Gipfelsieg am Aconcagua: "Ein unfassbares Glück!"

Der Moment des Triumphs: Lukas Ruetz war am 18. September auf dem Gipfel des Aconcagua!
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Lukas Ruetz und Florian Plank (beide 23) sind passionierte Bergsteiger und Skifahrer sowie aktive Bergretter. Beide haben auch eine Vorliebe zu besonders weiten bzw. steilen Skitouren. Die jüngste Tour hatte es aber in sich, so Lukas Ruetz: "Wir sind heuer zusammen in jenen Teil der Anden aufgebrochen, die die besten Skitourenmöglichkeiten bieten und sind somit dem Sommer auf der Nordhalbkugel entflohen. Florian war schon letztes Jahr dort und kannte sich bereits zwecks Organisation sehr gut aus. Ich konnte einiges bezüglich Risikomanagement am Berg beitragen."

Erste Touren

Die beiden Abenteurer sind in die bekannte Touristenstadt Bariloche (Größenordnung Innsbruck) geflogen und haben an den Hausbergen der Stadt die ersten, eher unspektakulären Skitouren unternommen. Die zu Mittag im Norden stehende Sonne beeinflusst die Schneedecke hier wesentlich stärker als in den Alpen – schließlich befindet man sich auch näher am Äquator.
"Wir wurden fast immer vom patagonischen Wind begleitet", so Florian Plank. "Wenn bei uns am Berg der Wind weht, ist er meistens eher schwach, dafür aber mit starken Böen. Hier bläst er mehr oder weniger konstant stark und immer aus der gleichen Richtung. Föhnige Erscheinungen wie Lenticularis-Wolken sieht man sehr oft. Der Wind ist auch verantwortlich, dass es im Westen auf der chilenischen Seite viel mehr Niederschlag gibt, die Landschaft präsentiert sich hier ähnlich wie bei uns. Je weiter man nach Osten kommt, desto trockener wird es, bis man sich in einer Steppen-ähnlichen Landschaft befindet. Das unglaubliche: Der Übergang geschieht in nur 30 bis 50 km Luftlinie! Von Tirol nach Texas in einer halben Stunde Autofahrt – zumindest vom landschaftlichen Gesichtspunkt."

Kein Thema: Lawinen

Lawinen sind kaum ein Thema, Schwachschichtbildungen sind aufgrund der Wetter- und Temperaturverhältnisse äußerst selten. Dafür gibt es auch keinen Lawinenwarndienst, keine Bergrettung und keine Flugrettung. Mit Glück kann es möglich sein, dass ein paar Bergführer sich zusammentun und einem zur Hilfe „eilen“.
Lukas Ruetz: "Das Hauptproblem stellt die Erreichbarkeit der Berge dar: Es gibt nur eine Hand voll Passübergänge zwischen Argentinien und Chile, die wenigen anderen Straßen bzw. meist nur Schotterwege, die einem den Zugang zu den Bergen ermöglichen, führen zu Skigebieten und Minen. Wir haben uns in einem Bereich von tausend Kilometern Luftlinie aufgehalten und dort im Grunde drei unterscheidbare Gebiete besucht: Im Norden unseres Bereichs ist das Klima sehr trocken, es gibt hier einige 6.000er, massenweise 5.000er und 4.000er. Dann haben wir einige freistehende, aktive Vulkane befahren und ganz südlich befindet sich das Gebiet um Bariloche, wo die Berge nur mehr 3000 m hoch werden. Die bestiegenen Berge tragen Namen wie Tronador, Santa Elena oder Titan.
Die Vulkane waren eindrucksvoll, besonders der Blick vom Gipfel in den lavagefüllten Krater des Villarrica (sprich: Vischarrrrrrrrrika) – nur ist auf den Vulkanen die Schneequalität aufgrund der windausgesetzten Alleinlage am Westrand der Anden, wo die Stürme aus dem Pazifik mit voller Wucht auftreffen, meist bescheiden."

Land und Leute

Über Land, Leute und deren Lebensweise, politische Missverhältnisse, den Verkehr und die Sitten könnte laut Ruetz & Plank man allein von den Eindrücken dieses kurzen Trips wohl schon ein kleines Buch schreiben. Florian Plank: "Nur eines sei gesagt: Wir können uns glücklich schätzen, mit welch einzigartigen Rahmenbedingungen wir in Tirol leben dürfen, vor allem die Qualität der Lebensmittel und des Wassers!

