Interview mit Rainbows-Gruppenleiterin
"Scheidungskinder brauchen Begleiter durch ihr Gefühlschaos"

Kinder, deren Eltern sich trennen bzw. scheiden lassen, haben mit Ängsten, Wut, Ohnmacht, Schuldgefühlen und Enttäuschung zu kämpfen. Diese Reaktionen sind für Eltern oft schwer auszuhalten, aber normal. Die Kinder versuchen ihr inneres Gleichgewicht wieder herzustellen. | Foto: Rainbows
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  • Kinder, deren Eltern sich trennen bzw. scheiden lassen, haben mit Ängsten, Wut, Ohnmacht, Schuldgefühlen und Enttäuschung zu kämpfen. Diese Reaktionen sind für Eltern oft schwer auszuhalten, aber normal. Die Kinder versuchen ihr inneres Gleichgewicht wieder herzustellen.
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SCHÄRDING, ANDORF. Marie-Thérèse Schmiedleitner leitet seit einem Jahr im Familienzentrum Schärding und Andorf Gruppenworkshops für Kinder, deren Eltern sich trennen oder scheiden lassen. Im Interview erzählt sie was Kids in dieser Situation unbedingt brauchen, wie sie dazu am besten unterstützt werden können und was in den Rainbows-Gruppentreffen passiert.

Sie sind seit sechs Jahren Pädagogin, Elternberaterin und Rainbows-Gruppenleiterin. Wie erleben Kinder, aus Ihrer Erfahrung heraus, die Trennung oder Scheidung der Eltern?
Marie-Thérèse Schmiedleitner: Die Trennung oder Scheidung der Eltern stellt für Kinder eine Herausforderung dar. Die vertraute Welt verändert sich. Ängste, Wut, Ohnmacht, Schuldgefühle und Enttäuschung sorgen für Verunsicherung und Gefühlschaos. Fragen tauchen auf: Bei wem werde ich wohnen? Haben mich meine Eltern noch lieb? Kinder haben oft Angst durch die Trennung den „ausgezogenen“ Elternteil zu verlieren.
Sie sind verunsichert, wenn sie keine Informationen erhalten, zum Beispiel darüber wann sie den anderen Elternteil wieder sehen werden. Kinder stecken oft in Loyalitätskonflikten, das heißt sie stehen zwischen Mama und Papa. Sie lieben jeden Elternteil und wollen es beiden recht machen. Sehr belastend für Kinder ist es, wenn von ihnen verlangt wird, dass sie für einen der beiden Elternteile Partei ergreifen. Besonders wichtig ist es, dem Kind die Angst zu nehmen, an der Scheidung schuld zu sein. Außerdem sind alle Kinder traurig, wenn sich das vertraute Familienleben verändert.

Was brauchen Kinder in dieser Situation?
Ein Kind braucht ausreichend und korrekte Informationen über die Trennung der Eltern und die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Kinder sollten durch das Gefühlschaos begleitet werden, das heißt, dass die Eltern den Kindern vermitteln, dass alle Gefühle, die auftauchen okay sind und sie beim Ausdruck dieser Gefühle unterstützen. Ein regelmäßiger, sicherer, verlässlicher und persönlicher Kontakt zum ausgezogenen Elternteil ist besonders wichtig. Wenn der Kontakt nicht mehr täglich sein kann, ist es von großer Bedeutung, dass der Elternteil Interesse am Kind und seinem Alltagsleben zeigt. Der Austausch mit Gleichbetroffenen verringert das Gefühl des „anders seins“ und ermutigt, über die Situation zu sprechen.

Wie reagieren Kinder generell auf die Scheidung? Welche unterschiedlichen Reaktionen haben Sie erlebt?
Kinder zeigen nach der Trennung ihrer Eltern unterschiedliche Reaktionen zum Beispiel Weinerlichkeit, Wut und Aggression, Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten, psychosomatische Beschwerden, Rückzug, Traurigkeit. Wichtig ist zu wissen, dass diese Reaktionen für die Eltern oft schwer auszuhalten, aber ganz normal sind. Die Kinder versuchen, ihr inneres Gleichgewicht wieder herzustellen und das ist gut.

Kann es auch sein, dass Kinder sich nach außen hin ganz „normal“ verhalten und innerlich aber zu kämpfen haben?
Dieses „Nicht-Reagieren“, so tun, als ob nichts wäre, kommt gar nicht so selten vor. Es ist besonders bei recht angepassten Kindern der Fall. Das heißt nicht unbedingt, dass diese Kinder besser mit der Situation zurechtkommen. Häufig trauen sie sich nicht oder haben keine Möglichkeiten, ihre Gefühle zu zeigen. Diese Kinder brauchen verstärkt Angebote, die es ihnen ermöglichen, über die Situation zu sprechen und ihre Emotionen zum Ausdruck zu bringen.

Wie zeigen sie ihre Bedürfnisse?
Kindern fällt es aufgrund von Loyalitätskonflikten und Unsicherheiten schwer, ihre Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Sie nehmen auf die Eltern Rücksicht, wollen niemanden verletzen. Oft fehlen ihnen auch die passenden Worte. 

