Advent mit 80.000 Flüchtlingen in Kakuma/Kenia

Foto: privat
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„Neben Herausforderungen und Problemen ist vieles hier in Kakuma auch schön, hoffnungsvoll, normal und alltäglich“, berichtet Peter Hochrainer, der für die Flüchtlingsorganisation Jesuit Refugee Service (JRS) als psychiatrischer Krankenpfleger im Einsatz ist.

NEUSTIFT/KENIA (tk). Mehr als 80.000 Flüchtlinge leben derzeit im Kakuma Refugee Camp, die Zahl ist gestiegen. Die Konflikte in Somalia und der demokratischen Republik Kongo zwingen noch mehr Menschen, ihre Länder zu verlassen und das bevorstehende Referendum über die Teilung des Sudan im Jänner nächsten Jahres schafft zusätzlich Unruhe.

Peter Hochrainer schreibt: „Zuerst die Wetterlage: Weihnachten ohne Schnee, das ist schon mal ziemlich sicher, denn die Temperaturen bleiben mit 30 bis 40 Grad beständig hoch. Sonst weiß ich nicht genau, wie sich Weihnachten hier im Flüchtlingslager anfühlen wird, wie es gefeiert wird, mit welcher Hoffnung oder Freude auf dieses göttliche Kind gewartet wird. Ich war ja an Heilig Abend noch nie in Kakuma ... Dazu kommt, dass mehr als 50 Prozent der Flüchtlinge keine Christen, sondern Muslime aus Somalia sind und kein Weihnachtsfest feiern. Also kein Weihnachten heuer in Kakuma? Wird Gott hier nicht Mensch, ohne Schnee in der Halbwüste, ohne Christbaum, inmitten von Menschen, die nicht an seine Menschwerdung glauben? Ziemlich biblisch, das Umfeld.

Gott selbst ein Flüchtling?
Ein ungewöhnliches, verstörendes, trauriges Weihnachtsbild, das mich unruhig werden lässt: Gott selbst flieht vor Verfolgung und (Kinder-)Mord, Gott selbst ein Flüchtling? Plötzlich ist das neugeborene Jesukind verbunden mit vielen Millionen Flüchtlingen weltweit, mit den knapp 80.000 hier im Lager in Kakuma, fernab von Heimat, oft ohne Familie, verwundet, vertrieben, verfolgt. Flüchtling sein und Weihnachten passen für mich schwer zusammen. Ich hätte lieber Kachelofen, Familienidylle, Keksduft, Geschenke und Bläserensembles, Mitternachtsmette und Sternspritzer. Vorweihnachtlich in Kakuma mit Zweifeln: Sollte die Blickrichtung, die Hoffnung, die Vision nicht eine Welt ohne Flüchtlinge sein, ohne Krieg, ohne Verfolgte?

Habe zu kämpfen mit dem Paradoxen: Gott, wem sonst, will ich es zutrauen, Leid und Krieg und Verfolgung zu beenden, dann, gleichzeitig finde ich, Gott unter den Verletzlichsten, unter den Machtlosesten, kopfschüttelnd ...

Zu „Recht und Unrecht“ ein interessantes bzw. herausforderndes Gespräch mit Benjamin, 21, Flüchtling aus dem Kongo. Er fragte sich bzw. mich, warum so viel Geld in den Erhalt von Flüchtlingslagern fließt und nicht dort eingesetzt wird, wo Konflikte, Kriege etc. Menschen in die Flucht zwingen, also mehr Symptombekämpfung betrieben und weniger an der Lösung der eigentlichen Krisenherde gearbeitet wird. Einerseits also z.B. die UN-Flüchtlingspolitik und andererseits die Interessen vieler waffenexportierender Länder wie USA, China, Frankreich, die wichtige Player in der UNO sind. Die Spannung ist greifbar, die Fragen groß, das Ziel einer konfliktfreien Welt ohne Flüchtlinge total überhöht, die Interessen weniger machtvoll und/oder zerstörerisch, die Apathie der Masse erdrückend – Gleichzeitigkeit von Gegensätzen! Und dann diskutieren wir über das Bild des „Flüchtlings“ (arm, hilflos, ohne Zukunft, Opfer) und die Aufrechterhaltung/Reproduktion (bewusst?) dieses Bild durch Flüchtlingsorganisationen, um eben Gelder zu bekommen und der Flüchtlinge, um beherbergt, gespeist und versorgt zu bleiben. Denn wer spendet schon Geld für Menschen, die ohnehin fähig sind, ihr Leben selbst zu meistern?

„Wieder einmal nur zuhören?“
Und doch passen so viele der Flüchtlinge so gar nicht in dieses einseitige Bild: Ja, Flüchtlinge hier in Kakuma sind auch Opfer und hilfsbedürftig, traumatisiert und arm, aber nicht nur! Flüchtlinge hier in Kakuma haben ein großes Potenzial, lernen, unterrichten, heiraten, lassen sich scheiden, erziehen ihre Kinder, helfen Schwächeren in ihrer Nachbarschaft, kämpfen gegen Unrecht, verschaffen sich Vorteile, betreiben Geschäfte, vergewaltigen, versuchen, Geld zu verdienen, haben große Ideen, werden reich, sind angesehen, sind vergessen, leben allein oder in Großfamilien, sind Singles, Betrüger, Diebe, Lehrer, Mütter, trinken ihren Kaffee oder Tee, weinen, lieben, verzweifeln und hoffen ... Drei Frauen und ein Mann mit ca. zwölf Kindern sitzen an der Straße zum eingezäunten Bereich von UNHCR (UN Flüchtlingskommissariat). Als sie mich, einen „Muzungu“, einen Weißen, sehen, umzingeln sie mich und beschweren sich, dass sie von den zuständigen UN-Mitarbeitern abgewiesen wurden, sie wollen doch hier bleiben und nicht in ein anderes Lager gehen, aber ihre Situation wird nicht ernst genommen. Ich verstehe nicht genau, um was es geht, weiß aber, dass viele Flüchtlinge über Diskriminierung und Überfälle im Lager klagen – aber ich arbeite doch nicht für UNHCR-Protection! Was soll ich also tun? Wieder einmal nur zuhören? Eines der kleinen Kinder, ich war so auf die Frauen konzentriert und habe es nicht wahrgenommen, nimmt plötzlich meine Hand und reibt meine Haut: Geht denn die Farbe nicht ab? Ist er denn wirklich so weiß, kein schwarz darunter? Plötzlich lachen wir alle ...

Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende
Spendenkonto: „Menschen für andere – Jesuitenaktion“, PSK KontoNr.: 7086 326; Blz: 60000, BIC: OPSKATWW, IBAN: AT52 6000 0000 0708 6326, Verwendungszweck „Peter Hochrainer JRS Ostafrika“; Asante, Danke!

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