Mauthausen Komitee erinnert mit Postkarten an Adele
Das Mauthausen Komitee Steyr versendet eine Postkarte aus der Vergangenheit an die heutigen Reichraminger. Ein Gedenkakt, der exakt 80 Jahre nach der Vertreibung der jüdischen Industriellenfamilie Sommer im Juli 1938 und deren spätere Ermordung durch die Nationalsozialisten erinnert.
REICHRAMING/STEYR. Geschichte vergeht nicht – dieser Tage haben alle Haushalte in der oberösterreichischen Gemeinde Reichraming eine bunt schillernde Postkarte erhalten. Als Erinnerung an die Vertreibung der jüdischen Familie Sommer vor 80 Jahren, Eigentümer der längst nicht mehr existierenden Messingfabrik.
Deren Vertreibung erfolgte mit 23. Juli 1938. Unbekannte und bis heute nie ausgeforschte Täter warfen mit Steinen die Fenster ihres damaligen Hauses in Reichraming Nr. 1 ein. Elf Scheiben und ein Spiegel im Wert von 60 Reichsmark gingen zu Bruch. Der Weg der meisten Familienmitglieder führte später in das Konzentrationslager Theresienstadt und endete schließlich in den Vernichtungslagern Auschwitz und Maly Trostinec.
Himmelblaue und goldene Erinnerung
„Liebe Adele! Oft denke ich an Reichraming und das, was einst war: Liebe Menschen, Wald, Wiesen, Wasser und Sonne. Das hat’s einmal gegeben. Oder haben wir es uns nur eingebildet? Ich wünsche Dir alles Gute. Herzliche Grüße. Hans”, lautet der Text auf der in Himmelblau leuchtenden Postkarte mit goldener Schrift.
Entnommen wurden Sätze aus einem Brief vom 9. August 1942. Geschrieben von damals in Prag lebenden Verwandten an Adele Sommer. Adele Sommer war – mit Jula und Olga – eine der drei Töchter der Industriellenfamilie Sommer, die 1896 „k.k. priv. Messingfabrik“ in Reichraming kaufte. Das Unternehmen ging 1928 in Konkurs. Zurück blieb nur das Nutzungsrecht für das damalige Haus in Reichraming Nr. 1. Von den drei Töchtern überlebte nur Adele Sommer mit ihrem Sohn Hans die Shoah und den 2. Weltkrieg in Österreich.
Die Familie war längst nicht mehr begütert gewesen, als im März 1938 die Nationalsozialisten in Österreich die Macht ergriffen. Seit Jahren hatte sie ihr Haus als private Pension betrieben.
In einem Lagebericht des Gendarmeriepostens Reichraming an die Bezirkshauptmannschaft Steyr vom 29. August 1938 ist zu lesen: „Die Jüdin Jenny Sommer erhielt (nach dem Konkurs der Messingfabrik; Anm.) auf Lebenszeit ein Nutzungsrecht im Hause in Reichraming Nr. 1, in dem sie jetzt mit ihrem Sohn lebt. (...) In diesem Haus unterhält sie eine Art Pension. Im Sommer kommen Verwandte und Bekannte aus Wien und anderen Orten, selbstverständlich alle Juden (...) so geht das den ganzen Sommer bis in den Winter hinein.”
Dem Polizeibericht zufolge seien auch sonst viele Menschen jüdischer Abstammung immer wieder in Reichraming: „Das weiß die ganze Bevölkerung von Reichraming. In letzter Zeit wurden Stimmen laut, dass der Judenzuzug nach Reichraming endlich einmal aufhören müsse und fremde Juden künftighin nicht mehr geduldet werden.”
Ausgrenzung mittels Gewalt und Terror
Damit war es nach dem antisemitischen Vandalismus und Terrorakt am 23. Juli 1938 vorbei. „Das Fenstereinschlagen bei Jenny Sommer war sicher nicht nur eine Warnung, vielmehr eine Aufforderung an die fremden Juden, Reichraming zu verlassen. Sie (die damaligen Gäste von Jenny Sommer; Anm.) reisten auch am nächsten Tage ab”, schrieben Reichraminger Gendarmeriebeamte an ihre Vorgesetzen in Steyr.
Das war das Ende der Familie in der Ennstaler Gemeinde, von deren Existenz heute nur mehr Gräber am katholischen Friedhof in Reichraming und am jüdischen Friedhof in Steyr zeugen. Jenny und Josef Sommer wurde von der NSDAP Ortsgruppe Reichraming nahegelegt, den Ort ehestens zu verlassen. Dieser Aufforderung sind beide nachgekommen. Sie sind am 24. Juli 1938 von Reichraming nach Wien geflüchtet.
Die Postkarten des Mauthausen Komitees Steyr wollen keine alten Wunden aufreißen. „Das können sie auch nicht, weil die direkt Beteiligten ermordet wurden oder gestorben sind. Aber sie können einerseits daran erinnern, dass die gewalttätige Ausgrenzung in der Mitte der damaligen Gesellschaft stattfinden hat können. Und andererseits holen sie die Geschichte der ermordeten Menschen wieder ins lokale Gedächtnis zurück“, sagt Julia Wagner, Mitglied des Mauthausen Komitees Steyr.
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