Gespräch mit einer Hundertjährigen - Agnes Lehner aus Oberwart erinnert sich
Eines hat Agnes Lehner mit der Republik Österreich gemeinsam: Sie wurden beide im selben Jahr geboren.
OBERWART (kv). Genaugenommen erblickt die Jubilarin noch in der K.u.k.-Monarchie das Licht der Welt, nämlich am 5. Jänner 1918.
Nach mittlerweile hundert Jahren Republik Österreich gibt es nur mehr sehr wenige Menschen, die diese Zeiten miterlebt haben und auch noch davon erzählen können. Eine von ihnen ist die gebürtige Steirerin Agnes Lehner.
Positive Einstellung
Die erste Frage, die einem durch den Kopf geht ist, wie man 100 Jahre alt werden und sich dabei auch noch so gut halten kann. "Wichtig ist, dass mir nichts weh tut. Ich habe eine Freude mit meinen Kindern und ich kann auf ein sehr schönes Leben zurückblicken", sagt Agnes. Ihre erfrischend positive Einstellung ist wohl auch ihr "Jungbrunnen-Geheimnis".
Erst seit zwei Jahren lebt sie im Evangelischen Altenheim in Oberwart, davor wohnte sie im Betreuten Wohnen in Oberwart.
Glückliche Kindheit
Aufgewachsen ist Agnes Lehner im steirischen Bärnbach bei Voitsberg. Ihre Eltern bewirtschafteten einen großen Bauernhof mit Knechten und Mägden. "Wir waren damals eine der ersten Familien, die auch Pferde hatten", erzählt Agnes Lehner stolz.
Sie besucht die Volksschule in Piber in unmittelbarer Nähe zum berühmten Lipizzanergestüt. Am liebsten tollt Agnes mit ihren Geschwistern herum und spielt Abfangen. Sie will unbedingt Lehrerin werden, aber die Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg sind hart.
Den einzigen Kontakt zu ihrer steirischen Familie hat sie noch mit der Tochter ihrer Schwester, mit der sie wöchentlich telefoniert.
Im Dienste des Grafen Almásy
Nach Abschluss der Bürgerschule in Voitsberg tritt Agnes Lehner als Kindermädchen in die Dienste des ungarischen Grafen Ladislaus Eduard (László Ede) Almásy auf Burg Bernstein, dem Sohn des namhaften Ethnologen und Zoologen György Almásy.
Damals war Agnes erst 14 Jahre alt. "Der Bub hieß Lorenz und das Mädchen Zita Barbara, aber ich nannte sie immer 'Butzi'. Der Vater war sehr streng, aber wir unternahmen auch viele Reisen." Besonders eine Gondelfahrt in Venedig ist der Pensionistin noch sehr lebhaft in Erinnerung geblieben.
Enger Kontakt zur kaiserlichen Familie
Angeblich war Kaiserin Zita die Taufpatin von Zita Barbara. Und das ist auch durchaus denkbar, denn Almásy chauffierte im Frühjahr 1921 Exkönig Karl IV. (Exkaiser Karl I. von Österreich) bei seinem ersten (gescheiterten) Versuch, den Thron des Königreichs Ungarn wieder zu übernehmen, nach Budapest.
Krieg und Liebe
Auf der Burg lernt Agnes Lehner ihren späteren Mann kennen, den Chauffeur des Grafen. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, kämpft ihr Liebster in Russland, während sie eine Anstellung im Landesratsamt (der heutigen Bezirkshauptmannschaft) annimmt. "Nachdem sie die Männer eingezogen hatten, holten sie sich auch die Frauen, die an der Front Schützengräben graben mussten. Ich hatte große Angst, dass sie auch mich holen würden." Daher schrieb sie einen Brief an die Front, woraufhin ihr Zukünftiger sofort Urlaub nimmt und nach Wien reist. "Dort trafen wir uns und heirateten."
Flucht auf dem Fahrrad
Als 1945 die russichen Truppen die westungarische Grenzen erreichen und in Rechnitz einfallen, flüchtet Agnes Lehner mit ihrer Freundin Inge nach Graz. "Wir schnappten uns unsere Fahrräder und fuhren los. Es ging über Berg und Tal. Heute kann ich wirklich nicht mehr sagen, wie ich das geschafft habe." Sie erreicht irgendwie ihre Familie in Bärnbach und bleibt bis Kriegsende in der Steiermark.
Immer füreinander da
Agnes Lehner und ihr Mann kehren gleich nach Kriegsende nach Oberwart zurück. "Meine Wohnung war völlig leergeräumt. Das waren aber nicht die Russen, sondern die Leute dort. Die dachten, ich würde nie mehr zurückkommen."
Mit ihrer Familie verlebt sie viele glückliche Jahre in Oberwart. "Wir haben uns sehr gerne gehabt und uns immer sehr gut verstanden. In der Familie gab es keinen Zwist oder schlimme Streitigkeiten." Sie bauen ein Haus und bekommen zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. "Meine Gundi lebt heute in Wien, ruft mich aber jeden Tag an. Mein Sohn lebt in St. Martin in der Wart und genießt mit seiner Frau den Ruhestand. Er kommt mich sehr oft besuchen." Auch ihre beiden Enkelkinder liebt Agnes Lehner über alles.
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