WACHOLDER. Märchen und Geschichten für Kindsköpfe, Kinder und Kind gebliebene - Teil 78

Mit dem Wacholder bin ich erstmals in Form von "Kranewitter-Schnaps" in Verbindung gekommen. Als ich einmal einen arg verdorbenen Magen hatte, bot mir mein Schwiegervater ein Stamperl davon an und meinte: "Entweder dein Magen wird davon besser, oder du erbrichst". Auch in diesem Fall hätte ich umgehend Erleichterung verspürt. Später lernte ich den Wacholder auch als Würz- und Räucherkraut schätzen. Wacholderbeeren sind ein hervorragendes Gewürz für Wild- und Bratengerichte. Überdies zählt er, so sagt man, zu den ältesten Räucherpflanzen überhaupt, denn sein Rauch soll keimtötend und desinfizierend wirken. Selbst in Zeiten der Pest soll Wacholder verstärkt verräuchert worden sein, um der erhöhten Ansteckungsgefahr Stand zu halten. Noch in der Neuzeit soll man´in Krankenhäusern damit geräuchert haben. Moderne "Kräuterfeen" haben diese Wirkung wiederentdeckt. Wenn die Grippezeit naht, oder die Kinder verschnupft aus Schule und Kindergarten heimkommen, wird auch heute wieder gerne etwas Wacholder verräuchert.

Mein heutiges Märchen beschäftigt sich mit seiner Magie. Wacholder gilt als starkes Schutzmittel vor negativen Einflüssen und Energien. Soll reinigen, Licht bringen und "die bösen Geister" vertreiben ; - )

WACHOLDER

"Habt ihr schon das Neueste gehört!?" machte sich die alte Huntstorferin wichtig. Dabei rollte sie ihre flinken braunen "Eichkatzerlaugen". Das böse Blitzen darin verriet, dass nun gleich wieder jemand kräftig ausgerichtet werden würde.

Nach der genau richtig dosierten Pause, die der Neuigkeit noch mehr Pathos verleihen sollte, fuhr sie so laut flüsternd, dass es auch die anderen Weiber am Kirchenplatz vernehmen konnten, fort: "Stellts euch vor, jetzt haben wir sie auch bald am Hals, die Flüchtlinge aus Afrika. Arbeitsscheues Gesindel allesamt. Wie man hört, eh alles nur Wirtschaftsflüchtlinge und Glücksritter, die sich auf unsere Kosten auf die faule Haut legen! Aber die werden sich anschaun bei uns! Wisst's wo sie's hinstecken? Hi hi hi - in die Hoffermühle, das alte Geisterhaus unten am Salzbach! Na die werden sich anschaun!" Baff starrten sie die anderen Weiber an. Und auch einige der Manderleut, die oben vorm Chorplatz beisammen standen, spitzten neugierig die Ohren.

"Woher willst denn du das so genau wissen?" stoppte die sonst so ruhige Frau Krämer den Redefluss der Huntstorferin. "Mein Sohn hat's von der Gemeinderatssitzung heimbracht! Ihr werdet's schon sehen, ein jedes Wort davon ist wahr!"

Die alte Hoffermühle war zwar ein wunderschönes altes Bauwerk. Direkt am Salzbach gelegen, wäre es schon Wert, das Haus zu erhalten und einer neuen Bestimmung zuzuführen. Wär da nicht das Gerücht gewesen, dass es dort spuke, dass dort zumindest ein energetisch arg belasteter Platz war.

"Früher sind die Leut dort krank worden, oft jung gestorben..." tuschelten die Leut. Mal sehen wie's den Asylanten dort geht. Immerhin wiss ma dann, ob was dran ist, an den alten G'schichtn.

