Gerstorfer: „Einfach mutig sein, hineinspüren und ausprobieren“

Birgit Gerstorfer zur Flexibilisierung der Arbeitszeit: "Man muss das systematisch disktuieren und konstruktiv – aber nicht in Form einer Pauschalgeschichte."
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OÖ. Sie hat im Jahr 1990 als Teilzeit-Sekretärin beim AMS Eferding begonnen. Nun ist sie Vorsitzende der SPÖ Oberösterreich und Landesrätin. Der BezirksRundschau gab die neue oberösterreichische Spitzenpolitikerin Birgit Gerstorfer ein sehr persönliches Sommer-Interview in ihrem neuen Büro in der Linzer Altstadt.

BezirksRundschau: Woher kommt eigentlich Ihre Affinität zur Politik?
Birgit Gerstorfer: Die ist seit Kindestagen da. Ich war in der Schule Klassensprecherin. Mein erster Chef hat zu mir gesagt: Es ist ganz schlecht, wenn man eine Klassensprecherin einstellt, weil das wird meist die Betriebsrätin.

Waren Sie Betriebsrätin?
Ich war nominiert, bin aber noch vor der Betriebsratswahl Leiterin der Geschäftsstelle Eferding geworden. In meiner Familie war Politik immer ein Thema – das war alles im sozialdemokratischen Umfeld. Mein Vater war Schichtarbeiter in der voest. Nachdem ich beim AMS begonnen habe, war es aufgelegt. Man verbindet mit dem AMS nicht unbedingt Politik, aber man muss sich ständig mit Politik beschäftigen. Fast alle politischen Entscheidungen haben auf den Arbeitsmarkt Einfluss. Ich habe mich aber bisher mit meinen politischen Aussagen zurückgehalten, weil man das als AMS-Chefin nicht tut.

Sie haben eine steile Karriere gemacht. Was ist Ihr Geheimnis, Ihr Erfolgsrezept?
Einfach mutig sein. Für mich war es immer ein Hineinspüren und Ausprobieren. Oft sind Dinge passiert, die nicht in meinem Einflussbereich waren. Und ich habe nie den Mund gehalten. Wenn man mit zehn Jahren beginnt, für andere zu sprechen, dann hält man den Mund nicht. Vielleicht zeichnet mich aus, dass ich nicht bösartig dabei bin.

Kann man im Leben etwas erzwingen?
Nein. Aber man kann einen Beitrag leisten, dass sich bestimmte Dinge in die richtige Richtung drehen.

Inwiefern?
Alle Entscheidungen waren bei mir primär davon geprägt, es für mich selbst zu probieren und nicht für jemand anderen. Ich wollte mir selbst nichts schulig bleiben. Man kann nichts erzwingen, aber man soll nicht nur zuwarten, was passiert. Man muss einen Beitrag dazu leisten, mit einer gewissen Sensibilität, aber nicht mit nobler Zurückhaltung.

Und irgendwann ruft jemand an und fragt, ob man SPÖ-Vorsitzende werden will?
Ja, offenbar kommt das vor.

Wie geht es einem dann?
Es ist ja nicht so, dass man bis zwei Minuten vorher noch nichts gewusst hat. Aber ich habe erst dann begonnen, etwas dafür zu tun, nachdem ich wusste, dass ich es will. Das ist ja keine einfache Entscheidung. Ich war 26 Jahre beim AMS. Das schmeißt man nicht so einfach hin. Ich habe von Mitte Jänner bis Ende März für diese Entscheidung gebraucht.

Wie weiß man, dass man sich wirklich sicher ist?
Unter meiner Schreibtischunterlage liegt ein Zettel, auf dem ich aufschreibe, was mir einfällt. Es ist ein Abwägen von Für und Wider. Auch große Ideen, die ich habe, kommen auf diesen Zettel. Ich habe alle meine Entscheidungen immer so getroffen: Zuerst habe ich ein Bauchgefühl und dann versuche ich, das rational abzusichern. Nur in fünf Prozent der Fälle war es bisher so, dass der Bauch und das Rationale nicht zusammengepasst haben.

Sie sind die fünfte Vorsitzende der SPÖ in den vergangenen sieben Jahren. Was zerfrisst die Partei so?
Ich weigere mich, nach hinten zu blicken. Das Sinnvolle an der Geschichte ist, dass man daraus lernen kann. Mir ist es lieber, nach vorne zu schauen – zu schauen, wie können die nächsten sieben Jahre aussehen. Ich wünsche mir, dass es bei einer Vorsitzenden bleibt. Das Motto "Eins werden" kommt nicht von ungefähr. Meine große Herausforderung wird sein, die vielen unterschiedlichen Interessenlagen in der SPÖ Oberösterreich unter einen Hut zu kriegen. Ich will nicht sagen, dass das den Vorgängern nicht gelungen ist, aber es hat Rahmenbedingungen gegeben, die das deutlich erschwert haben.

