Was das Bäckershandwerk mit sich bringt
Nächtliche Reportage in der Bäckerei
PARNDORF (ang). Als wäre es die normalste Uhrzeit um zu arbeiten, steht Bäcker Roman Gettinger um 22:00 Uhr gut gelaunt mit einer Tasse Kaffee in der Backstube seiner Bäckerei und begrüßt uns zu Schichtbeginn. Mit von der Partie sind Mitarbeiter Christian und Vater Rudi. Vor Roman hatte sein Vater und davor dessen Vater den Betrieb geleitet. Dieser ist somit seit der Eröffnung im Jahre 1970 ein Familienbetrieb.
Erfahrung macht den Bäcker
Jede Nacht wird frisch produziert und zwar von Hand. „Das Handwerk muss man lieben!“, erklärt Roman. „Es erfordert viel körperliche Arbeit, Geschick und Schnelligkeit. Ich bin damit aufgewachsen, habe aber auch in anderen Bäckereien wie Altdorfer oder Ströck gearbeitet um Erfahrungen zu sammeln."
Geheimnis des Geschmacks
Durch die Backstube zieht sich ein weißer Nebelfaden, als Roman zunächst mit eigener Kraft 50 kg Mehlsäcke stemmt und sie entleert. Er verzieht bei dem Kraftakt keine Miene, was geübte Routine beweist. Es ist Montag, daher werden Brotsorten wie Hausbrot, Nussbrot, Roggenbrot und Chia Samen Brot vorbereitet. Das Mehl wird von der Seewinkelmühle in Andau bezogen, Sorten wie Hirse und Leinsamen werden aus dem eigenen Bio-Anbau verwendet. Der Bäckermeister sieht von Fertigmischungen oder Fertigwaren ab, um sich von herkömmlichen Produzenten zu unterscheiden.
Roman wiegt als nächstes verschiedene Gewürze und leert diese dazu. Beim begeisterten beobachten, werden wir plötzlich von einem überaus intensiven Geruch überrascht. Das Geheimnis jedes guten Brotes ist der würzige Natursauerteig. Dieser macht den besonderen Geschmack und somit die persönliche Note aus. Roman setzt diesen selbst an und gibt ihn als Basis zu den Zutaten seiner Brote hinzu. Dabei ist viel Geschick und Aufmerksamkeit nötig. Die Rezepte für die Brotsorten und den Sauerteig sind in Familienbesitz, daher ist jedes einzelne in seinem Kopf abgespeichert. Hin und wieder optimiert er Kleinigkeiten in der Rezeptur oder legt neue Sorten an um Trends auszuprobieren oder auf Unverträglichkeiten einzugehen.
Saunagang für das Brot
Wenn der Teig gemischt und geformt ist, wird er bei 38 Grad und 69 Prozent Luftfeuchtigkeit gegärt. Dieser Kurzurlaub ist für die feine Konsistenz verantwortlich. Danach kommt es direkt in den Ofen.
Der Steinofen der Bäckerei erinnert an eine Pizzeria, nur dass er etwa fünfmal so groß ist. Auf fünf Etagen, werden nun Brote reihenweise eingeschoben. Auf 280 Grad, wird die erste Partie eine Stunde lang gebacken. „Der Ofen ist von nun bis 3 Uhr früh im Dauerbetrieb.“ erklärt uns Bäcker Rudi. Das erste Brot ist somit ab 0.30 Uhr fertig und verströmt den unvergleichlichen Duft von frisch gebackenem Gebäck. Die Anrainer der Bäckerei sind den Geruch von frischem Brot in den frühen Morgenstunden bereits gewohnt. Sie und andere Frühaufsteher können ab 4.30 Uhr ihren ersten Laib im Verkaufsladen abholen.
Diva unter den Süßspeisen
In der Backstube gibt es keine Pause. Die fleißigen Burschen stürzen sich als nächstes auf die Süßspeisen und das Gebäck. Kornspitz, Semmeln, Kipferl, Golatschen und vieles mehr, werden nun gemischt, gezogen, geformt, gerollt und in den Ofen verwahrt. „Die Diva unter den Süßspeisen ist das Brioche Kipferl.“, erläutert Roman schmunzelnd. Diese bestehen nämlich aus extra feinem Hefeteig, welcher besondere Behandlung, wie z.B. die Ruhephase von drei Stunden benötigt. „Diese Zeit ist notwendig für die Geschmeidigkeit des Teiges.“
Handwerk erfordert Kondition
Der Ofen läuft, die Temperaturen und das Tempo in der Bäckerei steigen, jede Minute wird genutzt und jeder Handgriff sitzt. Nach jeder Ofenrunde wird dieser gereinigt, bevor die nächste Fuhr hinnein darf. Dieses hochmoderne Gerät ist der Traum jeder guten Hausfrau. Eine Art Staubsauger, der mit Hochdruck jedes, wirklich jedes Krümel entfernt, fährt von Etage zu Etage durch den Ofen. Am liebsten würden wir uns den gleich mit einpacken.
Als letztes wird das Plundergebäck in den Ofen geschoben. Den Bio-Mohn dafür bezieht die Bäckerei von einem Bauern aus Parndorf.
Am Ende werden die letzten Kräfte der Bäcker für die Auslieferung der Waren genutzt. Diese werden zum einen an Supermärkte, Wochenmärkte oder Direktabnehmer wie Restaurants und Heurige in der Umgebung gebracht.
Außergewöhnlicher Alltag
Es ist 5.30 Uhr früh, für die drei Bäcker ist wieder eine Nacht geschafft, nach welcher sie ihren wohl verdienen „Feierabend“ antreten dürfen. „Meine Frau schläft sechs Tage die Woche alleine.“, erzählt Roman mit schon schläfriger Miene, „Das ist schon eine Herausforderung für die Ehe, jedoch Frühstücken wir zusammen bevor ich schlafen gehe. Den Vormittag verbringt sie dann in der Bäckerei und wir sehen uns am Nachmittag wieder.“ Der Ablauf klingt sehr gewöhnungsbedürftig, doch die beiden haben sich offensichtlich damit arrangiert, was ihre vier Kinder beweisen. "Das bringt das Bäckershandwerk eben mit sich.", weiß der Bäcker.
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