Wohnbauprojekt Gallitzinstraße
Darf sozialer Wohnungsbau maximalen Gewinn bringen?
Die Bürgerinitiative "Pro Wilhelminenberg 2030" hat Ende 2020 beim Bezirksgericht Hernals Einsicht in die Kaufverträge (liegen der bz vor) für das geplante Wohnbauprojekt in der Gallitzinstraße 8-16 genommen. Für Sprecher Christian-André Weinberger ist klar, dass schon damals die "Zielsetzung, möglichst viel zu verbauen, um möglichst viel Gewinn zu machen" klar ersichtlich war.
OTTAKRING. Das seit Jahren diskutierte Wohnbauprojekt schien Ende das Jahres auf Schiene zu sein. Auf der Hompage der ARWAG Holding war vom geplanten Baubeginn Ende 2020 zu lesen. 160 Wohnungen, davon 80 gefördert, sollen in acht Baukörpern errichtet werden. Geplante Baufertigstellung: Mitte 2022. Aktuell ist vom Projekt "Am Fuße des Gallitzinberges" auf der Homepage nichts mehr zu sehen.
Für Christian-André Weinberger, Sprecher der Bürgerinitiative "Pro Wilhelminenberg 2030", ein weiteres Zeichen, für Ungereimtheiten. Die Bürgerinitiative setzt sich seit Jahren dafür ein, dass das Bauprojekt "überdacht" wird. "Wir sind nicht gegen das Bauen, sondern für weniger und lockerer, einfach dem Ortsbild angepasst", sagt Weinberger. Es wurde von der Initiative sogar ein Alternativkonzept vorgelegt: "Der Garten Liebhartsthal" (siehe Bild unten).
Einsicht in die Kaufverträge
Weinberger ist sich nach Einsichtnahme in die Kaufverträge einmal mehr sicher, dass dieses "Projekt zum Himmel stinkt". Als Beweis sieht er die Formulierungen in den Kaufverträgen: "Die verwendete Sprache sollte die Aufmerksamkeit der Bevölkerung erreichen."
In einem der Verträge ist wörtlich festgehalten, dass der Käufer erklärt "alles rechtlich und technisch Erlaubte und Zumutbare zu unternehmen, um eine möglichst große bebaubare Nettowohnnutzfläche zu erzielen und dies nicht durch großzügig angelegte Allgemeinflächen (Gärten, Wege, etc.) zu vereiteln" ist.
In den Kaufverträgen ist weiters die Rede von einer "Kaufpreisbesserung". Wörtlich heißt es: "Wenn aufgrund der tatsächlich geänderten neuen Flächenwidmung in Bauland Wohngebiet eine höhere Bebaubarkeit der Liegenschaft, somit eine Nettowohnnutzfläche von mehr als 3.755 m² (ohne Einlagerungsräume, Kellerräume, Allgemeinflächen, Loggien, Balkone, Terrassen, Gärten und Garagen) möglich ist, erhöht sich der Kaufpreis um EUR 1.065,00 pro m² möglicher Nettowohnnutzfläche über 3.755 m² ("Besserungsklausel")."
"Im Endeffekt haben die Investoren sehr erfolgreich eine Verdichtung und Vergrößerung der Nettowohnnutzfläche auf über 6.000 m² betrieben und damit eine völlig überdimensionierte Massivverbauung durchgesetzt. Nur so konnte sich das Projekt für die Bauträger rechnen. Die politisch Verantwortlichen haben dem zu Lasten des Klimas, der Bevölkerung und des UNESCO Biosphärenpark Wienerwald wissend sowohl auf Bezirksebene (Anm.: am 22. November 2018) und Landesebene (Anm.: am 28. Mai 2019) zugestimmt", sagt Weinberger.
"Verdacht auf politische Einflussnahme"
Für den Sprecher der Bürgerinitiative steht "der Verdacht der politischen Einflussnahme im Raum". Als weiteren Beweis sieht Weinberger die nahezu identen Termine der Flächenumwidmung im Gemeinderat (28. Mai 2019) und des Vertragsendes (31. Mai 2019). Auch finden sich laut Weinberger "keinerlei Einschränkungen ökologischer Art in den Kaufverträgen".
Ein weiteres Detail lässt Weinberger an seinen Vermutungen festhalten. "Nicht der Verkäufer, sondern der Käufer in dessen Vertretung – damit auch die ARWAG als rund 30-Prozent-Konzerntochter der Stadt Wien – verhandelt mit der Stadt Wien den städtebaulichen Vertrag. Dies ist mit transparenten Compliance-Regeln nicht vereinbar."
Der Bürgerinitiativen-Sprecher fasst zusammen: "Die Politik schaut zu und sagt nachher, es ist ein Vorzeigeprojekt. Auch die 1.000 m² große Wiese, von der immer die Rede ist, ist auf dem Plan oder der Flächenwidmung nicht vorhanden. Drücken wir den Notknopf, gehen zurück zum Start und planen mit der Bevölkerung und im Einklang mit der Natur eine Redimensionierung."
Das sagt die Bezirkspolitik
Die bz hat Bezirksvorsteher Franz Prokop (SPÖ) mit den Vorwürfen konfrontiert. Zum Inhalt der Verträge hält er fest: "Für privatrechtliche Verträge zwischen Vertragsparteien gibt es keine Informationspflicht nach außen oder Genehmigungspflicht durch Dritte (Anm.: Personen, Verwaltung, Behörde oder Gesetzgeber) und den Inhalt solcher Verträge legen die Vertragspartner fest. Der für die Stadt Wien einzig relevante Vertrag ist der städtebauliche Vertrag aus dem Sommer 2019."
