Jugendliche gehen neue Wege gegen das Vergessen

Foto: Anderwald+Grond

STEYR. Vom 29. April bis 7. Mai 2017 setzten sich Jugendliche aus Berlin, Zamosc in Polen und aus Steyr damit auseinander, wie in Zukunft an die Zeit der Gräuel des Nationalsozialismus erinnert werden kann. Aus Steyr beteiligten sich daran zwölf Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren der ROSE – des reformpädagogischen Oberstufenrealgymnasiums Steyr der Evangelischen Kirche. Zeugnisse von Opfern des Holocaust und Lebensgeschichten von Steyrer kommunistischen Widerstandskämpfern, die in den letzten Tagen des NS-Regimes ermordet wurden, standen im Mittelpunkt des Theater-, Tanz- und Fotoworkshops. Im Rahmen der internationalen Befreiungsfeier am Sonntag, 7. Mai, präsentierten sie die Ergebnisse ihrer Beschäftigung mit dem Thema der Öffentlichkeit.
Die Stiftung wannseeFORUM initiierte das trinationale Projekt „Wege nach Mauthausen“ auf Schloss Riedegg in der Nähe von Mauthausen.

Die Initiatoren sind davon überzeugt, dass das Erkennen von Gemeinsamkeiten in der Geschichte eine europäische Erinnerungskultur fördert. In Zeiten des überall in Europa erstarkenden Nationalismus, der Ausgrenzung von Andersdenkenden und Andersgläubigen ist es notwendig, neue Wege in der Erinnerungskultur zu beschreiten. Nicht rückwärtsgewandt und mit dem moralischen Zeigefinger, sondern kreativ und zukunftsorientiert.

Das Projektkonzept – Wege nach Mauthausen

Zielgruppe des Projekts sind 39 Schüler aus Österreich, Polen und Deutschland, die sich auf künstlerische Weise mit dem Erinnern an die Opfer des Holocaust und des Nationalsozialismus, die in Mauthausen ermordet wurden, auseinandersetzen.
SchülerInnen aus Zamosc, Steyr und Berlin zwischen 15 und 18 Jahren wurden von ihren Lehrern nach Interesse ausgewählt.
Die Wege der Opfer nach Mauthausen waren vielfältig. Anhand der unterschiedlichen Herkunft und der Gründe von Inhaftierungen sollen die Dimensionen der NS-Verbrechen für die Teilnehmenden über authentische Zeugnisse erfahrbar werden. Im Vorfeld machten sich die Jugendlichen, unterstützt von Projektleitung und Lehrern, auf die Suche nach Zeugnissen von Personen aus ihrer Region, die in Mauthausen inhaftiert waren (Schaffung einer höheren Identifikationsebene). Für Berlin, Steyr und Zamosc lagen aufbereitete Daten vor, die den Teilnehmern als Basis dienten.

