KZ Gusen: Die Suche nach der ganzen Wahrheit

Das Memorial Gusen erinnert an die Opfer. Überlebende bezeichneten das KZ Gusen als "Hölle aller Höllen". | Foto: Privat
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  • Das Memorial Gusen erinnert an die Opfer. Überlebende bezeichneten das KZ Gusen als "Hölle aller Höllen".
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ST. GEORGEN/GUSEN. In der jüngeren Vergangenheit sind rund um den KZ-Komplex Gusen viele Spekulationen aufgetaucht. Von unentdeckten Nazi-Stollen und möglicher Atomforschung war die Rede. Eine 16-köpfige Expertenrunde präsentierte Anfang 2015 ihre Ergebnisse: Es gebe keine schlüssigen Hinweise, dass die Stollenanlage größer wäre oder es Aktivitäten wie Atom- oder Raketenforschung gegeben habe. Der Stollen "Bergkristall" sei acht km lang, produziert wurden Messerschmitt-Jadgflugzeuge.

Stollen 30 bis 40 Kilometer lang?

Umso interessanter klingen die vor einigen Wochen von Historiker Stefan Karner, Uni Graz, im ORF getätigten Aussagen über Gusen: "Es dürfte sich auch um Forschungen gehandelt haben, die zur Herstellung einer Kettenreaktion notwendig sind. Wenn eine Kettenreaktion einmal da ist, ist der Weg Richtung Atombombe gezeichnet." Und: "Klar scheint, dass aufgrund der neuen Indizien die Stollenanlage wesentlich größer war, wir schätzen an die 30 km." Auf Nachfrage der BezirksRundschau sagt Karner: "In der Sache Gusen wird es vermutlich eine weitere Expertenkommission geben. Da möchte ich deren Ergebnissen nicht vorgreifen."

Zeitzeuge Chmielewski: "Scheint darum zu gehen, Gusen vergessen zu machen"

Dass unter St. Georgen mehr war oder ist, darauf deuten auch Aussagen von Walter Chmielewski hin. Der 87-jährige Münchner ist Sohn von Karl Chmielewski, bis 1943 Lagerkommandant in Gusen. Walter Chmielewski brachte seine Erinnerungen im Buch "Der Sohn des Teufels", Autor Holger Schaeben, auf Papier. Er kam 1940 mit elf Jahren nach Gusen und lebte dort bis 1945: "Nach meinem Wissensstand waren die Stollen ungefähr 20 km lang und zweistöckig, also 40 km", sagt er. "Ende 1944, Anfang 1945 ging das Gerücht um, Hitler hätte einen Befehl ausgegeben: Die Flugzeugproduktion sei zu langsam und der Krieg damit nicht zu gewinnen. Es soll umgestellt worden sein auf die Forschung nach Atombomben." Er kritisiert, dass bis jetzt nicht erwiesen sei, was im Untergrund ist. So sah er dort zwischen 20. und 30. Mai 1945 mit eigenen Augen V2-Raketen.

Bürgermeister hofft auf Expertenkommission und wissenschaftliche Arbeit

St. Georgens Bürgermeister Erich Wahl (SP) sagt zwar: "Die Expertenkommission hat nachgewiesen, dass es nichts mehr gibt." Aber: "Natürlich ist keiner unfehlbar, es gibt Dokumente, dass mehr sein könnte. Das deutsche Reich hat aber auch unwahre Dokumente verbreitet, um den Feind zu verwirren. Was wahr ist und was nicht, ist nicht nachzuvollziehen." Er tritt dafür ein, dass wieder eine Expertenkommission eingesetzt wird. Im Zuge der Bewusstseinsregion werde man anstreben, dass "endlich eine wissenschaftliche Arbeit zu Gusen gemacht wird". Dabei werde es auch Archäologen brauchen.

"Die Wahrheit weiß nur der Spaten"

Martha Gammer vom Gedenkdienst Komitee Gusen: "Wir wissen nicht sehr viel, bevor die Amerikaner nicht mehr freigeben ist es schwer. Die Präsentation der Ergebnisse der Expertenkommission war aber nur ein Beruhigen." Gammer weiter: "Die Wahrheit weiß nur der Spaten, wirklich wissen kann man nur das, was man ausgräbt." Den Stein ins Rollen brachte Andreas Sulzer. Der Filmemacher arbeitet an einem neuen Film über Gusen, der 2017 im ZDF ausgestrahlt wird. Dort will er neue Details über die Ausmaße des KZ Gusen präsentieren.

"Keine neuen Indizien seit dem Expertenbericht"

Für Bezirkshauptmann Werner Kreisl, der 2014 eine Expertenkommission eingesetzt hatte, gelten deren Ergebnisse nach wie vor: "Es gibt keine weiteren Unterlagen und Indizien. Als Behörde schreite ich ein, wenn ich klare Hinweise habe. Ich verlasse mich auf Bertrand Perz und Claudia Theune-Vogt, sie beschäftigen sich seit vielen Jahren damit." Perz, Historiker an der Uni Wien, sieht es ebenso: "Neue Indizien liegen seit der Erstellung des Berichtes nicht vor." Die Aussage, dass Gusen vergessen gemacht werden soll, erscheint ihm "völlig verfehlt". Er verweist auf Aktivitäten wie historische Erklärungstafeln beim "Bergkristall"-Eingang, Bewusstseinsregion und Publikationen zu Gusen. Die Suche nach angeblichen sensationellen "Geheimnissen" halte er für nicht geeignet, die Erinnerung wachzuhalten – im Gegenteil. Claudia Theune-Vogt, Archäologin an der Uni Wien, verweist bezüglich einer möglichen Atombomben-Entwicklung durch die Nazis auf Kernphysiker Manfred Popp. "Er hat unter Auswertung aller, auch neu aufgetauchter Dokumente plausibel dargelegt, dass die Physiker an Reaktortechnologien forschten, aber nicht an einer Bombe, die grundsätzlich anders funktioniert."

Zur Sache: Gusen

Der KZ-Komplex bestand aus den Lagern Gusen I, II und III. Gusen I wurde 1939 gegründet. Im März 1944 kam Gusen II hinzu. Der unterirdische Stollen "Bergkristall" wurde 1944 ausgehoben. Dort mussten die Gefangenen Messerschmitt-Flugzeuge produzieren. Um ein kleineres Lager handelte es sich bei Gusen III. In Gusen waren laut offiziellen Zahlen 71.000 Häftlinge, rund 36.000 Menschen starben. Bei der Befreiung am 5. Mai durch die US-Armee befanden sich 24.000 namentlich bekannte Häftlinge in Gusen I und II. In der letzten Zeit kamen Spekulationen auf: Viele fragen sich, warum in Gusen auffallend viele Chemiker in Haft waren und wieso SS-Geheimwaffenchef Hans Kammler ab 1943 in Gusen war. Auch ausgehobene Dokumente und Fotos sollen auf ein größeres Ausmaß der Stollen und auf geheime Forschung hindeuten.

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