BIRKE. Wie Betula das Beltanefest rettete - Märchen und Geschichten - Teil 95

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Morgen ist Walpurgis. Überall im Land werden die Maibäume aufgestellt. Musikkapellen treten zum Weckruf an. Vor vielen Jahren durfte ich die Nacht auf den ersten Mai in Norddeutschland verbringen, wo anstatt des Maibaumes eine Birke aufgestellt worden war, die üppig mit bunten Bändern geschmückt war. Als mir diese Anekdote in den Sinn kam, ging damit dieses Märchen einher. Das Märchen vom vorchristlichen Beltane-Fest und der besonderen Bedeutung der Birke. Ein Schutzbaum, der sowohl als Räucherung als auch in Form von Birkenzucker und Birkenwasser von sich Reden macht. Insgesamt gilt Birkenwasser als entzündungshemmend und Cholesterin senkend. Auch soll es sich als Entgifter einen Namen gemacht haben und bei Blutarmut, Gicht, Rheuma und Frühjahrsmüdigkeit helfen. Neugeborenen sollen früher zum Schutz Birkenblätter in die Wiege gelegt worden sein.

Betula rettet das Beltane-Fest

Der Frühling war ins Land gezogen. Schon seit Tagen erblühten Pflanzen, Hecken und Bäume in den leuchtendsten Farben. Das Jahresrad hatte sich auf Fruchtbarkeit und Lebenslust gedreht. Betula tanzte mit wehendem Goldhaar den holprigen Feldweg entlang, der sie zu ihrer gemütlichen kleinen Hütte am Waldrand führte. Wie ihre Namensschwester die Birke, war Betula ein anmutiges Mädchen mit zarten Gliedern und fließenden Bewegungen. Ihre Augen sprühten vor Lebenslust und ihr braungebranntes Gesicht strahlte so oft vor der Freude, die so leicht aus ihrem Innern hervorbrach. "Pass gut auf sie auf!" flüsterten die Frauen im Dorf Betulas Mutter zu. "Sie ist jetzt schon eine richtige kleine Naturschönheit und ist doch erst 11."

Betula selbst achtete wenig auf ihr Aussehen. Sie liebte die Natur, ihre Lebewesen und Jahreszeiten. Wusste instinktiv welche Pflanze sie bei den jeweiligen Beschwerden einsetzen konnte. Ihre geliebten Waldtiere verstand sie oft besser als die Menschen. Selbst die Feen und Naturwesen fühlten sich zu der warmherzigen Kleinen hingezogen. Wenn sie mit ihnen sang und spielte, hatten sie sich angewohnt, Betula als Gegenleistung in die Geheimnisse der Natur einzuführen.

Betulas Leben war gut, dessen war sie sich bewusst. Kaum ein anderes Mädchen hatte so viel Freiheit und Leichtigkeit in dieser dunklen Zeit. Doch die Hexenfeuer hatten auch hier schon zu brennen begonnen. Ja, es war Vorsicht geboten.

Betulas Mutter lebte und arbeitete in einer kleinen Hütte, dort wo die lange Hecke in den Wald mündete. Sie war geschickt, stellte Kräuterkörbe und Stoff aus Brennesselfasern her, die sie im Dorf verkaufte. In Wahrheit aber gehörte sie zu jenen weisen Frauen, die hochangesehen Jahrhunderte lang an der Hecke gelebt hatten und den Menschen Rat und Heilung spendeten. Als "Töchter der Göttin" hatten sie einst großes Ansehen genossen. Jetzt hieß es Obacht geben.

Aber heute war Beltane - der letzte Tag im Monat April, an dem die weiße Göttin ihr rotes Kleid anzog um der Erde Fülle und Fruchtbarkeit zu bringen. Die weisen Frauen feierten das Fest seit Uhrzeiten im geheimen Birkenhain, wo Jahr für Jahr die Frühlingshafte Göttin auf den großen gehörnten Jäger traf, um sich mit ihm - begleitet vom Schein der Beltanefeuer und dem heiligen Klang der Trommeln, zu vereinen. Eine Jungfrau aus den Reihen ihrer Töchter wurde ausgewählt, um die heilige Göttin darzustellen. So wollte es die Überlieferung. Betula hatte das alles heimlich herausgefunden, sich Stück für Stück zusammengereimt. Auch sie stammte vom großen gehörnten Jäger ab - ihren wahren Vater kannte sie nicht. "Ich bin 11! Hatte sie vehement zu ihrer Mutter gesagt. "Lass mich auch mit zum Fest gehen!" Doch diese ließ nicht mit sich reden und so musste Betula schmollend allein zuhause bleiben, wo sie zum Trost von der Maibowle kosten durfte, die ihre Mutter angesetzt hatte.

