ZELTWEG
Zeltweg vor 75 Jahren: Kriegsende und Neubeginn

Die Werksleitung mit Dipl.-Ing. Franz Gumbsch (sitzend, 3. von links) und dem russischen Kommissar. | Foto: Ingo Gröbl/Archiv
4Bilder
  • Die Werksleitung mit Dipl.-Ing. Franz Gumbsch (sitzend, 3. von links) und dem russischen Kommissar.
  • Foto: Ingo Gröbl/Archiv
  • hochgeladen von Wolfgang Pfister

Am Ende des Zweiten Weltkrieges war Zeltweg total zerstört. Die turbulenten Tage nach Kriegsende.
Zeltweg war im Krieg einer der meist bombardierten Orte in der Steiermark. Nicht zuletzt wegen des Bahnknotenpunktes, des Fliegerhorstes und des „Hermann Göring-Werkes“. Nach dem Anschluss an Hitler-Deutschland am 12. März 1938, wurde das Werk der Österr. Alpine Montangesellschaft unter dem Namen „Hermann Göring Werk“ geführt und musste für die Rüstung produzieren. Durch 18 verheerende Luftangriffe wurden in Zeltweg 172 Häuser total zerstört, 918 Personen waren obdachlos und 50 Tote sowie 91 zum Teil Schwerverletzte gab es zu beklagen. Mit 28 Prozent Gebäudeverlust zählte man zu den am schwersten getroffenen Orten.

Kapitulation

Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 hoffte man in Zeltweg, dass die britischen Truppen, von Kärnten kommend, den Ort besetzen würden. Doch die Rote Armee war schneller und stand bereits am 10. Mai mit einigen Panzern in Zeltweg. Wie üblich, wollten die Sowjets wertvolle Maschinen und Anlagen im Werk abmontieren und als Kriegsbeute per Bahn nach Russland transportieren.

Ehemaliger Werksleiter

Dass dies nicht geschah, war einem Manne, dem damaligen provisorischen Werksdirektor, Dipl.-Ing. Franz Gumbsch, zu verdanken. In seiner Erinnerungsschrift beschreibt Franz Gumbsch die turbulenten Tage nach dem Kriegsende. Nachfolgend ein Auszug davon: „Ich ließ bereits Tage zuvor aus den Hakenkreuzfahnen, durch Einsatz von Leintüchern, rot-weiß-rote Fahnen nähen. Ein Trupp SS-Leute kam am 8. Mai auf ihrer Flucht gegen Westen nach Zeltweg, sah diese Fahnen und wollte sie verbrennen. Ich war gerade auf dem Weg ins Werk und sagte zu ihnen: „Habt ihr nichts anderes zu tun, als diese Fahnen zu verbrennen? Schaut lieber, dass ihr noch rechtzeitig fortkommt“. Der SS-Mann zog seine Pistole und zielte auf mich. Schnell setzte ich meinen Weg ins Werk fort. Am 9. Mai erschienen englische Offiziere und versicherten uns, dass die Russen am Semmering verbleiben werden. Doch am nächsten Tag waren die Russen bereits in Leoben und am 11. Mai zogen russische Panzer in Zeltweg ein. Sie besetzten den Bahnhof und ein Panzer fuhr in Werksnähe (Gießerriegel) auf und richtete seine Kanone auf das Werk. Im Werk gab es gerade Kämpfe zwischen der Werkswache und den Fremdarbeitern. Dabei fielen einige Schüsse und die Sowjets dachten, dass diese ihnen galten. Ich nahm mir rasch eine Ostarbeiterin als Dolmetscherin und ging zum Panzer um zu verhandeln. Der russische Offizier ließ sich schließlich überreden und zog den Panzer zum Bahnhof ab. Ein sinnloses Gefecht war vermieden, doch die Russen kamen noch mit dem Tross und der Infanterie und da ging es in Zeltweg zu, wie an allen Orten, wo russische Truppen einmarschierten. Plünderungen und Vergewaltigungen waren die Folge“.
Direktor Gumbsch suchte und fand den russischen Kommandanten und hatte insofern Glück, dass der Oberst ein Agraringenieur aus Kiew war und sehr gut deutsch sprach. Am 14. Mai kam ein Kapitän der russischen Besatzungsmacht und verlangte, dass das Werk sofort in Stand zu setzen sei, um mit der Reparatur von Waggons zu beginnen. Die Belegschaft wurde informiert und folgte diesem Aufruf. Bereits am 16. Mai trafen die ersten beschädigten Lastwaggons im Werk zur Reparatur ein. Die Russen sorgten auch für die Verpflegung der Arbeiter. Eine Werksküche wurde eingerichtet und es gab die berühmte Erbsensuppe. Mit Fischen aus den nahen Authaler-Teichen wurde die Kost hin und wieder aufgebessert. Für die Entlohnung kamen auch die Russen auf. Der Direktor erhielt 5 Schilling, die Kran- und Lokführer 4 Schilling und die anderen Arbeiter und Angestellten 3 Schilling pro Stunde.
Gumbsch: „Eines Tages erschien ein russischer General und befragte mich, ob wir in der Lage wären, Langwaggons für etwa 18 Meter Ladelänge aus alten Schnellzugswagen herzustellen, um damit vom Erzberg die schweren Bagger abtransportieren zu können. In Erkenntnis der Gefahr, die dadurch unseren Maschinen am Erzberg drohte, verneinte ich dies. Der General glaubte das nicht und wollte es an einem Beispiel bewiesen haben. Es wurden ausgebrannte Schnellzugswagen ins Werk gebracht, sogenannte selbsttragende Wagen. Wir schnitten von einem Wagen das Gehäuse ab, so dass der Grundrahmen zwischen den Drehgestellen bis auf die Schienenoberkante durchhing. Als der General am nächsten Tag kam, diesen durchhängenden Rahmen sah und als Nichttechniker nicht wusste, wie man diesen Rahmen versteifen konnte, sagte er „nicht gut“ und damit war die Gefahr abgewendet. Leider wurden von anderen Werken solche Waggons gebaut, wodurch der Erzberg 19 modernste Elektrobagger verlor“.