In der Schule wetzte Lena ganz aufgeregt auf ihrem Sessel herum. "Heute kommen doch die neuen Mädchen aus Afghanistan! Vielleicht finde ich jetzt endlich eine richtige Freundin!" Lena war ein bisschen anders als ihre Mitschüler. Oft hatte sie Träume, Visionen und Vorahnungen. Manchmal sah sie auch Gestalten, die die anderen nicht sehen konnten. Ihren Eltern war das peinlich. Aber soviel sie Lena auch einbläuten, dass sie über diese Fantastereien nicht reden dürfe, ihre Mitschüler gingen ihr vorsichtshalber trotzdem aus dem Weg.

Wenige Augenblicke später, war es soweit. Schon als Lena Farea herzhaft die Hand schüttelte, spürten die Mädchen, dass sie viel gemeinsam hatten. Der Grundstein für eine einzigartige Freundschaft war gelegt.

Einige Zeit später musste Farea allerdings immer öfter von der Schule zu Hause bleiben, weil sie krank war. "Sie verträgt wahrscheinlich unser Klima noch nicht!" besänftigte Lenas Mutter ihre Tochter, die missmutig die Schultasche in die Ecke warf. Aber Lena ließ sich nichts sagen. Sie wollte selbst nachsehen, was mit ihrer neuen Freundin los war und radelte gleich nach dem Essen zur Hoffermühle hinunter. Als das Mädchen dem alten Haus näherkam, liefen ihr eiskalte Schauer über den Rücken. Über der Mühle schwebte etwas wie ein schwarzer Schatten und rundherum sah sie immer wieder traurige Gestalten, die gleich darauf wieder im Nebel verschwanden.

Familie Bakhtari freute sich sehr über Lenas Besuch. Trotzdem wirkten sie allesamt ziemlich bedrückt. "Es ist wunderschön hier", gestand Farea ihrer Freundin, als sie endlich allein im Zimmer waren. Trotzdem hab ich Angst. Es ist nur ein Gefühl, aber ich glaube, dass mit dem Haus irgendwas nicht stimmt..." Lena wollte ihre Freundin nicht beunruhigen und beschloss, über das was sie gesehen hatte, zu schweigen. "Ich muss jetzt gehen!" sagte sie etwas später. "Aber wirst sehen, alles wird gut!"

Draußen schnappte Lena ihren Fahrradhelm schwang sich aufs Rad und machte sich auf zu ihrem Großvater. Er galt als verschrobener Kauz, denn auch er redete oft von Dingen, die die Menschen im Dorf nicht verstanden. Weil er aber so ein Hilfsberteiter, Freundlicher war, der außerdem ein enormes Kräuterwissen besaß, war er trotzdem von allen gern gesehen. Mittlerweile schrieben die Leut seine Reden eher dem Alter zu.

Als sich Lena bei ihrem Lieblingsopa die Last von der Seele geredet hatte, fühlte sie sich gleich wieder leicht wie eine Feder. "Mein Opi versteht mich wie niemand sonst auf der Welt", dachte sie und drückte dem alten Mann dabei einen dicken Schmatz auf die Wange. "Opi, du bist der Beste! Gelt, wir wollen der armen Familie helfen!"

"Am nächsten Morgen war Farea Gott sei Dank wieder in die Schule gekommen, wenn sie auch noch etwas blass wirkte. "Dein Vater macht doch ab und zu Gelgenheitsarbeiten im Ort. Mein Opa braucht dringend jemanden, der ihm beim Holzspalten hilft. Glaubst du, dein Vater wär bereit dazu?"

Wenige Tage später waren Sami Bakhtari und Lenas Großvater schon eifrig bei der Arbeit. Als sich die beiden Männer endlich eine Pause gönnten und Lenas Großvater Herrn Bakthari eine Jause anbieten wollte, lehnte dieser jedoch mit schmerzahft verzerrtem Gesicht ab und deutete auf seinen rumorenden Magen "Trink an Kranewittern, dann wird dir gleich wieder besser. Doch der Afghane hielt ablehnend die Arme vor den Oberkörper und bedeutete dem Alten, dass er keinen Alkohol trinke. "Nein nein! Das MEDIZIN! NIX Alkohol! Entweder es geht dir hint nacher besser, oder du speibst!" "Was SPEIBST???" fragte Herr Bakhtari mit großen, verständnislosen Augen. Der Dialekt bereitete ihm noch immer große Probleme. "NIX!" grinste OPA spitzbübisch. "Trinken! Dann kein Auweh mehr!"

