LAVENDEL. Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kind gebliebene - Teil 99

Diesmal ist es keine besinnliche Weihnachtsgeschichte, die mir so kurz vor dem Fest eingefallen ist. Die wahre Geschichte vom Lavendel schaut zurück auf eine  schwere, leidvolle Zeit, in der die größten Geschenke  ein Wiedersehen mit einem geliebten Menschen, eine warme Mahlzeit oder ein warmes, sicheres Nachtlager waren. Eine Zeit, in der der Krieg die Gesetze der Menschlichkeit vernichtet hatte, und dennoch eine Zeit, in der die Menschen noch glauben konnten...

Zitternd vor Hunger und Kälte stand Josef mit seinem zerbeulten Alu-Napf in der langen Schlange der Kriegsgefangenen und wartete auf ein Klümpchen Brei - zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Lang war sie, die Reihe von zerlumpten Gerippen und trostlos. "Scheiß Krieg! Scheiß Franzosen!" Wie immer, wenn er das Leben in diesem schrecklichen Lager nicht mehr ertragen konnte, flüchtete er sich in Gedanken. Doch auch diese waren grau und Aussichtslos.

Da war das Kind, dass zwar in unmittelbarer Nachbarschaft lebte, das er jedoch nicht sehen durfte.  Die Frau, die er noch immer liebte, die er aber nicht heiraten durfte.  Der Hof, der ihm zwar irgendwo gehörte, auf dem aber noch so viele andere mitredeten, der Bruder mit seiner Lungenkranken Familie, die alten Eltern. Warum passierte das alles nur ihm?"

Und jetzt war er hier, cul-de-sac, wie die Franzosen sagten - Sackgasse. Wieder ein unglückliches Missverständnis. Mit seiner freien Art war er irgendjemanden ein Dorn im Auge gewesen. Der Einrückungsbefehl, über den er sich mit seinen 35 Jahren ziemlich gewundert hatte, wäre vor dem Gesetz eigentlich gar nicht gültig gewesen. "Sie müssten jetzt nicht hier sein", hatte ihn ein Offizier leider zu spät in Kenntnis gesetzt. "Aus gesundheitlichen Gründen sind sie ja eigentlich vom Dienst an der Waffe befreit!" Aber es war zu spät. Jetzt war er auf dem Weg zur Front und wen die Kriegsmaschinerie einmal erfasst hatte, den spie sie nicht  so schnell wieder aus.

"Aber irgendetwas muss das Schicksal noch vorhaben, mit mir" grübelte er, als er sich auf seinem dürftigen Lager auf dem harten Lehmboden breit machte. Fürs Sterben hatte ich bisher zu viel Glück!" Dabei zogen wieder diese Bilder an seinem geistigen Auge vorbei. Dumpf dröhnten die Motoren der Kampfflieger an sein inneres Ohr. Fliegerangriff mit Ziel Caen. Zu dritt waren sie mit einem Eselsgespann auf dieser weiten baumlosen Ebene im Hinterland der Stadt unterwegs gewesen. "Das war's" hatte Josef mit pochendem Herzen mit seinem Leben abgeschlossen, als plötzlich das Dröhnen von Flugzeugmotoren an sein Ohr drang. "Herr, lass es kurz und schmerzlos sein!" Der Busch, der ihm daraufhin auffiel, war gerade so groß, dass sie alle darin Platz fanden. Er war der einzige weit und breit...

Und dann... dieser letzte Angriff... später würden diese Kämpfe als Vorbereitungen zum D-Day in die Geschichte eingehen... Es ging alles so schnell, zuerst ein explosionsartiger Knall, Blut und ein stechender Schmerz. Hätte er nicht wie immer seine Zigarettendose mit sich getragen, wäre die Handgranate tödlich gewesen. So kam er zuerst in ein Lazarett, dann in die erbärmliche französische Gefangenschaft.