Kritischer Umgang mit Quellen

So unterschiedlich die Haftgründe waren, so unterschiedlich sind auch die schriftlichen und bildnerischen Zeugnisse. Den Teilnehmer wurde in der Vorbereitungsphase der kritische Umgang mit Quellen vermittelt. Zudem erhielten die Jugendlichen bereits vor dem Workshop Grundkenntnisse über das KZ-System und die Zeit des Nationalsozialismus.
Am Anfang der Workshops auf Schloss Riedegg stand neben einem vertieften Kennenlernen mit interkulturellen Methoden ein erster Besuch der KZ-Gedenkstätte Mauthauen. Bei der Vermittlung des Geschehenen am authentischen Ort fanden die von den Teilnehmenden ausgewählten Quellen besondere Berücksichtigung. So entstand eine Basis, auf die bei Entwicklung der Projekte (Theater/Tanz/Foto) zurückgegriffen werden konnte.
Exkursionen zur Euthanasie-Gedenkstätte Schloss Hartheim und nach Linz erweiterten den historischen Kontext. Während des zehntägigen Workshops wurde aufbauend auf den Ergebnissen mit Unterstützung von künstlerischen LeiterInnen ein Tanz- und ein Theaterstück sowie eine Fotoarbeit erstellt. Bei der Zusammensetzung der Gruppen legte man Wert auf eine Mischung der Schulklassen. Die Teilnehmenden wurden angeregt, ihren Zugang zu den Zeugnissen der Opfer des Nationalsozialismus aktiv umzusetzen. Während der Workshops regten die WorkshopleiterInnen die Jugendlichen dazu an, ihre Form der Umsetzung und Inszenierung der ausgewählten Zeugnisse zu finden. Damit wurden sie ermutigt, kritisch über ihren Zugang und ihre Leseweise der Zeugnisse zu reflektieren und ihre Kenntnisse zur NS-Geschichte zu erweitern.
Die Teilnehmer spürten durch individuelle Reflexion und die Wahl ihres künstlerischen Mediums dem eigenen Handlungsspielraum nach. Bei der Erarbeitung der Ergebnisse befragten sie die Quellen unter heutigen Gesichtspunkten.
Die Theater-, Tanz- und Fotoarbeit wird als ein dialogischer Lernprozess begriffen, bei dem Ideen und Möglichkeiten des Ausdrucks gefördert werden. Die Arbeit mit dem Körper durch Tanz, Stimm- und Theaterübungen und mit Medien anhand von Bildern ermöglicht den nicht rein sprachlichen Dialog. Durch die gewählten Formen der Präsentation (Tanz/Theater/Bild) und das gemeinsame Inszenieren wird die Auseinandersetzung mit der Narrativität von Geschichte angestoßen: Fragen nach der Wirkung von Zeugnissen und von tradierten Geschichtsbildern werden aufgeworfen. Die Jugendlichen nehmen unterschiedliche Positionen und Haltungen dazu ein. So entstehen selbstreflexive Momente.
Das Inszenieren, das Aufführen und das Ausstellen selbst werden als Erinnerungsarbeit verstanden, in der die Jugendlichen durch die Verschränkung von Zeugnisarbeit mit Kunstpraxen einen Einblick in die Strukturen des Holocaust und des Nationalsozialismus bekommen. Zudem werden Wege für eine Selbstverortung eröffnet, die das Interesse an historischen und politischen Prozessen weckt und aufzeigt.

Förderung europäischer Erinnerungskultur

Ausgehend von Zeugnissen der Opfer des Holocaust und des Nationalsozialismus werden heute wirkende Mechanismen der Ausgrenzung herausgearbeitet. Zeugnisse der Opfer und deren Lebensgeschichten machen auf individueller Ebene sichtbar, wie schnell man selbst als „Anderer“ stigmatisiert wird. Die Mut machenden Elemente der Zeugnisse werden ebenfalls in den Blick genommen und damit deren Relevanz für zivilgesellschaftliches Engagement verdeutlicht. Die Teilnehmer werden somit „handlungsmächtig“.
Das Erkennen von Gemeinsamkeiten der Geschichte fördert zudem eine europäische Erinnerungskultur. In Zeiten des überall in Europa erstarkenden Nationalismus, der Ausgrenzung von Andersdenkenden und Andersgläubigen ist diese Form der Auseinandersetzung von besonderer Relevanz. Es soll auf die Folgen, die Ausgrenzung und Stigmatisierung haben kann, hingewiesen werden.
Um die Erfahrungen nachhaltig zu reflektieren, werden vertiefte Feedbackrunden und kreative Auswertungsforen in den nationalen Kleingruppen einen Monat nach der Fahrt durchgeführt und evaluiert.

Mehr zum Thema

Die Stiftung wannseeFORUM ist eine außerschulische Bildungsstätte in Berlin mit den Schwerpunkten politische, kulturelle und Medienbildung. Sie ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs für Jugendliche und MultiplikatorInnen. Im Mittelpunkt unserer Bildungsarbeit steht der Partizipationsgedanke. Wir unterstützen junge Menschen, sich aktiv, kritisch und kreativ in das gesellschaftliche Leben einzubringen. Das Besondere am wannseeFORUM ist die Verbindung von politischer und kultureller Bildung: Die Jugendlichen setzen sich in künstlerischen/medialen Werkstattgruppen - z.B. Theater, Musik, Film, Bildende Kunst, Weblog, Fotografie, Comic oder Tanz - mit dem jeweiligen Seminarthema auseinander. KünstlerInnen und MedienexpertInnen mit relevanten pädagogischen Qualifikationen und Erfahrungen stehen den Teilnehmenden als PartnerInnen im Lehr-Lern-Prozess zur Verfügung.
Die Seminare sind in der Regel prozessorientiert und münden in eine öffentliche Abschlusspräsentation. Die Stiftung wannseeFORUM ist Mitglied im Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten und der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin e.V..

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