"Benes-Dekrete" sind ein heikles Thema
Wie die Wahlen in Tschechien zeigten, muss einiges aufgearbeitet werden. Es gibt Zeitzeugen im Bezirk.
BAD LEONFELDEN/ENGERWITZDORF (mawi). Die grenzüberschreitende Landesausstellung mit Südböhmen startet am 26. April dieses Jahres. Dabei werden auch die NS-Zeit und ihre Folgen behandelt. Im jüngsten Präsidentenwahlkampf in Tschechien zwischen dem späteren Sieger Zeman und Schwarzenberg spielte das Thema "Benes-Dekrete" wieder eine wesentliche Rolle. Viele Tschechen empfinden noch heute die nach 1945 erfolgte Vertreibung von rund 3,5 Millionen Sudetendeutschen als gerecht. 200.000 Menschen, darunter zehntausende Frauen und Kinder, sind dabei ums Leben gekommen.
Hildegard Hintermüller (84) aus Engerwitzdorf hat diese Vertreibung am eigenen Leib erlebt. Die Familie Hintermüller hat erst 1957, nach mehr als zehnjähriger Suche und sieben Zwischenstationen, in Engerwitzdorf-Holzwiesen eine neue, endgültige Heimat gefunden. Johann und Katharina Hintermüller hatten fünf Kinder und besaßen das „Galli“-Anwesen in Oberschlagel, Pfarre Hohenfurth, einen Vierkanter mit 45 Joch Grund und 22 Stück Vieh. In der Nachbarschaft lebte die Familie Dobusch, die Vorfahren des Linzer Bürgermeisters. Als durchsickerte, dass die Deutschen vertrieben werden sollten und nur 50 Kilogramm Gepäck mitnehmen durften, versuchten die Grenzbauern noch manches Hab und Gut zu Verwandten auf die oberösterreichische Seite zu schaffen. Der Familie Hintermüller gelang es vor der Vertreibung am 16. Juli 1946, einen Leiterwagen und eine Kuh nach Windhaag zu bringen.
Zeit heilt Wunden
Zuerst kamen die Vertriebenen in ein Lager nach Kaplitz, dann wurden sie in Viehwaggons nach Bayern gebracht. Ihre mehrjährige Wanderung führte sie 1953 schließlich als Pächter auf den Peterhof nach Innertreffling.
Hildegard Hintermüller, heute 84 Jahre und im Bezirksseniorenheim Treffling liebevoll betreut, war damals 17 Jahre alt. Viele Jahre lang litt sie – wie ihre Angehörigen – an schrecklichem Heimweh. Ihr Heimatdorf mit sieben Gehöften ist heute ein brennnessel-überwucherter Steinhaufen. Die Zeit heilt viele Wunden – Hildegard Hintermüller denkt heute ohne Bitterkeit an die schweren Jahre nach 1946 zurück.
Wer war Edvard Benes?
Der aus dem Londoner Exil zurückgekehrte und nach Kriegsende 1945 wieder amtierende tschechoslowakische Präsident Edvard Benes erließ die nach ihm benannten Dekrete. Sie regelten die Vertreibung und Enteignung aller Sudetendeutschen, nicht nur der Nazis unter ihnen, und machten Verbrechen der Tschechen an Deutschen straflos. Diese Benes-Dekrete wurden im Nachhinein vom Parlament gebilligt und haben bis in die Gegenwart Rechtsgültigkeit, werden jedoch nach tschechischer Interpretation „nicht mehr angewendet“. Beim EU-Beitritt 2004 weigerte sich Tschechien, die Benes-Dekrete aufzuheben. Im Wahlkampf 2013 hatte Zemann einen Teil der Sudetendeutschen als Verräter und die Vertreibung als „milde Strafe” bezeichnet, während Schwarzenberg sagte, Benes würde heute als Verbrecher gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.
Hintergrund zu Bericht:
Die Sudeten sind ein Mittelgebirgsland in Böhmen-Schlesien. Deutsche Siedler waren schon im 12. Jahrhundert in den böhmischen und mährischen Grenzgebieten sesshaft geworden. In der k.u.k. Monarchie gehörten Böhmen und Mähren als Kronländer zu Österreich. Als 1919 die Tschechoslowakei gegründet wurde, verweigerten die Alliierten den Sudetendeutschen das von ihnen selbst verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Sudetengebiete wurden der Tschechoslowakei zugeschlagen.
Adolf Hitler erzwang von der Tschechoslowakei in der Konferenz von München 1938 die Abtretung der Sudetengebiete an Deutschland und zerschlug im März 1939 die „Rest-Tschechei”. Die Nazis übten im „Protektorat Böhmen und Mähren” eine Schreckensherrschaft aus. 1945 schlug das Pendel zurück.
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.