Den Schweinen am Hof daheim ging es besser. Soviel stand fest. Zum Essen bekamen sie Küchenabfälle. Nachts liefen ihnen die Ratten übers Gesicht. "Wie grausam der Krieg die Menschen macht!" Nicht einmal im Winter bekamen sie richtige Betten. Wenn sie sich am gefrorenen Boden beim Schlafen anpinkelten, konnten sie es vor Kälte nicht einmal spüren... "Wie viel so ein Mensch ertragen kann...?"

Weihnachten 1945

Es war eine Woche vor Weihnachten. Josef fragte sich, wann auch ihn die Lungenentzündung packen und dahinraffen würde. Gestern erst hatten sie den Deutschen Bernd Müller begraben. "Macht euch fertig ihr stinkenden Faulsäcke" brüllte plötzlich einer der Lageraufseher, sodass er unsanft aus seinen Gedanken plumpste und hart auf dem Boden der Realität aufschlug. Der Neue Lagerleiter ist angekommen. General Roger Chapmann wird in einer Stunde hier sein. Waschen und Antreten ihr elenden Ratten!"

Der amerikanische General musterte den Haufen abgemagerter zerlumpter Gestalten. Manche wirkten wie wandelnde Skelette. Er war schockiert über ihren Zustand. Auch wenn es der Feind war. So behandelte man Menschen nicht!" Seine Miene verriet nichts über seine Gefühle. Nicht umsonst hatte der Arbeitersohn aus Michigan die militärische Erfolgsleiter so weit erklommen.

Er begrüßte die Gefangenen in gebrochenem Deutsch und informierte sie, dass er sie in einer Stunde bei der Essensausgabe erwartete. Als sie später dort warme Decken, Kleidung und warmes Essen bekamen, konnten sie ihr Glück kaum fassen. "Ich glaube, die da Oben haben heuer Weihnachten vorverlegt", grinste ein junger Bayer schmatzend, während er gierig eine Schüssel Haferbrei in sich hineinlöffelte.

Als es wärmer wurde, hatten sich auch die Insassen merklich erholt. Im Lager war Menschlichkeit eingekehrt.

Lavendel

Draußen vor den Zäunen begann der Lavendel zu blühen. Sein Duft erfüllte Josef mit Wehmut und einem brennenden Gefühl in der Brust, das er als Heimweh identifizierte. Schmerzlich erinnerte ihn die violette Pflanze an daheim. Auch seine Mutter hatte hinten im Küchengarten einen Stock gehabt. Die getrockneten Blüten füllte sie in liebevoll genähte Duftbeutelchen, die sie in die Kästen gab, um Motten fernzuhalten. Auch Lavendeltee war keine Seltenheit bei ihm daheim. Mutter's Geheimrezept, wenn ihr die viele Arbeit wieder einmal an die Nerven ging.

Daheim

Langsam bahnte  sich Josef den Weg durchs hohe Gras. Zum Abmähen war natürlich noch keiner gekommen. Konnte es wahr sein? Hatte er es wirklich geschafft? War das sein Zuhause? Wer würde wohl noch da sein?

"Was willst du, Landstreicher!" Rief eine uralte Frau. In der Hand hielt sie eine Heugabel, die sie ohne zu zögern auch als Waffe einsetzten würde. "Muata, kennst mi denn net? I bins, da Sepp!" Hoffnung, Sorge, Angst, Verzweiflung und die Ungewissheit um ihr vermisstes Herzenskind... alles was sie in den letzten Jahren aufrecht gehalten hatte, stürzte wie ein Kartenhaus ein. Schluchzend brach die Alte in den Armen des geliebten Sohnes zusammen. 

"Weil du nur wieder da bist, Sepp! Jetzt wird alles gut! Jetzt gibt's selbst für uns noch Hoffnung!"

Und gut wurde es tatsächlich. Im September darauf durfte er endlich seine Jugendliebe samt der gemeinsamen Tochter heim holen, zu ihm auf den Hof. Es würde nicht leicht werden, beileibe nicht! Aber er wusste jetzt , dass er alles schaffen konnte, solange es da oben jemanden gab, der noch etwas vor hatte mit ihm...

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