Weiters erklärt Prokop: "Die zuständige Fachdienststelle hat den Auftrag, die Wiener Flächenwidmungspläne in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und zu überarbeiten. Wünsche nach Widmungsänderungen, die jeder einbringen kann, sind inhaltlich und fachlich zu überprüfen und wenn sie im Sinne der Stadt, deren Entwicklung und der Bevölkerung sind, werden sie in die neuen Flächenwidmungspläne eingearbeitet. Die Gremien des Bezirkes sind im Interesse der Ottakringerinnen und Ottakringer der Empfehlung des Fachbeirates zur Verdichtung nicht gefolgt und haben eine zur Erhaltung der Lebensqualität viel weitreichendere Stellungnahme abgegeben."
Prokop weist auch darauf hin, dass im Gegensatz zur vormals gültigen flächigen Grünlandwidmung, die eine 100-prozentige Bebauung der Liegenschaften mit bis zu 7,5 Meter hohen Gebäuden für landwirtschaftliche Zwecke plus 1,5 Meter Dach ermöglichte, der nun festgesetzte Flächenwidmungs- und Bebauungsplan 8197 eine Wohnhausanlage mit einer kompakten Bebauungsstruktur und durchgrünten Freiräumen in den Bauklassen I, II und III vorsieht.
Konkret zu Kaufverträgen und deren Inhalt hält der Bezirksvorsteher fest: "Unbekannte, erst nach Jahren bekannt gewordene privatrechtliche Verträge sind keine Grundlage für Beschlüsse der Gremien des Bezirkes und der Stadt."
Für die Grünen und Bezirksvorsteher-Stellvertreterin Barbara Obermaier ist klar: "Aus den ursprünglichen Kaufverträgen ist ersichtlich, dass das Vorhaben ohne unseren Einsatz aus ökologischer Sicht absolut ungenügend gewesen wäre. Alleine durch unser vehementes und nachdrückliches Engagement für einen städtebaulichen Vertrag zwischen der Stadt Wien und den Bauträgern konnten umfassende ökologische Maßnahmen erstmals einen rechtlich abgesicherten Rahmen bekommen.“
Kritik von ÖVP und FPÖ
Stefan Trittner, Klubobmann der ÖVP Ottakring, sagt: "Die Erzählungen von Bezirksvorsteher Prokop und Grünen-Stellvertreterin Obermaier zu einem angeblich ökologischen Vorzeigeprojekt entpuppen sich mit dieser Vertragsenthüllung endgültig als unrichtig. Es wurde sogar vertraglich festgelegt, dass Ökologie und Freiflächen zu vereiteln sind. Dieses rotgrüne Kartenhaus ist jetzt spektakulär zusammengebrochen und der Fall entwickelt sich von einem rotgrünen Naturraub an den Ottakringern weiter zu einem Skandal mit Millionengewinnen durch rotgrüne Wunschwidmungen zum Wunschtermin für stadtnahe Bauträger."
Der FPÖ-Klubobmann Michael Oberlechner meint: "Die Optik der Verträge, die mir bis dato im Detail nicht bekannt waren, ist absolut verheerend. Dass eine Konzerntochter der Stadt Wien als Käufer de facto mit sich selbst verhandelt, lässt politische Einflussnahme zumindest vermuten. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat bezüglich fraglicher Widmungen, meines Wissens nach, im März 2020 den Kreis der Beschuldigten erweitert und die Ermittlungen ausgedehnt. Diese Ergebnisse sind jedenfalls abzuwarten. Es wäre nur selbstverständlich, zurück an den Start zu gehen, statt nicht mehr reparable Fakten zu schaffen. Die ständige Argumentation, dass es sich um Privatgrund handelt, zieht nur bedingt. Spätestens mit der für die Bauträger terminlich optimal veranlassten Umwidmung ist der 'private Bereich' verlassen. Die Massivverbauung hätte also seitens der Politik verhindert werden können. Leider fehlte dazu der Wille."
Neos und Links zurückhaltend
Ludwig Hetzel, Klubobmann der Neos Ottakring, zum Thema: "Mir ist der Inhalt der Kaufverträge nicht bekannt. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine Verkleinerung des Bauprojektes angebracht ist und stehe für einen Neustart gerne zur Verfügung."
Fritz Fink (Links) über die Kaufverträge: "Eine Kenntnis dieser Verträge hätte keine Änderung bei mir für die Umwidmung bewirkt. Die Umwidmung ist sinnvoll, eine geringere Verbauung wäre aber wünschenswert. Das Projekt zurück an den Start wäre nur sinnvoll, wenn der Grundstückserwerber die Stadt Wien wäre, um dort Gemeindebauten und Genossenschaftswohnungen zu errichten, denn nur das ermöglicht leistbares Wohnen."
Zum Thema bereits erschienen:
- Gallitzinstraße: Kommt der nächste Monsterbau?
- Widerstand gegen Baupläne
- Umwidmung sorgt für Zwist
- 6.000 Bürgerstimmen von Rot/Grün einfach weggewischt
- Bürgerbeteiligung ist mangelhaft
- Gab es Eingriffe ins Umweltgutachten?
- Bürgerinitiative fordert die Herausgabe der Umweltgutachten
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