto: Höbenreich-Mitteregger
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  • Im Erzählcafé erinnerten sich die Teilnehmer an prägende Erlebnisse in ihrem Leben, sprachen über Wünsche und Träume.
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Zusammenkommen, sich erinnern, gemeinsam lachen: Das erste Erzählcafé für Menschen mit demenzieller Erkrankung hat den Teilnehmern richtig gut getan.
LEOBEN. „Hoffentlich findens' die Straße, wo ich mein Gedächtnis verloren hab‘.“ Die Leobenerin Helga H., 80, brachte die Teilnehmer des ersten Erzählcafés für Menschen mit demenzieller Erkrankung nicht nur einmal zum Lachen. Humor, das sei wohl das Wichtigste, das man sich bewahren müsse in dieser ohnehin nicht so einfachen Lebensphase. Neben Helga H. haben auch noch zwei weitere Teilnehmer den Weg zum ersten Erzählcafé im Raum im Puls der Zeit, initiiert von Manuela Künstner, Leiterin der neuen Demenzservicestelle in Leoben, gefunden. „Ziel des Zusammentreffens ist es, sozialer Einsamkeit vorzubeugen, Erinnerungen zu wecken, Lebensgeschichten zu erzählen. Erzählen kann ermutigen und aufzeigen, was und wieviel man im Leben doch geleistet hat“, sagt Manuela Künstner über ihr Projekt.

Kindheit auf der Alm

Hans L. ist mit seiner Frau dafür mit dem Zug aus Mautern gekommen. „Ich merke, dass wir alleine übrig bleiben, auch wenn uns die Kinder so oft wie möglich besuchen. Mein Mann ist schwerhörig, will nirgends mehr hin. Das Erzählcafé sehe ich als Möglichkeit, ihn unter Menschen zu bekommen, ihn wieder zu ‚aktivieren‘“, erzählt Herta L. Und tatsächlich: Im Gespräch mit Manuela Künstner erinnert sich Hans L. lebhaft an seine Kindheit mit neun Geschwistern auf einer Mauterner Alm, erzählt von deren Bewirtschaftung sowie seinen Berufen als Rauchfangkehrermeister und später als Bahnbediensteter.
Helga H. erinnert sich an ihre aktive Zeit als Besitzerin ihrer Friseursalons in Leoben, und an jene, in der sie auch Berufsschullehrerin war.
Und eine weitere Besucherin lässt die Zeit im Kraubathgraben vorüberziehen, in der sie ihre Ferien auf dem Bauernhof der Tante verbrachte und die jungen Männer zum Fensterln kamen. „Das war lustig und aufregend, aber zugleich auch mit etwas Furcht für mich verbunden“, erinnert sie sich schmunzelnd.

Vergessen im Alltag

Dass schleichend das Vergessen in ihr Leben gekommen sei, lasse ab und zu verzweifeln. Aber noch lange nicht aufgeben. Und wie macht sich dieses Vergessen im Alltag bemerkbar? „Am Anfang waren da Unruhe und Angst. Und jetzt bringt die Demenz das ganze Leben durcheinander. Man bringt die einfachsten Sätze nicht mehr heraus, hat Wortfindungsstörungen. Ich bemerke auch, von anderen oft nicht mehr ernst genommen zu werden und sie mit meiner Vergesslichkeit grantig zu machen. Hier würde ich mir viel mehr Geduld wünschen“, erklärt Helga H.
Für die weitere Besucherin des Erzählcafés bedeutet Vergessen etwa vertraute Kochrezepte, Geburtsdaten oder Telefonnummern einfach nicht mehr zu wissen. „Oder zu vergessen, was einem die Kinder erzählt haben. Oft schimpfe ich deswegen mit meinem Spiegelbild.“
Hans L. sagt, dass er nun an Arbeiten, die er immer selbstverständlich verrichtet hat, erinnert werden muss. „Seine Leidenschaft ist der Obst- und Gemüsegarten. Was er früher immer selbst gemacht hat, wie etwa Salat anzupflanzen, daran muss ich ihn jetzt erinnern“, erzählt seine Frau.

Weiter dran bleiben

Am Ende des Erzählcafés, in dem Manuela Künstner auch alte Lieder mit den Teilnehmern gesungen hat, ist eines klar: So ein Zusammenkommen ist schön, bringt Spaß und schreit nach Wiederholung. Helga H. fügt hinzu: "Damit ich nicht ganz aussteige und weiterhin dran bleibe."

INFO

Manuela Künstner ist Diplomsozialbetreuerin Schwerpunkt Altenarbeit sowie Alzheimertrainerin aus Leibnitz. Im November eröffnete sie in Leoben, im Raum im Puls der Zeit, Franz-Josef-Straße 11, eine Demenzservicestelle, in der Beratung, Betreuung und Training für Menschen, die mit Demenz leben, sowie ihre pflegenden Angehörigen angeboten werden.
Einmal monatlich findet ab 14 Uhr das „Erzählcafé“ für Menschen mit demenzieller Erkrankung statt. Das nächste Erzählcafé findet am Donnerstag, 13. Februar, ab 14 Uhr, statt.
Ab 14. Februar wird es wöchentlich einmal ab 14 Uhr Gedächtnistraining geben.
„Im Sommer dieses Jahres wird auch eine Zweigstelle der Demenzservicestelle in Bruck an der Mur eröffnet“, lässt Künstner wissen.
Sie suche Menschen, die auf selbstständiger Basis in der Personenbetreuung als Alltagsbegleiter tätig sein können.

Kontakt:
Persönlich oder telefonisch bei Manuela Künstner, Tel. 0664/4888514.
Öffnungszeiten der Demenzservicestelle Leoben: Donnerstag und Freitag 8 bis 12 Uhr, kostenlose Beratung vor Ort.

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