Während das Mädchen allein auf ihrer Bettstatt saß und in den rot-orangen Schein des heruntergebrannten Feuers starrte, musste sie an den Vormittag denken, wo sie beim Überbringen einiger Hemden für die Köchin des Fürsten, auf die hochnäsige Fürstentochter Brunhild gestoßen war. "Die kleine Hexe beehrt uns also wieder!" hatte diese spöttisch gesagt, während sie Betula ein Bein stellte, sodass sie beinahe in den Graben geplumpst wäre. "Nehmt euch nur in acht, du und deine giftmischende Mutter! Wer sich draußen im Wald versteckt, hat etwas zu verbergen!" Dabei spuckte sie ihr undamenhaft vor die Füße und kehrte ihr den Rücken zu. Betula zitterte vor Wut. Die Fürstentochter war zwar schön, Neid und Missgunst entstellten aber ihre Züge. Die Menschen hüteten sich vor ihr. Die Schönheit und das reine Wesen von Betula und ihrer Mutter waren ihr ein Dorn im Auge und das ließ sie ihnen bei jeder Gelegenheit spüren.

"Das zahl ich dir heim, du dumme Ziege! Heute ist Beltane. Wenn ich schon nicht feiern darf, dann werde ich die Zeit eben anders nutzen. Du hast mich Hexe genannt, dann werde ich dir eben das Fürchten lehren!"

Im Schutz der Dunkelheit schlich sich das Mädchen behänd zur Burg hoch - dorthin wo sie erst neulich gesehen hatte, wie sich ein großes Mädchen wie die Fürstentochter von ihrer Zofe anziehen und Kämmen ließ. "Nein sowas!" hatte sie dabei kopfschüttelnd vor sich hin geflüstert. "Wie dumm und ungeschickt die Reichen doch eigentlich sind!" Auf Zehenspitzen tastete sie sich näher. Irgendwie musste es ihr gelingen, das Gespenst - ein altes Leintuch, aus dem sie Geschickt ein Gespenst gebastelt hatte, an Brunhilds offenem Fenster zu befestigen. Da hörte sie Männerstimmen. Betula stockte der Atem und sie wurde ganz still. Wer war das? Hatte man sie entdeckt?

Die Stimmen die aus dem Fenster drangen gehörten zu einigen Männern, die schon einiges getrunken zu haben schienen. "Vor mir spielt sie die tugendhafte Witwe und an Beltane gibt sie sich Fremden in irgendwelchen Feldern hin! Das soll sie mir büßen!" brauste die Stimme des Fürsten Bruders auf, der zwar vermählt war, weil sein Weib jedoch ständig kränkelte suchte er gern bei anderen Frauen Abwechslung. Auch wenn Betula noch nicht alles verstand, wusste sie doch, dass der Bruder des Fürsten ein Auge auf ihre Mutter geworfen hatte. "Was heißt hier "sich Fremden hingeben"? Wenn es stimmt, was Brunhild sagt, so ist sie eine Hexe, die ihren Leib dem Satan selbst darbringt. Brennen soll sie! Sie alle sollen brennen! Ihr habt doch längst herausgefunden, wo die Hexen heut Nacht ihren Sabbat feiern! Warum holen wir sie uns nicht! Wenn wir gleich losreiten, erwischen wir sie auf frischer Tat!"

Betula war bleich geworden. Diese Männer wollten ihre Mutter und die weisen Frauen der Hexerei überführen. Wenn sie sie nicht rechtzeitig warnte, würden sie qualvoll im Feuer sterben! Betula nahm ihre Beine in die Hand und rannte in Richtung Wald. In ihrem Kopfe pochte und hämmerte es: ich muss vor ihnen da sein! Die Häscher dürfen sie nicht finden! Wo genau der geheime Birkenhain war, in dem die weisen Frauen ihre Feste und Rituale abhielten, wusste das Mädchen zwar nicht genau. Je weiter sie aber lief, desto besser verstand sie die Führung in ihrem Innern: Als sie das Ende des großen dunklen Waldes erreicht hatte und ins Freie trat, stand plötzlich eine mächtige Birke vor ihr. Betula ging zu ihr hin, um sie zu umarmen. Da trat ein Wesen von überirdischer Schönheit aus dem Stamm hervor. Eine Frau mit weißen Haaren und jugendlichem Gesicht. Der Ernst, der aus ihren Zügen sprach, zeigte, dass auch sie von der drohenden Gefahr wusste. "Betula!" sprach sie das Mädchen an. Ich bin der Geist der Birke - dein Mutterbaum, dem du bei deiner Geburt anvertraut worden bist. Von mir bekamst du deinen Namen. Du wirst einst eine mächtige Weise sein, die ihr Volk in eine neue Zeit führen wird. Jetzt aber musst du schnell handeln, sonst sind wir alle verloren. Press dein Ohr fest auf den Boden. Spürst du sein Zittern? Die Häscher nahen und uns bleibt keine Zeit mehr, um das Fest abzubrechen. Du aber hast die Macht, unser Beltanefest für die Verfolger unsichtbar zu machen, sie in eine parallele Scheinwelt zu versetzten. Vertraust du mir?" Betula nickte. Um ihre Mutter zu retten, würde sie alles tun. "Rufe deine Freunde, die Feen und Naturwesen. Gemeinsam vermögen wir es, die Jungfernhaften Geister der jungen Birken lebendig werden zu lassen. Lauf auch, und hol etwas Maibowle und bunte Bänder von der Feier herüber. Wenn du zurückkommst, werde ich nicht mehr in meiner Menschengestalt sein. Schmücke meine Zweige mit den bunten Bändern. Alles andere wird sich ergeben. "Aber was ist mit mir?" wollte Betula zitternd wissen. "Der Bruder des Fürsten erkennt mich gewiss. Wenn er mich mitten in der Nacht hier findet, ergeht es mir schlecht. Auch die Lage meiner Mutter würde das nur weiter verschlechtern. "