Aconcagua
Florian Plank und Lukas Ruetz auf dem Weg zum Gipfel (Foto: Ruetz)

Die Aconcagua-Story

Die Geschichte der Besteigung des Bergriesen geben wir hier ungekürzt aus dem Reisebericht wieder:

Nach zwölf Tagen Skitouren zur Akklimatisierung in Las Cuevas (3150m) – inklusive einer Erstbefahrung der bis zu 53° steilen Nordwand eines 5000ers – hat sich genau am Ende unseres Aufenthaltes in dem von neun Menschen und elf Hunden bewohnten Dorf im Nahbereich des Aconcagua ein zweitägiges Wetterfenster in der Modellrechnung ergeben. Und mit Wetterfenster ist nicht wolkenloser Himmel gemeint, denn den gab es vorher auch immer – sondern zwischen 5000 m und 7000 m nur schwachen Wind und Temperaturen über - 20°C. Florian und mir ist der Aconcagua schon vorgeschwebt, aber zu zweit ohne Hilfe einen Berg zu besteigen, der im Normalfall als zwei bis dreiwöchige Expedition angeboten wird, schien uns doch zu makaber. Wir haben vor dem Abflug über die Möglichkeit gesprochen, den höchsten Berg außerhalb Asiens anzugehen, aber die Idee mehr oder weniger wieder verworfen – zu unmöglich schien es uns.

Wagnis am Berg

Da wir uns durch unsere Skitourentätigkeit im Nahbereich des Berges mittlerweile ein gutes Bild über die dortigen Spielregeln machen konnten und einiges ausgekundschaftet hatten, haben wir uns doch zu einem Versuch entschlossen. Dass unsere Chancen in diesem Besteigungsstil verschwindend gering sind, war uns bewusst: Im Winter, zu zweit, ohne Lasttiere, ohne Satellitentelefon, ohne Höhenmedikamente, ohne extrawarme Daunenschichten loszuziehen, kann man wohl als Wagnis bezeichnen.

"Gemma amol eichn"
Wir haben aber alles mehrmals genau durchgesprochen und uns definitiv dazu bekannt, dass es uns beiden egal ist, wenn wir nur im Basislager „Plaza de Mulas“ auf 4370m zwei oder drei Tage „sinnlos“ verbringen und unverrichteter Dinge wieder rausmarschieren müssen. „Gemma amol eichn und schaugma ins des amol un!“ lautete die Devise.

Sauwetter beim Aufbruch

So sind wir also am Morgen des 16. September am Eingang des 26km langen Tales gestanden und bei Wind und starken Graupelschauern auf 2.800 m an der Straße losgezogen. Unsere 35 l-Rucksäcke waren bis zum Platzen gefüllt und an der Außenseite noch mit Säcken bestückt, um alles nötige unterzubringen, falls eine Besteigung möglich wäre. Zu Hause wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand von unserer Aktion, da wir in Las Cuevas keinen Zugang zu Internet oder sonstigen Medien hatten – nur der Besitzer unserer Herberge wusste Bescheid und hat uns im Morgengrauen mit Auto bis zum Taleingang gebracht. Dort befindet sich eine untertags besetzte Rangerstation, die die eigentliche Wintersperre des Aconcagua Nationalparks überwacht, am frühen Morgen aber konnten wir uns so problemlos hineinschleichen. Nachdem im Umkreis des Tales überall spätestens ab 3100m eine geschlossene Schneedecke vorhanden war, haben wir natürlich auch hier unsere Ski mitgenommen und gehofft, zumindest Teile des Anmarsches wieder hinausfahren zu können.

Ski am Buckel

Der Aconcagua wurde noch nie mit Ski „anständig“ befahren. Dort bildet sich nie eine befahrbare Schneedecke - durch den extremen Wind. Der höchste Berg des amerikanischen Doppelkontinents sticht 2.000 Meter aus der umliegenden Berglandschaft hervor und ist dem Blasius entsprechend ein guter Angriffspunkt. Flo hat sein Paar Bretter nach 8 km zurückgelassen, ich widerwillig nach 24 km. Das gesamte Tal war praktisch aper. Rundherum in jedem Tal Schnee – nur hier nicht, wir sind vor einem Rätsel gestanden, dieses verdammte Mikroklima um diesen Berg herum! So sind wir also neun Stunden schwerstbeladen, in unseren Gedanken die gleich weite Strecke von Innsbruck nach St. Sigmund abklappernd, zum Basislager in Skitourenschuhen gewandert, die Ski teils davon sinnlos am Buckel mittragend.
Das Wetter war noch schlecht, der Wind wurde hier oben im Basislager auf knapp der Höhe des Matterhorns zum Sturm.

Kein Weiterkommen

Am nächsten Tag präsentierte sich der Himmel wieder blitzblau, aber der Wind ließ definitiv kein Weitergehen zu. Wir sind im Zelt gehockt, haben den halben Tag sauberen Schnee gesucht, diesen geschmolzen und Fertignudeln gekocht sowie stundenlang auf den abfotografierten Wetterbericht auf dem Bildschirm unserer Handys gestarrt. Am 18. September sollte der Wind nachlassen, die Nullgradgrenze am Nachmittag auf 4.600 m steigen – morgen oder nie!