Gibt es in Sachen Reagieren und Bedürfnisse alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede?
Ja, diese gibt es schon. Jüngere Kinder können mit Angst, Schlafschwierigkeiten oder Rückschritte in der Entwicklung, Traurigkeit und Schuldgefühlen reagieren. Kinder im Volksschulalter zeigen oft Reaktionen wie Trauer, Hilflosigkeit, Zorn, Leistungsabfall oder Scham. Ältere Kinder können auch zu viel Verantwortung übernehmen. Bei Jugendlichen könnte sein, dass sich diese überstürzt vom Elternhaus ablösen.

Wie kann ich ein Kind in dieser Phase am besten unterstützen und stärken?
Ein guter Kontakt zum ausgezogenen Elternteil, oft der Papa, ist wichtig für die Bewältigung der Scheidung. Ein Kind erlebt sich als Teil von Mutter und Vater. Alles, was an einem der beiden kritisiert wird, erlebt das Kind als Kritik an sich selbst. Daher sind gegenseitigen Abwertungen oder Beschimpfungen zwischen den Eltern absolut kontraproduktiv. Die Kinder brauchen die Erlaubnis, beide Elternteile lieben zu dürfen. Das heißt auch den anderen Elternteil vermissen zu dürfen, wenn dieser nicht da ist.
Wenn möglich, sollte sich in der Lebenswelt der Kinder wenig ändern.
Generell geben Alltagsrituale und ein strukturierter, gleichbleibender Tagesablauf sehr viel Sicherheit und Halt. Eltern sollten besonders darauf achten, dass sie Zusagen und Abmachungen verlässlich einhalten.

Ihr Tipp an Eltern, die sich trennen/scheiden lassen?
Eine kooperative und konfliktarme Zusammenarbeit zwischen den Eltern ist besonders wichtig. Ob das Kind gestärkt durch diese Krisenzeit gehen kann, hängt in hohem Maße davon ab, wie die Eltern vor, während und nach der Trennung mit der Situation umgehen und welche Unterstützung alle Beteiligten bekommen.

Welche Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?
Der Verein Rainbows bietet ein "Stärkungsprogramm" für Kinder und Jugendliche. Dabei bieten wir alterhomogene Gruppentreffen für Kinder sowie Einzelbegleitung an. Ersteres findet in einem geschützten Rahmen über einen Zeitraum von vier bis fünf Monaten statt. Gruppen von vier bis maximal sechs Kinder werden darin unterstützt, mit der neuen Familiensituation besser zurecht zu kommen und positive Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Wir können die Situation nicht ändern, aber wir können den Betroffenen dabei helfen, ihre Ressourcen zu entdecken und auszubauen. Zudem erleben die Kinder in der Gruppe, dass sie nicht alleine sind, dass auch andere Kinder getrennte Eltern haben und sich in einer ähnlichen Situation befinden, dass sie sich nicht schämen müssen. Sollte keine passende Gruppe stattfinden, gibt es auch die Möglichkeit einer Einzelbegleitung für Kinder. Auch als Überbrückung bis zum nächsten Gruppenstart bieten wir diese Einzelstunden an. Außerdem gibt's individuelle Beratungen für Eltern. 

Was glauben Sie: Sollten Scheidungskinder grundsätzlich außerfamiliär professionell unterstützt werden?
Professionelle Unterstützung ist in jedem Fall wirksam und positiv. Die Teilnahme an einer Rainbows-Gruppe oder Einzelbegleitung stärkt die Resilienz, das heißt die seelische Widerstandskraft, der Kinder und fördert die Lebenskompetenzen. Man möchte es bei dem „schweren“ Thema ja nicht vermuten, aber die Kinder kommen total gerne in jede Stunde. Bei uns wird gelacht. Wir arbeiten mit altersgerechten, kreativen und spielerischen Methoden. Der angeleitete Austausch, der respektvolle Umgang und die speziell ausgebildete Mitarbeiter und ihre positive Grundhaltung sorgen dafür, dass die Kinder begeistert teilnehmen.

Seit wann gibt’s die Rainbows-Angebote im Bezirk Schärding? 
2015 und 2016 hat eine Kollegin zwei Gruppen und Einzelbegleitungen im Bezirk Schärding gemacht. Dann war eine Unterbrechung bis ich von Wien hierher übersiedelt bin.

Wie viele Scheidungskinder im Bezirk Schärding wurden seitdem von Rainbows betreut?
Zehn Kinder.

Wann starten die nächsten Gruppen im Bezirk Schärding?  
Anfang bis Mitte April starten wir in Schärding bzw. Andorf, je nach Bedarf.
Die Kinder werden telefonisch oder online in der OÖ Landesstelle in Gmunden angemeldet (Tel. 07612/63056). Dort kann man auch unverbindlich und kostenlos ausführliche Informationen anfordern. Die Kinder können laufend angemeldet werden. Die Organisation erfolgt in der Landesstelle. Ich erhalte dann den Auftrag, die Begleitung oder Gruppe vor Ort zu übernehmen.

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