"Ich, die Birke, stehe für Liebe und Schutz. So wie sich eine Mutter um ihr Kind sorgt, so werde ich über dich wachen, denn du wurdest mir geweiht. Keiner wird dich sehen, niemand wird dich erkennen!" Zögernd macht sich Betula auf die Suche nach den benötigten Dingen, stellte die Bowle appetitlich auf einen alten Baumstumpf und machte sich daran, die Birke bunt zu schmücken. Langsam strömten aus allen Richtungen Feen, Elfen und Naturgeister herbei. Unisono bliesen sie auf Grashalmen in alle vier Himmelsrichtungen bis anstatt der jungen Birken unzählige zarte Mädchen über den Waldboden tanzten, lachten und miteinander scherzten. Es fühlte sich an, als wäre das ekstatische Beltanefest im Hintergrund hinter einer dicken Wand verborgen. Als die Häscher eintrafen, sahen sie nur eine bunt geschmückte Birke um die eine Gruppe lieblicher Junhfern einen Kreistanz vollführte. "Wer seid ihr?" wollte Gernot verdutzt wissen. Doch die fremden Jungfern lächelten nur und zogen die Männer in den Tanz hinein. Sie scherzten und tanzten mit den Männern mit einer reinen kindlichen Leichtigkeit, dass sie im Handumdrehen auf alles Böse und Hinterhältige vergaßen.

Als die Männer am Morgen erwachten, fanden sie sich unterhalb des Burghügels wieder. Neben ihnen stand eine leere Schale, die nach Waldmeister, Branntwein und Maibowle roch. "Was haben sie mit uns gemacht?!" rieb sich Gunter die pochenden Schläfen. "Kommt, wir gehen zur Hexe und stellen sie zur Rede!" sagte sein Gefährte und Redelsführer, bevor er sich auf wackeligen Beinen erbrach. Als Gunter die Tür zur Hütte aufstieß, saß Betulas Mutter schon fleißig am Webstuhl und ließ ein ansehnliches Stück Stoff unter ihren geschickten Fingern entstehen!" "Ich muss Euch untertänigst an die Regeln der Sittsamkeit erinnern, Edle Herren! In diesem Raume ist ein junges Mädchen dessen Gemüt durch derart raues betragen Schaden nehmen könnte." Betulas Mutter stand auf und strich sich sittsam die Falten ihres Kleides glatt. Gunter trat einen Schritt zurück. Nichts erinnerte an die Bilder, die Brunhilds Hassreden in seinem Kopfe hervorgerufen hatten. Sein Gefährte aber stieß ihn in den Rücken. "Wo wahrt ihr letzte Nacht? Und welches Gebräu habt ihr den Jungfern gegeben, um es an uns auszuschenken? Habt ihr gedacht ihr könnt uns damit von Eurem satanischen Treiben ablenken?" Betulas Mutter sah dem Manne streng und Verständnislos in die Augen als ihr der scharfe Geruch von Branntwein und Waldmeister in die Nase stieg, der den Männern noch immer anhaftete.

Sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Was habt ihr gestern getrunken? Ich rieche Schnaps und Waldmeister!" Die Männer nickten betreten. "Ihr kennt die Wirkung, edle Herren? Waldmeister in hochprozentigem Alkohol angesetzt, kann der Überlieferung nach zu wahnwitzigen Träumen und Illusionen führen. Wie es sich für eine anständige Frau geziemt, habe ich bisher nur die Alten von solchen Dingen reden gehört. Trotzdem denke ich, dass das die Ursache für Eure Reden sein könnte." Damit nahm sie wieder am Webstuhl Platz und faltete sittsam die Hände in ihrem Schoss.

Den Männern Leuchtete die Erklärung der Frau mehr als ein. Maibowle und Branntwein... na ja... das Erlebte war auf jeden Fall besser als eine Hexenjagd. "Verzeih Weberin! Wir werden den Frieden in deinem Hause nicht länger stören."

Als das Beltane-Fest im Jahr darauf wieder ins Land zog, ließen Fürst Gunter und seine Begleiter die Birke auf der Dorfwiese mit bunten Bändern schmücken. Maibowle war frei und floss in Strömen während die Jungfern des Dorfes in fröhlichem Reigen um den Baum tanzten.

Betula aber lachte, bis ihr die Tränen kamen: "Ihr werdet unser Beltanefest nicht mehr so schnell stören, Edle Herrn!" Dann machte sie sich auf zu Brunhilds Fenster. Denn wer eine Birke als Schutzbaum hat, der kann ruhig noch ein bisschen herumspuken ; - )

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Foto: Cityfoto
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