Mit der Vienna Ugly-Tour durch Wien: Wie hässlich ist die Stadt?
Der Engländer Eugene Quinn zeigt mit seiner Vienna Ugly-Tour die hässlichen Seiten der Leopoldstadt und der Inneren Stadt. Ein Stadtspaziergang auf der Suche nach architektonischen Fauxpas.
LEOPOLDSTADT. Strahlender Sonnenschein im Augarten. Doch Eugene Quinn hat eigentlich auf Regen gehofft. Das würde seiner Tour nämlich den notwendigen Pepp geben. Hässlich soll es sein. Und ungemütlich. Warum? Quinn will Wien von seiner hässlichen Seite zeigen. Deswegen heißt seine Tour auch "Vienna Ugly". Doch Tour darf er das nicht mehr nennen. Laut Forderung der Wirtschaftskammer Wien muss das jetzt Spaziergang heißen. Zur orangen Hose haben sie ihn auch verpflichtet – die soll ihn nämlich deutlich von Tourguides unterscheiden. Eugene Quinn ist nämlich kein Touristenführer im konventionellen Sinn.
Der Engländer führt mit selbstironischem Blick – Quinn lebt selbst im 2. Bezirk, direkt am Karmelitermarkt – durch die Stadt. Es soll allerdings kein Blick von oben herab auf die Schattenseiten Wiens sein, kein Fingerzeig auf Simmering oder Floridsdorf. "I want to show the wrong choices of rich people", sagt der Leopoldstädter, der in seiner Muttersprache durch die Grätzel führt. Einen missglückten Dachgeschossausbau am Karmelitermarkt etwa, der mit seinem goldenen Bogen ("It looks like a dog with one leg") ohne Funktion ganz laut über den zweiten Bezirk schreit: Hier leben Menschen mit viel Geld. Oder eigentlich: Hier könnten Menschen mit viel Geld leben. Das Penthouse ist nämlich nach wie vor unbewohnt. Es steht für 3,2 Millionen Euro zum Verkauf. Nur kaufen will es halt niemand. Quinns Kritik: Es harmoniere nicht einmal ansatzweise mit dem Altbau-Zinshaus, auf dem es gebaut wurde. Ein Fauxpas, der in Wien nicht so leicht verziehen werde. Man stelle Reichtum hier nicht einfach so zur Schau, meint Quinn. Hier müsse alles einen gewissen Stil haben. Nicht so kitschig unpassend wie das andere Haus am Karmelitermarkt, über das Quinn allerdings nicht mehr sprechen darf. Die Anwälte des Besitzers würden da keinen Spaß mehr verstehen.
Wien abseits von Schönbrunn und Sacher
Rund 70 Personen nehmen an diesem sonnigen Frühlings-Samstag an seiner Tour "Vienna Ugly" teil. Für 10 Euro gibt es einen hässlichen Sticker auf die Hand – "it's meant to be ugly" – und 3,5 Stunden schonungslose Kritik eines Ausländers an Wien. Natürlich auf Englisch. "I hope you understand the subtext", sagt Eugene Quinn. "I love Vienna", wo seit 2009 sein Lebensmittelpunkt samt Frau und Kind ist. Was die Teilnehmer angeht, kommt der Spaziergang gut an. Sie mögen den neuen Zugang und den erfrischenden Blick auf die sonst bekannte Stadt. Rund die Hälfte der Teilnehmer lebt in Wien, die Anderen sind Touristen, die in den weiten des Internets über die Führung gestolpert sind. Eine Kanadierin ist etwa nur für ein paar Tage in der Stadt, aber sie würde gerne Wien abseits von Sacher, Schönbrunn und Hofburg erleben. Eine 50-jährige Wienerin sagt: "Meine Tochter hat mir davon erzählt. Ich schätze den Blick von außen und ich mag den Ansatz, dass nicht alles, was viel Geld kostet, automatisch schön sein muss."
Mit viel Witz und nicht zu wenig Sozialkritik führt der Engländer vom Augarten, über Karmelitermarkt, Collegium Hungaricum, Diana Bad, Donaukanal, Schwedenplatz, Gesundheitsministerium, Wotruba-Promenade, Strauß-Denkmal, Marriott-Hotel in den ersten Bezirk zu einem schmucklosen Stromverteiler-Haus. Dabei trifft die Sozialkritik insbesondere das Motto am Fluss. Denn das sei nicht unbedingt architektonisch hässlich, aber "socially ugly". Die Mieten auf der Leopoldstädter Seite des Kanals würden Jahr für Jahr steigen und die Entwicklung gehe in Richtung "Motto-isierung" des bisher konsumfreien Raums. Ein wesentlicher Vorteil in Wien sei schließlich, dass man hier auch mit wenig Geld viel schönen öffentlichen Raum bekomme. Das sollte auch so bleiben.
