Coronavirus
Dietmar Schennach: Corona – Weg weisend aus der Krise!

Dr. Dietmar Schennach beschäftigt sich intensiv mit dem Theme Coronavirus. | Foto: Archiv/Reichel
  • Dr. Dietmar Schennach beschäftigt sich intensiv mit dem Theme Coronavirus.
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AUSSERFERN (rei). Der gebürtige Außerferner Dietmar Schennach war von 2000 bis 2009 Bezirkshauptmann in Reutte, danach fungierte er als stellvertretender Landesamtsdirektor von Tirol und war damit defakto zweithöchster Beamter im Land. Seit 1. Februar 2019 ist er in der Pension, die aber nicht unbedingt einem "Ruhestand" gleich kommt: Schennach ist heute als Vortragender am MCI in Innsbruck tätig. In dieser Tätigkeit beschäftigt ihn auch das Thema Covid19, also das Coronavirus. Hier versucht er einen Bogen von der Covid-Zeit bis in die Nach-Covid-Phase zu spannen und auch seine Studenten so einzubinden, dass diese das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Es sind interessante Ansatzpunkte, die Schennach dabei gemeinsam mit den MCI-Absolventen betrachtet und bearbeitet. Nachfolgend seine Gedanken, die - so der Wunsch und die Hoffnung von Dietmar Schennach - "fortgeschrieben" werden sollen.

Gedanken von Dr. Dietmar Schennach
rund um das Coronavirus


Corona hat uns auf dem falschen Fuß erwischt!
Die größte Krise seit dem zweiten Weltkrieg ist für uns alle eine unvorstellbare humanitäre Katastrophe. Die „Mehrfachkrise“ ist plötzlich und unvermutet in unser Leben getreten und hat weltweit Krankheit und Tod gebracht: Insgesamt knapp 2,5 Millionen Infizierte und 170.000 Tote! Leid und Elend in der südlichen Hemisphäre sind für uns noch nicht abschätzbar, weil die Pandemie dort erst vor kurzem angekommen ist. Droht eine neue Fluchtwelle vor hygienisch und gesundheitlich nicht haltbaren Zuständen?

Covid 19 hat eine menschliche und wirtschaftliche Krise mit noch unabsehbaren Folgen ausgelöst. Wir alle sind mit einer neuen Zeitrechnung konfrontiert, der Zeit vor Corona, der mit Corona und der nach Corona. Neue Worte sind unser täglicher Sprachgebrauch geworden: Lockdown oder Social Distancing.

Die Verantwortungsträger in Österreich haben schnell und gut reagiert: Die rigiden gesellschaftspolitischen Maßnahmen zeigen Wirkung und Österreich hat europaweit sehr geringe Opferzahlen. Dass das so ist und bleibt ist vor allem der besonnenen Bevölkerung zu verdanken, die einen Großteil der Einschränkungen verständnisvoll mitträgt. Vielerorts sind dabei schwierige Entscheidungen zwischen Herz und Hirn notwendig!
Wir haben mitbekommen, wie schnell unser Gesundheitssystem unter Druck geraten kann. Jeder von uns ist verwundbar. Wir haben aber auch eine Lernkurve mitgemacht: Jeder von uns kann einen wirksamen Beitrag zur Reduzierung von Ansteckungsgefahr leisten, gemeinsam können wir die Krise besser bewältigen. Eine neue Zeit der „Entschleunigung“ ist angebrochen. Und jede Krise birgt auch immer eine Chance: Unsere Chance ist eine strategische Neuausrichtung in vielen Lebensbereichen!

Es wird notwendig sein, eine neue Risikoanalyse über all unsere Lebensgewohnheiten zu legen. Wo stehen unsere vulnerablen Gruppen? Wer sind unsere Systemerhalter? Sind wir gesellschaftlich ausfallssicher? Und da geht es nicht nur um die Gesundheits- und Sozialversorgung, sondern auch um die Sicherung von Energie-, Wasser-, Abwasser und Müllversorgung, um die Erhaltung unserer Telekommunikationseinrichtungen, von Verkehrswegen. Strategischen Reserven, Einsatzkräften, Systemerhaltern und Schlüsselarbeitskräften.

Wir sehen neue Formen der Kommunikation: glasklar, ehrlich, unaufgeregt und lernen mit Bild und Wort. Emotionen werden dadurch genommen, Panik wird vermieden. Gespräche erfolgen auf Distanz, über Video-Konferenzen. Wir lernen, dass Breitbandausbau, insbesondere auch in den ländlichen Regionen, notwendig ist. Digitalisierung wird auf allen Ebenen gestärkt. Wir müssen aber auch die Hardware hin zu den Familien bringen. Immer lauter wird die Rückforderung nach Wiederaufnahme unseres Schulsystems. Sind viele von uns an den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit angelangt? Lehrpläne und Lehrinhalte werden sich aufgrund unserer Erfahrungen immer mehr an digitalen Möglichkeiten ausrichten müssen. Europäische Forschung ist wieder in unseren Fokus gerückt und muss gestärkt und gefördert werden.

