"Arbeitswelt verändert sich"

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BezirksRundschau: Jugendarbeitslosigkeit ist Ihnen ein großes Anliegen.
Birgit Gerstorfer:
Das stimmt. Wir versuchen, möglichst alle Jugendlichen zu erreichen. Es hat sich speziell da einiges getan. Weil durch das Jugendcoaching des Sozialministeriums werden doch etliche Jugendliche identifiziert, die Gefahr laufen ausgegrenzt zu werden und die dann die Schule abbrechen. Wir arbeiten da sehr eng mit den Jugendcoaches zusammen. Wenn wir solche Jugendliche betreuen, werden diese gleich Kunden und wir können diesen dann die Ausbildungsangebote des AMS näherbringen. Das gelingt nach den Anlaufschwierigkeiten im Vorjahr jetzt schon sehr gut.

In absoluten Zahlen: Von wie vielen Jugendlichen reden wir da in Oberösterreich?
Das System ist zurzeit im Aufbau, daher ist es da schwer, genaue Zahlen zu nennen. Im Coaching-Bereich reden wir da aber schon von einigen Hundert Jugendlichen.

Wie schaut es mit der Ausbildung der Jugendlichen denn nun aus?
Fünf Prozent fangen gar nichts an nach der Pflichtschule. Zehn Prozent fangen zwar an, steigen aber dann aus. 20 Prozent wechseln erfolgreich, aber meistens ist es da ein Downgrading. Das heißt, sie satteln beispielsweise von einer höherbildenden Schule auf eine Lehre um. 65 Prozent machen eine klassische Ausbildung.

Und das AMS versucht, hier die richtigen Ausbildungen und Schulungen anzubieten?
Wir versuchen nun eben diese gefährdeten Jugendlichen zu identifizieren und dann schauen wir uns das ganz genau an, um punktgenau helfen zu können. Das kann am ersten Arbeitsmarkt sein, dass wir diese integrieren können, aber auch bei überbetrieblichen Ausbildungen.

Derzeit ist der Fachkräftemangel ein großes Thema.
Das ist ein Schlagwort, aber demografisch erleben wir zurzeit einen großen Wandel in der Arbeitswelt. Uns werden bis 2030 bei den 25- bis 49-jährigen Personen 34.000 Personen fehlen. Wir werden bei den älteren Erwerbsfähigen ein Plus von 42.000 Personen haben. Das ist aber ausschließlich begründet durch das gesetzlich höhere Pensionsantrittsalter der Frauen. Das sind nämlich 41.000. Und das bedeutet eine signifikante Veränderung in der Arbeitswelt.

Und zwar?
Seit 1991 haben wir immer, bis auf wenige Ausnahmen, ein Plus bei der Beschäftigtenquote gehabt. Im Schnitt hatten wir ein Wachstum von einem Prozent. Wenn ich das Beschäftigungswachstum fortschreibe, was hochgradig wahrscheinlich ist, dann habe ich um 2030 herum aber weniger Menschen, die diese Jobs auch annehmen können. Heute haben wir in Oberösterreich 300.000 Menschen, die in die Schule gehen, die bei den Kindern sind oder schon in Frühpension sind, von den 920.000, die es sozusagen am Markt gibt. Wenn wir also mehr Menschen in Beschäftigung haben, dann wird es 2030 weniger Menschen geben, die bei den Kindern sein dürfen, in die Schule gehen dürfen, in Frühpension sein dürfen, wenn wir diese Wachstumskurve fortschreiben wollen.

Was bedeutet das für die Unternehmen?
Bei den Frauen haben wir das größte Potenzial. Dort ist die Erwerbsquote noch niedriger und die Teilzeitquote hoch. Wann kann man Frauen in die Erwerbstätigkeit bringen? Wenn die Rahmenbedingungen passen. Das fängt bei den Kinderbetreuungseinrichtungen an, geht über frauengerechte Arbeitsplatzbedingungen und zieht sich bis hin zu den Vorbehalten Frauen gegenüber, denen wir noch immer teilweise im technischen Bereich begegnen. Nicht mehr in dem Ausmaß wie vor 20 Jahren, aber diese Ressentiments sind immer noch da.

Die Teilzeitbeschäftigung wächst.
Ja, und die wird auch weiter wachsen. Sie ist auch ein Instrument zur Verteilung von Arbeit. Teilzeitbeschäftigung hängt übrigens nur zu einem Drittel von der Kinderbetreuung ab.

Was sind die anderen zwei Drittel?
Da gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Meine Erfahrungen zeigen, dass zu einem Drittel das von den Menschen selbst gewünscht ist, und zu einem weiteren Drittel das von den Unternehmen oder in gewissen Branchen durchaus so gesteuert wird. Interessant ist: Die Zahl der teilzeitbeschäftigten Männer hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt.

