Gemeindebund auf Finnland-Reise
"Müssen uns mehr um Lebenswelten auf der lokalen Ebene kümmern"

Gemeindebundpräsident Alfred Riedl (Mitte) mit den Präsidenten und dem österreichischen Botschafter Maximilian Hennig.  | Foto: Karin Zeiler / Bezirksblätter NÖ
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  • Gemeindebundpräsident Alfred Riedl (Mitte) mit den Präsidenten und dem österreichischen Botschafter Maximilian Hennig.
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Kinderbetreuung, Digitalisierung und Kooperation im Zentrum des Finnland-Besuches des Gemeindebundes.

GRAFENWÖRTH / NÖ / ÖSTERREICH / FINNLAND. "Wie geht die finnische Regierung mit Fragen der Regionalisierung um?", "Welche Einnahmen stehen den finnischen Gemeinden zur Verfügung?", diese und weitere Fragen standen im Zentrum des Besuchs des Österreichischen Gemeindebundes unter Präsident Alfred Riedl in Helsinki.
Seit 2007 werden Bügermeisterreisen in die Länder der EU-Präsidentschaft veransteltet. Sie sollen den Blick auch für die Partner in Eurpa schärfen, mit denen man bereits instiutionell auf der Ebene des Ausschusses der Regionen oder des Europarates zusammenarbeitet.
Die Gespräche würden zu gegenseitigem Verständnis führen, viele kommunale Probleme tauchen in mehr oder weniger veränderter Form in allen EU-Ländern auf. Schließlich sind Gemeinden nicht nur Behörden oder Dienstleister, sie sind auch eine Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Staat.
Aber die Kommunen sind mehr als nur Verwaltungssprengel, sie sind auch Umsetzer großer Politiken und sie sind ein Ort, wo Gemeinschaft und politische Interaktion gelebt werden kann.

BEZIRKSBLÄTTER: Die Ausbildung in Finnland ist kostenlos, beide Eltern gehen arbeiten, Kinder können bis zu 24 Stunden betreut werden – eine komplett andere Situation als in Österreich?
RIEDL:
Grundsätzlich gibt es die Diskussion darüber auch bei uns, ob Sach-, oder Geldleistung. Und wir in Österreich haben uns sehr früh entschieden, den Eltern viel Geldleistung zu geben - in Form von Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld. Diese Thematik ist in Finnland traditionell grundsätzlich anders, weil dort immer schon beide Elternteile gearbeitet haben und die Sachleistung also ein generelles Angebot ist, was aus meiner Sicht dazu führt, dass die Gesellschaft offener ist. Wir haben uns in Österreich eben entschieden, vieles bedürfnisgerecht anzubieten, aber wir müssen schon feststellen, dass neben der Geldleistung dann immer deutlicher die Forderung kommt, auch die Sachleistung kostenlos anzubieten. Und da muss man doch gedanklich einen Strich drunter machen und das beantworten. Also jemandem etas wegzunehmen damit man Sachleistung anbieten kann, das ist eine politische Diskussion, die ich nicht führen möchte.

Stärkung der Region durch Digitalisierung, Kommunikation - welche Learnings zieht man daraus?
Wir haben zwei grundsätzlich unterschiedliche Systeme. Das heißt wir haben in Finnland den Staat und die Gemeinden und die notwendigen Finanzmittel so zugeordnet, wie sie eben zugeordnet sind. Ich bin mir nicht sicher, ob das das Ziel sein kann – wir sehen ja schon wo die direkte Zuordnung der lokalen Einheiten zum Staat ein sehr interessantes Vertragsverhältnis zwischen dem Zentralstaat und den lokalen Einheiten ist. Für mich zeigt nur die Debatte, dass es Aufgaben gibt, die die einzelne Kommune nicht erfüllen kann. Somit ist es für uns gut, dass wir rechtzeitig unsere Krankenhäuser an das Land abgetreten haben. Jetzt stellt sich die Frage in dieser Mitfinanzierungsverantwortung ob es gerecht aufgeteilt ist. Und da wird – so wie überall bei uns der Finanzausglich auf Bundesebene, der Kommunalgipfel auf Landesebene, herumgesrittetn, welchen Anteil man vom Ganzen erhält. Ewig mehr ausgeben, als wir einnehmen werden, müssen unsere Kinder zahlen. Und genau das ist das Thema, wenn man für die Lebenswelten zur Gänze verantwortlich ist und dann aber nicht so kann, wie die Stadt neben dir, dann wird das Ungleichgewicht größer.

