"moderne Sklaverei"
Unmut über die Arbeitsbedingungen im Sozialbereich
Bei der Gewerkschaft der Privatangestellten melden sich täglich Beschäftigte aus dem Sozial- und Pflegebereich, die sich über ihre Arbeitsbedingungen beschweren. Häufig geht es um Arbeitszeitverletzungen und Führungsschwäche. Auch der Umgang im Team dürfte nicht immer sozial sein. Marie hat der StadtRundschau von ihren Erlebnissen erzählt.
LINZ. Vor etwa einem Jahr hat Marie (Name von der Redaktion geändert) noch überlegt, einen Sozialberuf zu ergreifen und sich für ein freiwilliges soziales Jahr gemeldet. Heute sieht sie dieses Jahr bei einer großen Linzer Sozialorganisation als verlorene Zeit an. Sie will nun einen anderen Weg gehen. Was dazwischen passiert ist? Nach einem Führungswechsel im Februar haben die Probleme begonnen. Konkret ging es um Urlaubs- und Stundenabrechnungen. So wurde die im Vertrag festgelegte Höchststundenzahl von 34 Wochenstunden regelmäßig überschritten. Außerdem sollte Marie Corona-bedingte Minusstunden im Mai und Juni wieder einarbeiten. Sogar einzelne Urlaubstage wären ihr gestrichen worden, wenn ihr Vater sich nicht beim Vorgesetzten beschwert hätte. Selbst hätte sie sich das nicht getraut. Sie sei auch aufgrund ihrer Zurückhaltung ausgenutzt worden, schildert Maries Vater der StadtRundschau. So habe sie Hilfstätigkeiten aufgetragen bekommen, während die Kollegen selbst nichts getan und dabei zugesehen hätten. Im Laufe der Zeit ist Marie immer weniger gerne in die Arbeit gegangen. Oft war ein mulmiges Gefühl dabei.
„Moderne Sklaverei“
Maries Erfahrungen sind kein Einzelfall, berichtet Reinhard Gratzer, der bei der Gewerkschaft der Privatangestellten (gpa) für den Sozialbereich zuständig ist. Aufgrund der Arbeitsbedingungen melden sich täglich Beschäftigte bei der Gewerkschaft. Sie arbeiten unter anderem bei großen und bekannten Einrichtungen. Meist geht es um Arbeitszeitverletzungen und Führungsschwäche. So erwartet man von Beschäftigten etwa, dass sie flexibel sind und kurzfristig einspringen. Dadurch sind Nebentätigkeiten laut Gratzer schwer möglich, obwohl 75 bis 80 Prozent in der Branche Teilzeitkräfte sind. Hinzu kommt, dass Überstunden oftmals nicht zur Gänze bezahlt werden. Der Gewerkschafter geht hart mit den Arbeitsbedingungen ins Gericht und spricht von „moderner Sklaverei“.
Flexibilität belohnen
Auch für Daniel Steiner, Betriebsrat beim Sozialverein B37, ist Arbeitszeit ein zentrales Thema. Im Kollektivvertrag wurde mittlerweile ein „Einspring-Bonus“ eingeführt, um Flexibilität auch entsprechend zu belohnen. Die Arbeit sei insgesamt psychisch belastend und schlecht bezahlt. Daher setzt sich Steiner auch vehement für die 35-Stunden-Woche ein. Zumindest 37 Wochenstunden sind nach den Streiks im Frühjahr und den Kollektivvertragsverhandlungen ab 1. Jänner 2022 Realität.
Druck von oben
Der Ursprung der Probleme ist aber nicht nur im Haus selbst zu suchen. Laut Gratzer macht das Land Oberösterreich zum Teil Vorgaben, ohne die Ressourcen zu kennen. Das erzeugt Druck auf die Vorgesetzten, der dann wiederum an die Beschäftigten weitergegeben wird. Führungskräfte wüssten zum Teil auch gar nichts von bestimmten Schwierigkeiten.
Im Fall von Marie spielt Unwissenheit aber keine Rolle. Ihr ehemaliger Chef habe laut Maries Vater im Gespräch keinen Hehl daraus gemacht, das Autoritätsverhältnis ausgenutzt zu haben. Problem sehe er darin aber keines. Nach einer Intervention der StadtRundschau hat die Leitung der betroffenen Sozialorganisation entsprechende Schritte zugesagt.
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