24 Stunden in die Bibliothek? Kritik an der ÖVP-Forderung
Die ÖVP will eine 24-Stunden-Öffnung der Bücherei. Die Argumentation dahinter stößt auf Unverständnis. Eine Analyse.
NEUBAU. Unter dem Hashtag #wannichwill fordert die Wiener ÖVP einen 24-Stunden-Betrieb der Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz in Neubau. Sieben Tage die Woche. Der Grund: Bei den Wiener Schülern seien "enorme Schwächen festzustellen, Lesen und Lernen müssen wieder positiv in das Bewusstsein der Menschen gebracht werden", so der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel in einer Aussendung. So weit, so gut.
Nun kann man darüber diskutieren, ob die Öffnungszeiten der Wiener Hauptbibliothek ausreichend sind – sie hat unter der Woche von 11 bis 19 Uhr geöffnet, am Samstag von 11 bis 17 Uhr und am Sonntag ist sie geschlossen.
Für Studierende etwa hätten längere Öffnungszeiten durchaus Vorteile, insofern ist die Forderung nach längeren Öffnungszeiten von Unibibliotheken eine gerechtfertigte.
Die ÖVP-Forderung zur Hauptbibliothek ist aber eine komplett andere Angelegenheit. Denn argumentiert wird das Anliegen ja, wie oben beschrieben, mit Leseschwächen der Wiener Schüler. Sprich: der Kinder und Jugendlichen. "Für die Leseförderung von Kindern ist eine nächtliche Öffnung von Bibliotheken sicher nicht relevant", sagt etwa der Geschäftsführer des Büchereiverbandes Österreich, Markus Feigl. Er könne längeren Öffnungszeiten grundsätzlich schon etwas abgewinnen – etwa zum Vorteil von Studierenden.
Personallose Bibliothek?
So erwähnt er als Beispiel die skandinavischen Länder, in denen Bibliotheken in den meisten Fällen rund um die Uhr geöffnet haben – aber ohne Personal betrieben werden. Wie sich eine Sonntagsöffnung für das Personal auswirken würde oder wie ein solches Modell überhaupt aussehen könnte – darüber steht nichts im ÖVP-Vorschlag.
Kritik kommt auch vonseiten der Jugendarbeit. Stefan Kalnoky ist Sozialarbeiter und hat in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Wiener Jugendzentren gearbeitet. Er sieht keinen Sinn in diesem Vorschlag. "Gerade für Kinder und Jugendliche, die Leseschwächen haben oder gar Analphabeten sind, würde das gar nichts bringen." Ganz abgesehen davon, dass die Hauptbibliothek schon jetzt bis 19 Uhr geöffnet hat. "Und wer kann schon dafür sein, Kinder und Jugendliche dann in die Bibliothek zu schicken, wenn eigentlich schon Schlafenszeit für sie ist?", so Kalnoky. Ganz abgesehen davon, dass für jene Kinder, die aus sogenannten bildungsfernen Schichten kommen, die Hürde nicht die Öffnungszeit, sondern der Zugang zu Büchern und zur Bibliothek im Allgemeinen wäre.
So sei es wesentlich zentraler, ihnen die Bücherei als Ort zu zeigen. Damit ist er einer Meinung mit Markus Feigl. Auch er antwortet auf die Frage, wie das Lesen bei Kindern und Jugendlichen gefördert werden kann, dass insbesondere Kooperationen mit Schulen, wo ganze Klassen miteinander die Bibliothek kennenlernen, essenziell seien. Jugendarbeiter Kalnoky fügt außerdem hinzu: "Jugendliche, denen man das nicht sofort zutrauen würde, gehen oft in die Bibliothek. Und zwar, um dort die Hausübung zu machen – denn oft ist es dort leiser als zu Hause."
Wenn also Gernot Blümel in seiner Aussendung schreibt, dass das "Ziel sein muss, dass Lesen in Wien rund um die Uhr möglich ist", werfen ihm Kritiker wohl nicht ganz zu Unrecht vor, dass man dafür nicht unbedingt eine Bibliothek braucht, die 24 Stunden am Tag offen hat.
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