Die Auslagerung von Arbeit in Drittstaaten wegen geringerer Personalkosten, weniger Umweltauflagen, mehr staatlicher Förderung und weniger Steuerbelastung hat die Gefahren für unsere lebensnotwendige Versorgung aufgezeigt: Schutzanzüge, Beatmungsgeräte, Medikamente, Masken können nur schwer in unser Land gebracht und den Nachfragenden zur Verfügung gestellt werden. Der Ruf mach Autarkie wird laut!

Homeoffice und Teleworking sind neue Arbeitsformen, diese benötigen aber auch Disziplin, Vertrauen und Erfolgskontrolle!
Die Krise hat aber auch eine neue Flexibilität unserer Gesellschaft bewiesen: 3-D-Drucker-Masken, Beatmungsgeräte aus der Autofabrik, Online-Kauf und Lieferung von selbst produzierten landwirtschaftlichen Gütern, Schneekanonen für großflächige Desinfektionen, Gottesdienste in Autokinos oder die Produktion von Mund-Nase-Masken durch Top-Designer und Stoffproduzenten sind nur einige erwähnenswerte Beispiele.

Gesundheit und Pflege stehen derzeit im Mittelpunkt unseres Augenmerks. Und wir können auf unser System sehr stolz sein: Es hat in-Corona seine Feuertaufe jedenfalls bestanden! Wie wohl uns Grenzen drastisch vor Augen geführt wurden: Bei den Gesundheitsstrukturen müssen wir das flächendeckende Niedergelassenensystem der Allgemeinmediziner weiter stärken, frei nach dem Motto: Hin zu noch mehr Versorgungssicherheit! Wir müssen die Arbeitsbedingungen in der Pflege nachhaltig verbessern und unsere Bemühungen für die Aufnahme von mehr Pflege- und Betreuungskräften vergrößern. Die neue Wertschätzung für diese Arbeit ist ohnehin angekommen (18.00 Uhr-Konzerte in unseren Wohnanlagen). Wir müssen aber auch die pflegenden Angehörigen, die unglaubliches leisten, mehr unterstützen (wir sollen ja unsere Omas und Opas derzeit nur virtuell treffen!).

Unser Rechtssystem ist in der Krise nicht „aus den Fugen“ geraten! Unser Herr Bundespräsident hat die Bundesverfassung als hellen Fixstern am Firmament bezeichnet. Und unsere Verfassung wirkt! In Österreich gibt es keine Orban-Ermächtigungen. Der Weg des gesetzlichen Werdeganges ist eingehalten, wiewohl Ermächtigungen einen behutsamen Umgang mit Recht und Ordnung gebieten. Wir brauchen „saubere“ Bestimmungen, die Gesamtschau aller vorübergehend neu zu ordnenden Lebensbereiche muss beachtet werden, Vollziehbarkeit und Ordnung sind sicherzustellen. Dazu dienen zeitliche Befristungen von Verordnungsermächtigungen, aber auch unser funktionierendes System der Rechtskontrolle. Eine kritische Medienlandschaft ist dabei unterstützend notwendig.

Wo ist dabei unsere Europapolitik geblieben? Die europäischen Mitgliedsstaaten haben Einreisebestimmungen ausgesetzt und Grenzen geschlossen, jeder für sich ein eigenes System zur Bewältigung der Krise umgesetzt. Es ist unzweifelhaft, dass Europa keine Ordnungskompetenz bei Pandemien zukommt – aber ist das alles nur „Subsidiarität“? In einem Klima von Unsicherheit will die Bevölkerung nicht, dass eine Quarantäne in Tirol von Brüssel aus verordnet wird! Aber viele von uns wünschen sich mehr europäische Initiativen, vor allem in den Kernaufgaben gemeinsame Krisenbewältigung, wirtschaftlicher Wiederaufbau, gemeinsame Wirtschaftspolitik oder Absicherung des Währungssystems. Was wir nicht brauchen ist eine Nord-Süd- oder Ost-West-Teilung Europas!

All die wirtschaftliche Hilfe für die mit- oder nach-Corona-Zeit wird von uns solidarisches Handeln verlangen. Die Diskussionen über Vermögenssteuer, über Solidarbeitrag der älteren Generation (die im Regelfall vermögender, da mehr spargeleitet ist), über die Einführung einer Flugticketabgabe oder die Aufnahme neuer Staatsanleihen und Eurobonds hat schon begonnen. Jedenfalls ist unsere wirtschaftliche und soziale Handlungsfähigkeit zu erhalten!

Und dann bin ich schon beim letzten Punkt meiner Betrachtung angelangt: Welche Lehren haben wir gesellschaftspolitisch aus Covid 19 gezogen? Überlebenssicherung hat Gewinnmaximierung abgelöst! Wir haben wieder gelernt, Menschen besser zu kennen, zu erkennen. Gemeinwohlorientierung muss gestärkt werden, da sind wir alle mit mehr Solidarität, mit mehr Empathie gefragt. Vereinsamte oder Benachteiligte unserer Gesellschaft bedürfen unserer Obsorge und unsere vornehmste Aufgabe muss es sein, Menschen (Ob)Dach zu gewähren. Hinschauen statt wegschauen ist mehr denn je gefragt!
Auch unsere Lernkurve ist exponenzial!

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