Offensichtlich hatte Fareas Vater die Botschaft des Alten verstanden. Als er das Stamperl ausgetrunken hatte, verdrehte er die Augen und japste nach Luft. Dann breitete sich langsam ein breites Grinsen über das dunkle Gesicht aus. "Siagst - jetzt gut!"

In dem Moment flog energisch die Tür auf und Lena und Farea kamen herein gestürmt. Eigentlich wollte Lena wie immer gleich überquellen, mit ihren Neuigkeiten aus der Schule. Als sie jedoch die schimmernde grüne Schicht bemerkte, die sich um Fareas Vater legte und die offenbar wiedermal nur sie sehen konnte, blieb sie wie angewurzelt stehen. "Super Opi!" dachte sie. Der dürfte fürs erste mal sicher sein.

Nachdem sich Farea und ihr Vater wieder auf den Heimweg gemacht hatten, weihte der Großvater Lena in das Geheimnis vom Wacholder ein. "Weißt du Lena", erzählte der alte Mann, während sich seine Enkelin auf der Ofenbank eng an ihn schmiegte, "Der Wacholder ist eine uralte Schutzpflanze. Er schützt den Hof, die Menschen und die Tiere. Wenn Menschen in Streit geraten, hält er sogar Verwünschungen fern. Innerlich bringt der Kranewitterschnaps verdorbene Mägen im Handumdrehen wieder auf Vordermann. Entweder es geht dir gleich wieder besser, oder du speibst, dann geht's dir zumindest nacher wieder gut. Die Beeren nehm' ich gern zum Schmoren von Wild oder zum Würzen fetter Braten.

Als sich Lena verabschiedete, rief er sie noch einmal mit nachdenklicher Miene zurück. "Sag deiner Freundin, sie soll jeden Morgen einige Wacholderbeeren in Apfelessig einlegen und in einer Pfanne am Herd verdampfen lassen. Wenn ich mich recht erinnere, müsste dort eh noch ein alter Tischherd sein! Nachdem was du mir erzählt hast, wirds da schon einiges brauchen, bis endlich Ruhe einkehrt!"

So sah man die beiden Mädchen bald jedes Wäldchen, jede Hecke und ein jedes Gestrüpp abklappern - auf der Suche nach einem Wacholderstrauch. "Dein Großvater ist ja gut!" murrte Farea mit vor Anstrengung ganz bleichem Gesicht. Ich wette, seine Zauberpflanze gibt's gar nicht!" Kaum hatte sie jedoch den Satz vollendet hüpfte sie auch schon schreiend und weinend auf einem Bein vorm hinteren Hoftor auf und ab. "Au au auuuuuu tut das weh! Ich glaube ich bin in ein Dornengestrüpp gefallen! Blute ich?"

Lena stürzte näher, um der Freundin zu helfen. Da wurde sie ganz ehrfürchtig und ihre Pupillen weiteten sich verwundert. "Nein, Dornen sind das nicht, Farea! Das was ihr da im Gestrüpp am Hauseck stehen habt, ist ein waschechter Wacholderstrauch!" Als das Mädchen vorsichtig über die stacheligen Zweige strich, wusste sie instinktiv, dass er all die Jahre hier gewachsen war, um das Haus zu gegebener Zeit von seinen Altlasten zu befreien.

"Weißt du, Farea" hauchte Lena ehrfürchtig und schloss die Freundin liebevoll in die Arme. "In einem Märchen hab ich mal gelesen, dass Kräuter und Pflanzen immer dort wachsen, wo sie gebraucht werden!" Jetzt bin ich überzeugt, dass ein jedes Wort davon wahr ist.

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