Woraus lernen Sie am meisten?
Ich bin eine gelernte Qualitätsmanagerin. Es braucht Analysen, warum Dinge so sind wie sie sind: eine Feststellung eines Ist-Zustandes. Und es braucht die Definition eines Soll-Zustandes und einen Plan, wie man dorthin kommt. Man muss schauen, welche Einflussfaktoren es gibt und welche Dinge man angehen muss, damit es in die richtige Richtung geht.

Das klingt ziemlich abstrakt.
Meist ist es das Abstrakte, das hilft, weil oft verzettelt man sich in Details.

Welche Reformschritte werden die ersten sein?
Einerseits müssen wir die Themen so kommunizieren, dass sie verständlich sind: Die große Vision, den Menschen das Leben besser und schöner zu gestalten mit der sozialdemokratischen Politik. Hier geht es um soziale Sicherheit, gute Arbeit, Zugang zu Bildung und Kinderbetreuung. Andererseits müssen wir weg von der Verteidigungsstrategie in eine offensive Kommunikation unserer Themen. Das habe ich aus der Vergangenheit gelernt, nicht zuletzt auch als Politik-Konsumentin: Ich habe fast nur gehört, warum man FPÖ oder ÖVP nicht wählen soll und nicht, warum man die SPÖ wählen soll.

Ein politisch sehr heißes Thema ist die Mindestsicherung. Gerade bei den Asylwerbern verstehen viele nicht, warum Sozialleistungen bezogen werden können, obwohl noch nie ein Beitrag für das System geleistet wurde.
Es ist schwierig, das zu argumentieren. Die Alternative wäre aber, – ich überspitze das jetzt einmal – diese Menschen verhungern zu lassen, sie in die Illegalität und auf die Straße zu treiben und damit soziale Unruhe zu produzieren.

Auch wenn wir von Asylwerbern absehen: Oft heißt es, wir leben aufgrund der guten sozialen Sicherungssysteme in einer leistungsfeindlichen Gesellschaft. Ist das so?
Ich glaube das nicht. Ich glaube, der Großteil der Bevölkerung strebt nach mehr. Wenn man es wirtschaftspolitisch betrachtet, streben wir nach mehr BIP, die Unternehmen nach mehr Umsatz und Produktivität, der Einzelne möchte mehr verdienen und ist bereit, mehr einzusetzen. Im öffentlichen Diskurs haben wir oft das Problem, dass wir uns auf kleine Zielgruppen konzentrieren, zum Beispiel die Mindestsicherungsbezieher. Man sagt, da ist keine Leistung und kein Leistungswille da. Das sehe ich aber nicht so.

Bräuchte man nicht mehr Wertschätzung gegenüber denen, die jeden Tag in die Arbeit gehen?
Das ist der Punkt. Die, die hackeln und jeden Tag in die Arbeit gehen, tragen unser System und sind auch bereit, etwas zu leisten. Das ist nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes.

Hat sich die SPÖ diesbezüglich nicht sehr in eine Ecke drängen lassen?
Die SPÖ verspürt einen Auftrag, sich für jene einzusetzen, denen es gerade nicht so gut geht. Ich glaube, diese Kraft braucht es. Manchmal haben wir uns jedoch auf bestimmte Themen oder Zielgruppen konzentriert und nicht mehr jene im selben Maße wertgeschätzt, die in der Früh aufstehen und arbeiten gehen.

Als Sie die Frauenagenden von Thomas Stelzer übernommen haben, haben Sie sich der Teilzeitarbeit gegenüber kritisch geäußert. Dabei haben Sie selbst nach der Babypause als Teilzeitkraft zu arbeiten begonnen.
Teilzeit ist eine wichtige Form der Beschäftigung, um bestimmte Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen, etwa Beruf und Familie. Aber man muss wissen, welche Auswirkungen eine langfristige Teilzeitbeschäftigung hat. Wenn ich lange teilzeitbeschäftigt bin, hat das Auswirkungen auf meine Pension. Das ist rechnerisch so. Und das hat auch Einfluss auf Abhängigkeitsverhältnisse, und da meine ich nicht alleine den Partner, sondern das gesamte soziale Sicherungssystem.

Wie stehen Sie zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten?
Sie passiert, obwohl es Kollektivverträge und ein Arbeitszeitgesetz gibt. Sie ist auch teilweise gesetzlich abgebildet. Wir haben Berufe, wie etwa im Pflegebereich, wo es überhaupt kein Thema ist, dass man zwölf Stunden arbeitet. Ich glaube, dass man über dieses Thema diskutieren muss, aber nicht in Form von einem Einheitsbrei. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist abhängig von den Branchen und den Qualifikationen. Man muss das systematisch diskutieren und konstruktiv – aber nicht in Form einer Pauschalgeschichte.

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