Das Gleichnis vom Nachtexpress

Elder James Talmage
Während meines Studiums nahm ich an einem Seminar teil, wo die Studenten im Rahmen ihrer vorgeschriebenen Geologieseminare draußen in der freien Natur arbeiten mussten. Die Geologie ist die Wissenschaft, die sich mit der Erde in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und Entstehungsphasen befasst, vor allem aber mit den verschiedenen Gesteinsarten und Aufbaustrukturen sowie den Veränderungen, die die Erde durchlaufen hat und weiter durchläuft. Also sozusagen die Wissenschaft von den Welten.

Eine bestimmte Aufgabe hatte uns mehrere Tage draußen festgehalten. Wir hatten einige Meilen Tiefland und Hochland, Täler und Anhöhen, Berggipfel und Schluchten durchquert, untersucht und kartografisch aufgenommen. Als sich die Zeit, die uns für die Untersuchungen zur Verfügung stand, dem Ende näherte, wurden wir von einem heftigen Sturm überrascht, der von schwerem Schneefall abgelöst wurde. Weil es nicht die richtige Jahreszeit war, hatten wir nicht mit Schnee gerechnet. Doch der Schnee fiel zunehmend dichter, so dass wir Gefahr liefen, in dem hügeligen Gelände eingeschneit zu werden. Der Schneesturm erreichte seinen Höhepunkt, als wir gerade einen langen, steilen Hang mehrere Meilen von dem kleinen Bahnhof entfernt hinabstiegen, wo wir [einen] Zug zu erreichen hofften, der uns noch in derselben Nacht nach Hause bringen sollte. Nach großen Schwierigkeiten kamen wir spätabends am Bahnhof an. Der Schneesturm tobte noch immer. Wir litten unter der eisigen Kälte, die durch den beißenden Wind und den Schnee, der uns ins Gesicht trieb, noch verstärkt wurde. Zu allem Überfluss erfuhren wir dann noch, dass der erwartete Zug ein paar Meilen vor dem Bahnhof, in dem wir uns befanden, im dichten Schneetreiben stecken geblieben war.

Der Zug, nach dem wir so erwartungs- und hoffnungsfroh Ausschau hielten, hieß „Nachteule“. Das war ein Nachtschnellzug, der größere Städte miteinander verband. Laut Fahrplan hielt er nur an wenigen wichtigen Bahnhöfen, aber wir wussten, dass er hier draußen in der Einöde anhalten musste, um das für die Lokomotive benötigte Wasser aufzufüllen.

Lange nach Mitternacht kam der Zug endlich in einer dicken Schneewolke herangedampft. Ich blieb hinter meinen Kameraden zurück, die eiligst einstiegen, denn ich wollte mich während des kurzen Aufenthalts mit dem Lokführer unterhalten, derweil der Heizer das Wasser auffüllte, die Lokomotive untersuchte, den Motor ölte, hier und da etwas zurechtrückte und die Lokomotive nach der schwierigen Fahrt insgesamt überprüfte. Ich wagte es, ihn anzusprechen, auch wenn er sehr beschäftigt war. Ich fragte ihn, wie einem in einer solchen Nacht zumute sei – einer solch wilden, ungewöhnlichen, ungestümen Nacht, wo es einem vorkam, als seien alle Naturgewalten unkontrolliert losgebrochen, wo der Sturm heulte und wo von allen Seiten Gefahr drohte. Ich dachte daran, dass es ja möglich – und sogar wahrscheinlich – war, dass Schneewehen oder Lawinen die Gleise blockierten, dass wir über Brücken bzw. hohe Gerüstkonstruktionen fahren mussten, die der Sturm womöglich aus der Verankerung gerissen hatte, und dass Felsbrocken von den Bergen her auf uns herabstürzten. Ich dachte an die genannten und weitere mögliche Hindernisse. Außerdem wurde mir bewusst, dass der Lokführer und der Heizer bei einem Aufprall auf ein Hindernis bzw. bei einem schadhaften Gleis der größten Gefahr ausgesetzt waren; ein heftiger Aufprall musste sie wohl das Leben kosten. All dies und noch vieles mehr sprudelte ich schnell hintereinander hervor, denn der Lokführer war ja beschäftigt und sah mich ziemlich ungeduldig an.

Seine Antwort erteilte mir eine Lehre, die ich bis heute nicht vergessen habe. Im Großen und Ganzen sagte er in abgerissenen, unzusammenhängenden Sätzen: „Schauen Sie sich den Frontscheinwerfer an. Leuchtet er nicht mindestens 100 Meter oder mehr voraus? Im Grund mache ich nichts anderes, als die 100 Meter zu fahren, die beleuchtet sind. So weit kann ich sehen und ich weiß, dass das Gleis auf dieser Strecke frei und sicher ist. Und“, so fügte er noch hinzu, und ich sah durch den wirbelnden Schnee im trüben Schein der Lampe, die die finstere Nacht erhellte, dass ein Lächeln seine Lippen umspielte und er fröhlich mit den Augen zwinkerte, „Sie können mir glauben, dass ich mit dieser alten Lokomotive – Gott segne sie – niemals so schnell fahren könnte, dass ich den Lichtschein überholen würde. Das Scheinwerferlicht ist mir immer voraus!“

Damit kletterte er in das Führerhaus der Lok, und ich stieg eilig in den ersten Passagierwaggon, wo ich mich in den weich gepolsterten Sitz sinken ließ und die Wärme und Behaglichkeit genoss, die im krassen Gegensatz zu den tobenden Elementen draußen standen. Dann dachte ich intensiv über die Worte des rußgeschwärzten, ölverschmierten Lokführers nach. Sie zeugten von Glauben – von einem Glauben, der Großes bewirkt, einem Glauben, der uns Mut und Entschlossenheit schenkt, einem Glauben, der Taten nach sich zieht. Was wäre gewesen, wenn der Lokführer versagt hätte, wenn er Angst und Furcht nachgegeben hätte, wenn er sich geweigert hätte, weiterzufahren, weil so viele Gefahren drohten? Wer weiß, welche Taten verhindert worden wären, welche großen Pläne zuschanden gemacht worden wären, welche von Gott vorgesehenen Aufgaben der Barmherzigkeit und der Hilfe nicht erfüllt worden wären, wenn der Lokführer schwach geworden wäre und den Mut verloren hätte?

Ein bestimmter Abschnitt der Strecke, über die der Sturm hinwegfegte, war erleuchtet; diese kurze Strecke befuhr der Lokführer!

Wir wissen nicht, was uns die kommenden Jahre bringen. Wir wissen noch nicht einmal, was die nächsten Tage, die nächsten Stunden bringen. Doch ein paar Meter oder vielleicht auch nur ein paar Schritte weit ist das Gleis beleuchtet; unsere Aufgabe liegt klar vor uns, der Weg ist erhellt. Die nächste kurze Strecke, der nächste Schritt ist von der Inspiration Gottes erhellt. Gehen Sie weiter!
https://www.lds.org/liahona/2003/02/13?lang=deu
Veröffentlicht in Improvement Era, Januar 1914, Seite 256ff

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