Was nehmen Sie von der Reise mit?
Die Chancengleichheit betreffend die Infrastruktur zumindest technisch vorzubereiten. Den Anspruch an jede Gemeinde in jedes Haus Glasfaser zu legen in solch einem Land ist schon ein Hammer. Wenn ich denke, wie viele hunderte Kilometer hinauf in den Norden für zehn, fünfzehn Häuser Glasfaser verlegt wird. Ob sie angenommen wird, oder nicht weiß man nicht. Aber das wissen auch wir nicht, weil viele unserer Jungen auch sagen werden, dass die billigere mobile Lösung über Funk reicht. Aber längerfristig die Chance zu haben, Datenmengen transferieren und dort arbeiten zu können ist schon etwas Besonders. Und das haben sie (Anm. die Finnen) offensichtlich hundert Mal besser gelöst wie wir. Bei uns glaubt man, dass das alles über den Markt geht und wenn die Rosinen weg sind, dann finanziert sich auch der Rest nicht mehr. Schon gar nicht der Betrieb.

Klimathematik: Die Finnen haben vier Atomkraftwerke, ein Kohlekraftwerk und kein Biomassewerk. Wie sehen Sie das?
Ich glaub das ist grundsätzlich eine andere Denke - da sitzen noch die Sowjetunion oder die Russland-Beteiligung im Nacken. Sie haben einen anderen Zugang zu privaten partnerships. Ich glaube, dass sie traditionell zusammenarbeiten mit den Privaten - auch wie bei der Uni. Wir haben überall gesehen, dass sie keine Hemmungen haben, dort wo es zur Zielerreichung nützt, alle einzuladen, mitzutun. Diese Tradition fehlt bei uns noch. In Finnland hingegen ist es ganz selbstverständlich, die Industrie, die Wirtschaft, den Privaten einzuladen, mitzumachen. Und ich denke, dass die Innovation für solche Lösungen schon leichter zu erreichen ist. Wichtig ist nur, wenn eine Fehlentscheidung getroffen wurde, eine entsprechende Fehlerkultur zu entwickeln.
Eine Erfahrung ist jedenfalls, wass wir uns mehr um die Lebenswelten auf der lokalen Ebene kümmern müssen, was auch durchaus im Sinne des Erfinders ist. Transparenter, schneller, direkter, meist auch billiger und dort, wo wir es alleine nicht können, versuchen die Kooperation zu mobilisieren. Bei der Gesundheit haben wir es gesehen, wir waren rechtzeitig dran, das abzugeben, aber in anderen Sachen muss man sagen, dass zunehmend Kooperation gefragt sein wird.

Ein konkretes Beispiel?
Ich kenn keine Gemeinde, die dort, wo Effizienzsteigerungen nachrechenbar waren, nicht tut. Mit drei machen sie einen Schulverband, mit zehn eine Wasserver-, oder Abwasserversorgung, mit dreißig machen wir unter Anführungszeichen einen Müllverband, wobei wir dort jetzt in der Technologie wieder weiterkommen. Und so kommen wir zu optimierten Einheiten. Das heißt aber nicht, dass es dazu eine Struktur braucht, die wieder mehr auf die Länder verlagert wird, sondern wir glauben, dass wir das auf lokaler Ebene am Besten können.

Karin Zeiler, 0664 80 666 5640, karin.zeiler@bezirksblaetter.at

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