Von Strauß zu Marriott
Im Stadtpark besuchen die Spaziergänger die einzige herkömmliche Sehenswürdigkeit: Das Johann-Strauß-Denkmal. Das sei so kitschig und der klassischen Musik nicht würdig, dass man es ohne schlechtes Gewissen einbeziehen könnte, so Quinn. Und wer streiche bitte eine Statue des großen Musiker Strauß golden an? Bis 1991 sei die Figur des Violinisten auch schwarz gewesen. Das hätte besser gepasst. In unmittelbarer Nähe erreicht Quinn am Ring die vorletzte Station seiner Stadtführung. Das Ziel seiner Kritik: Das Marriott-Hotel. Keine besondere Augenweide für die ansonsten altehrwürdige Ringstraße, sagt der Engländer. Man hätte sehr selten die Chance, auf der Ringstraße ein neues Gebäude zu errichteten. Und was ist dabei entstanden? Die Schönheit liegt zwar immer im Auge des Betrachters, aber manchmal kann man auch von Tatsachen sprechen.
Nächste Tour im Mai
Die nächste Vienna Ugly-Tour findet am Samstag, 5. Mai 2018 statt. Treffpunkt ist um 10.30 Uhr in der Oberen Augartenstraße beim Augarten-Tor zwischen Miesbachgasse und Untere Augartenstraße. Der Spaziergang kostet 10 Euro. Anmeldung ist keine notwendig.
Das sagt Eugene Quinn zu seinen "Sehenswürdigkeiten":
• Flakturm im Augarten: Eugene Quinn: "Ingesamt gibt es nur 20 dieser Türme weltweit. Wien wurde mit gleich sechs Flaktürmen sehr prominent auf die Nazi-Landkarte gesetzt."
• Karmelitermarkt: Eugene Quinn: "Wer baut einen seelenlosen Glasverschlag mit einem goldenen Hund davor auf ein Wiener Zinshaus?"
• Krummbaumgasse: Eugene Quinn: "Wenn jemand aus diesem bunten Haus raus schaut, winkt ihm zu. Die haben sowieso keine Ahnung was wir hier machen. Das ist ein Appartement-Haus für Touristen."
• Ungarisches Kulturinstitut: Eugene Quinn: "Früher dachte ich immer, das sei eine Pizzeria. Was man sich dabei gedacht hat, ist nicht zu erklären. Ein Kulturzentrum sollte einladend wirken."
• Diana-Bad/Raiffeisen-Bank: Eugene Quinn: "Wie kommt man darauf, ein Bad und eine Bank zu kombinieren? Die Raiffeisen hätte genug Geld für tolle Architektur. Ich hoffe sie haben nicht viel dafür bezahlt. Dann sollten sie das Geld zurückfordern."
• Donaukanal: Eugene Quinn: "Das Motto ist nicht architektonisch hässlich, es ist nur sozial hässlich."
• News-Tower: Eugene Quinn: "Sieht aus wie ein explodierendes Kebap. Als wäre es von sieben verschiedenen Architekten errichtet worden".
• Gesundheitsministerium: Eugene Quinn: "Hier im Inneren gibt es kaum Tageslicht. Gesund kann das nicht sein, hier arbeiten zu müssen."
• Wotruba-Promenade: "Die Definition von hässlich ist so eine Sache. Googelt man hässliche Gebäude Wiens, dann kommt man zur Wotruba Kirche. Das ist auch "brutalism". Aber ich finde die Kirche eigentlich sehr schön."
• Strauß-Denkmal: Eugene Quinn: "Wem ist eingefallen, dass man Strauß golden streicht? Wer will golden gestrichen in der Öffentlichkeit stehen. Das ist Super-Kitsch, so Gasthaus-Chic. Wie in diesen Gasthäusern, wo kleine Zwerge und Plastikblumen stehen."
• Marriott-Hotel: Eugene Quinn: "Man hatte die Chance, auf der Ringstraße ein neues Gebäude zu bauen – und das ist dabei entstanden."
• Cobdengasse: Eugene Quinn: "In London entstehen gerade sehr viele Pop-Up Bars auf Dächern. Dort oben, auf diesem Strom-Verteilergebäude, wäre eine wunderschöne innerstädtische Dachterrasse. Aber anstatt sie zugänglich zu machen, kann man sie nur von unten betrachten."
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