Die Lebenswelt der ersten „Gastarbeiter“

Mag. Lia Hosch mit ihrer Diplomarbeit. | Foto: MG Telfs/Dietrich; privat
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  • Mag. Lia Hosch mit ihrer Diplomarbeit.
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TELFS. Einem spannenden Kapitel der jüngsten Geschichte von Telfs hat sich Mag. Lia Rosa Hosch (Bild) in ihrer Diplomarbeit gewidmet. Die junge Historikerin forschte zum Thema "Migration und der Lebenswelt türkischer ArbeitnehmerInnen der Telfer Textilindustrie in den 1960er/70er-Jahren“.

Vielzahl von Zeitzeugengesprächen

Aufbauend auf verschiedenen Vorarbeiten, vor allem von Dr. Edith Hessenberger, hat Lia Hosch eine Vielzahl von Quellen ausgewertet und Zeitzeugengespräche – sowohl mit Migranten wie Alteingesessenen – geführt. Themenfelder, die detailliert untersucht wurden, sind etwa „Arbeit“, „Wohnen“, „Freizeit“ und „Sprache“.
Seit dem Jahr 1965 wurden von den Telfer Textilbetrieben gezielt und mit großem Aufwand türkische Arbeitskräfte angeworben, zum Teil sogar durch Mitarbeiter, die die Firmen in die Türkei schickten. Das Leben der ersten Gastarbeitergeneration war nicht leicht. Lia Hoschs Arbeit berichtet über „beengte und oft unwürdige Wohnverhältnisse, … fehlende soziale Kontakte, Verständigungsschwierigkeiten und die Sehnsucht nach gewohnten Lebensmitteln und Sozialräumen“.

Harte Arbeitsbedingungen

Auch die Arbeitsbedingungen waren hart, die meisten türkischen Zeitzeugen berichten, dass sie häufig in der Nachtschicht eingesetzt waren. Trotzdem hörte die Historikerin bei ihren Interviews immer wieder, dass „die Chefs gut waren“ und die Arbeiter fair behandelt wurden. Von den Firmenleitungen wurden die ArbeitsmigrantInnen in der Regel wegen ihres Fleißes und ihrer Arbeitsbereitschaft geschätzt.

Überteuerte Mieten

Schattenseiten waren die bereits erwähnten Wohnverhältnisse. Die „Gastarbeiter“ lebten oft zu überteuerten Mieten in tristen Unterkünften. „Ein Raum für fünf Personen! Unzumutbare Unterkünfte für Gastarbeiter in Telfs“, titelte etwa die Lokalzeitung Blickpunkt im Jahr 1978. Ebenso problematisch war, wie sich die Zeitzeugen erinnern, die mangelnde Akzeptanz, mitunter sogar Diskriminierung vonseiten mancher Einheimischer. Versuche zur Kontaktaufnahme wurden oft abgeblockt, in manchen Gasthäusern wurde den türkischen Zuwanderern der Zutritt verweigert. So entstanden im Lauf der Jahre eigene türkische Lokale und Vereine sowie – in den Achtzigerjahren mit Unterstützung des damaligen Bürgermeisters Helmut Kopp – eigene Gebetsräume.

Migration ist für Telfs relevant

Die „Gastarbeiter“-Familien stießen bei den Telferinnen und Telfern aber immer wieder auch auf Wohlwollen und Hilfe. Lia Hosch: „Ein Zeitzeuge berichtete z. B., dass sein Vermieter, der bereits pensionier war, oft den ganzen Tag mit ihm Deutsch übte und ihm österreichische Gerichte wie Fleischlaibchen kochte. Eine andere Zeitzeugin erzählte, dass sich die Hausbesitzerin "wie eine zweite Mutti" um ihre Geschwister und sie kümmerte, während beide Eltern in der Fabrik arbeiteten.“
Die Autorin über ihre Arbeit: „Migration ist für die Marktgemeinde Telfs seit jeher relevant und prägte den Ort in seiner kulturellen Vielfalt. Da Migrationsgeschichte Teil der Ortsgeschichte ist, bedeutet die Beschäftigung mit dieser auch stets eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Für mich als gebürtige Telferin war es äußerst spannend diesem Aspekt der Telfer Lokalgeschichte auf den Grund zu gehen.“
Lia Hoschs detailreiche Studie ist eine aufschlussreiche und nicht nur für Telfs wichtige Arbeit, die es wert wäre, gedruckt zu werden. Nicht zuletzt, weil sie auch einen fachdidaktischen Teil enthält, der sich für die Verwendung im Geschichtsunterricht an Schulen anbietet und sogar Übungsbeispiele enthält.

Historische Fotos

Die Diplomarbeit mit dem Titel „Ein zwei Jahre noch, dann kehre ich zurück in die Türkei. Migration und Lebenswelt am Beispiel türkischer ArbeitsmigrantInnen der Telfer Textilindustrie in den 1960er/70er-Jahren“ wurde 2019 am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck eingereicht und mit "Sehr gut" bewertet.
Die historischen Fotos unten stammen aus den Siebzigerjahren und wurden von Zeitzeugen zur Verfügung gestellt. Sie zeigen türkische Arbeitskräfte im Einsatz in der Telfer Textilindustrie.

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