Auf niedrigem Niveau.
Ja, aber das war zum überwiegenden Teil von den Männern selbst gewollt. Weil vielleicht etwas anderes als die Arbeit einen hohen Stellenwert hat. Das können gesundheitliche oder sportliche Motive sein, oder auch ein zweiter Job.

Wie wird sich die Arbeitslosenrate in Oberösterreich entwickeln? Bleibt diese hoch?
2015 wird sich die Arbeitslosenrate nicht erholen. Ich hoffe, dass sich die Arbeitslosenrate in der zweiten Jahreshälfte 2015 erholen wird. Jedoch gibt es hier keine realen Indizien dafür. Aber es gibt ja auch eine Psychologie in der Wirtschaft.

Da geht es darum, wie die Prognosen aussehen und was man öffentlich macht.
Ja. Das wird insofern noch interessant, weil ab 2016 bereits in Oberösterreich die Zahl der zur Verfügung stehenden Erwerbstätigen zurückgehen wird. In Oberösterreich noch früher als in den anderen Bundesländern.

Warum?
Das hat mit der Migrationspolitik zu tun.

Wurde das von der Politik vor 20 Jahren nicht erkannt, dass beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund in Zukunft als Fachkräfte gefragt sein könnten?
Das war eine Frage der Quoten und die waren in Oberösterreich halt nicht megahoch. Das waren damals politische Entscheidungen, die stark unter dem Druck der negativen Propaganda zu dem Thema gestanden sind.

Wie hoch ist nun die Arbeitslosenrate?
Mit Ende Oktober liegt sie bei 5,1 Prozent. Wir hoffen, dass sie im Jahresschnitt bei 5,7 Prozent liegen wird. Wenn es schlecht geht, dann liegt sie bei 5,8 Prozent. Das ist abhängig vom Wetter. Wenn das Baugewerbe nicht im Dezember arbeiten kann, kann das die Quote eben beeinflussen.

Das heißt, Sie müssten sich einen milden Winter wünschen.
In gewisser Hinsicht ja.

Wird die Arbeitslosenrate nächstes Jahr auch an der Sechs-Prozent-Marke kratzen?
Möglicherweise. Arbeitslosenquoten ergeben sich aber nicht nur aufgrund der Anzahl der Menschen, sondern auch aufgrund der Länge der Arbeitslosigkeit. Zurzeit wächst die Dauer der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit.

Warum?
Die Betriebe sind zaghafter bei der Einstellung von Mitarbeitern. Zurzeit ändert sich auch die Struktur der Arbeitslosigkeit rapide und extrem.

Inwieweit?
Wir haben immer mehr Menschen, die arbeitslos gemeldet sind und schwierige gesundheitliche oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen haben. Und die Zahl der über 50-Jährigen wächst zudem überproportional. Und die Suchzeit ist bei den über 50-Jährigen höher als bei jüngeren Menschen.

Das wird sich aber spätestens dann ändern, wenn es weniger potenzielle Arbeitskräfte gibt.
Ja. Das ist halt die Frage, ob die Unternehmen so schnell in ihren Denkmustern reagieren. Die Babyboomergeneration ist jetzt 50 plus und damit müssen sich die Unternehmen beschäftigen. Große Betriebe machen das auch. Diese Mitarbeiter sind ja im Durchschnitt schon gut gebildet und haben einen hohen Erfahrungsschatz. Man muss den Unternehmen klarmachen, dass die Themen Employer Branding, Generationenmanagement und Gesundheitsmanagement extrem wichtig sind.

Wer ist am meisten von Arbeitslosigkeit bedroht?
Menschen mit geringer Bildung haben eine vielfach höhere Arbeitslosenrate als andere.

Was raten Sie jemandem, der gekündigt wurde? Was soll diese Person tun?
Wir erleben immer wieder, dass Menschen sagen: "Ich bleibe nun mal zu Hause. Das habe ich mir verdient." Das wird sowieso passieren, weil die Betriebe nicht so schnell jemanden einstellen. Und ob es sich jemand verdient hat, ist ein subjektives Empfinden. Ich rate jedem, gleich am ersten Tag mit der Bewerbungsarbeit zu beginnen. Und eine Arbeit suchen ist Arbeit. Das fällt einem nicht in den Schoß. Das fängt mit den vollständigen Bewerbungsunterlagen an und geht über die individualisierten Bewerbungsschreiben bis hin zur Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch. All das ist etwas, was man sich erarbeiten muss. Und man muss sich permanent um die Jobs umschauen. Und es gibt noch einen zweiten Tipp.

Welchen?
Nicht aufgeben. Es macht einen Unterschied, ob ich 50 Bewerbungen in zwei Jahren schreibe oder 50 Bewerbungen in drei Monaten. Und es hilft auch, über den Tellerrand zu blicken. Sich also durchaus neuen Herausforderungen zu stellen.

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