Der Neubeginn

Am 19 Mai waren bereits 300 Mann an der Arbeit und am 22. Mai konnten die ersten Heimkehrer aus der Belegschaft wieder eingestellt werden. Am 29. Juni betrug der Belegschaftsstand bereits 500 Mann. Immer wieder kam es vor, dass russische Offiziere ins Werk kamen, um die Maschinen zu besichtigen. Als dann aber die Russen bei verschiedenen Maschinen deren Maße abnahmen, läuteten beim Werksdirektor die Alarmglocken. Er setzte sich sofort ins Auto und fuhr nach Bruck zum kommandierenden Oberst, dem er einen schriftlichen cyrillischen Befehl abrang, dass im Werk keine Demontagen stattfinden dürfen. Der Wortlaut übersetzt lautete wie folgt:

Bescheinigung
Es ist nicht gestattet, in der Fabrik Alpine-Montan in Zeltweg irgendwo Maschinen oder sonstige Werkzeuge abzumontieren. Alles, was abzumontieren war, ist abmontiert. Datiert ist das Schreiben mit 6. Juli 1945 , die Unterschrift ist unleserlich.

Direktor Gumbsch hatte nun den langersehnten Befehl in der Tasche und konnte dadurch eine Demontage des Maschinenparks abwenden. Immer dann, wenn wieder ein Kommando erschien, wurde der Befehl vorgezeigt und von den Russen salutierend zur Kenntnis genommen. Die wohl kritischste Situation mit den Russen schildert Gumbsch wie folgt:
„Ich sah aus meinem Kanzleifenster, wie der russische Kommissar wutentbrannt, mit rotem Kopf und gezogenem Revolver auf mich zukam. Hinter ihm führte einer unserer Arbeiter auf einem Schubkarren den Bronzekopf der Hitlerbüste der seinerzeitigen Parteileitung. Wir hatten sie im Depot am Holzlagerplatz hinter Gerümpel versteckt und er hatte sie augenscheinlich gefunden. Der Kommissar drohte mir mit dem Revolver, beschimpfte uns alle als Nazis, die ihn verraten hätten. Der Hitlerkopf beweise, dass wir weiterhin für Hitler eintreten würden. Ich versuchte ihn zu beruhigen – ohne Erfolg! Da kam mir die rettende Idee. Ich führte den Kommissar in eine Werkshalle und wir stellten den Hitlerkopf unter die 150-Tonnen-Presse. So zornentbrannt und wütend, kaum zu bändigen dieser russische Kommissar zuerst war, so freundlich und hell auflachend zeigte er sich, als Hitlers Kopf unter der Presse immer breiter wurde, wie sich Augen und Mund verzogen und wie er schließlich zersprang und in Splittern am Boden lag. Der Russe hatte den Eindruck, dass damit unsere politische Einstellung nunmehr wieder geändert war und zog friedlich von dannen“.

Zum Ehrenbürger ernannt

Am 21. Juli zogen die Russen bis hinter den Semmering ab und die Engländer in Zeltweg ein.
Dipl. Ing. Franz Gumbsch (1909-1972) war in dieser Zeit provisorischer Werksleiter und wurde am 18. Oktober 1945 zum Werksdirektor ernannt. Mit einer kurzen Unterbrechung war er dann bis 31. Dezember 1965 Werksdirektor der ÖAMG.,Werk Zeltweg. In Würdigung seiner großen Verdienste um den Wiederaufbau des Ortes, wurde er am 26. Jänner 1965 zum Ehrenbürger von Zeltweg ernannt.

Quellennachweis: ÖAMG Zeltweg 1945-1965 im Privatarchiv des Verfassers Ingomar Gröbl

Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.