Vom Fußweg abgeschnitten

Höher aufsteigen auf eine der zahlreichen Biwakschachteln am Normalweg wollten wir bewusst nicht: Wir waren von der Außenwelt abgeschnitten, dazwischen lagen 26 km Fußmarsch und wir hatten keine Medikamente außer der Standard-Reiseapotheke. Eine Höhenkrankheit durch eine Nacht auf einer der Schachteln oberhalb von 5.700 m zur riskieren, war zu gefährlich, bis der zweite Hilfe holen könne, wäre es zu spät. Wir haben alles für den kommenden Tag vorbereitet, so dass wir am Morgen nur mehr Frühstücken mussten und losziehen konnten.

Zeitlimit und Routenskizzen

Als Zeitlimit für die Gipfelankunft haben wir 15.30 Uhr festgelegt – wenn wir bis dahin nicht oben sind, drehen wir um, so die Abmachung. Florian hat von sich aus angeboten, dass ich in meinem Tempo gehen könne und keine Rücksicht auf ihn nehmen müsse. Denn er hat die Höhe wesentlich schlechter verkraftet als ich und sein Leistungsabfall war um vieles stärker, auch nach dem mittlerweile zweiwöchigen Aufenthalt über 3.100 m. Ich habe noch einige Male die Routenskizzen am Handy studiert, die ich vor zwei Wochen in Mendoza – der nächstgelegenen Stadt – aus dem Internet heruntergeladen habe.

Tirol Concerto in stürmischer Nacht

Um 03:45 Uhr, nach einer weiteren stürmischen Nacht, surrte leise das Tirol Concerto von Florians Handy. Wir hören DAS Stück der Heimat zu Ende, essen und starten in die Nacht hinaus auf dem erst ausgetretenen Steigen – unterbrochen von pickelharten Schneefeldern. Ab 5.000 m bin ich in meinem Tempo weiter. Auf 5.300 m hört schließlich der letzte Schnee auf, ab hier kommt der Wind das ganze Jahr mit voller Stärke durch.

Gipfelsieg - ein unfassbares Glück

Mit zwei kleinen Essens- und Trinkpausen war ich schließlich nach 8 Stunden und 32 Minuten am 18.9. um 13.22 Uhr am Gipfel des 6.962 m hohen Aconcagua. Wolkenlos, der Wind ist mittlerweile eingeschlafen, auch hier oben – welch ein unfassbares Glück. Nur Sauerstoff gab es bei jedem Atemzug ziemlich wenig und für die letzten 1.000 Aufstiegshöhenmeter habe ich länger gebraucht als für die ersten 1.600. Es hatte gefühlsmäßig knapp über - 20°C und ich war mit meiner ganzen mitgebrachten Bergkleidung am Körper gut gewärmt. Auch meine dünnschaligen Skitourenschuhe waren nicht zu kalt. Gott sei Dank ist die Sonne hier so stark und fast alles, was ich anhabe, ist schwarz.

Im Eiltempo runter

Nach einem sehr kurzen Aufenthalt bin ich im Eiltempo wieder runter. Die steile Schotterfläche des Gran Acarreo mit 1.000 Metern Höhenunterschied konnte ich in kürzester Zeit hinunterlaufen und ich war nach gesamt 11 Stunden und 28 Minuten wieder bei unserem Zelt. Flo hat auf ca. 6.200 m umgedreht und mittlerweile schon gekocht und frischen Schnee geschmolzen. Wir freuen uns ungemein, hier erfolgreich gewesen zu sein und in einem Zug vom Basecamp auf- und abzusteigen – wo normalerweise zwei Zwischenlager eingerichtet werden, außerdem gilt es bis zum 21. September als Winterbesteigung. Die Geschwindigkeit stellt hier sicher unseren größten Trumph dar, ohne den es in dieser Art und Weise sicher nicht möglich gewesen wäre – neben unseren Sicherheitsvorkehrungen.
Gut ausgeschlafen marschieren wir am vierten Tag des Abenteuers erst gegen Mittag los, damit wir am späten Abend bei der Rangerstation vorbeikommen und nicht erwischt werden.

Scheinheilig nach geiler Aktion

Die Rechnung geht auf und wir erreichen nach diesmal 36km Fußmarsch wieder mit Skitourenschuhen und Ski am Rucksack – 36km deshalb, weil wir jetzt niemanden haben, der uns an der Straße abholt - erschöpft unsere Unterkunft. Am nächsten Tag geht es mit dem Bus zurück in die Stadt Mendoza auf 750 m bei 29°C, wo wir uns scheinheilig im zuständigen Amt erkundigen, wieviel ein Permit für die Besteigung des Aconcagua momentan kosten würde: „About 930 Dollars, depends if high or low season“, sagt der Beamte dort im ernsten Ton, im Winter (April bis Ende Oktober) gäbe es normalerweise überhaupt keine Besteigungsgenehmigungen – wir grinsen und holen uns ein Eis um die Ecke – das war ja eine geile Aktion mit verdammt viel Glück in jeglicher Hinsicht!

Alle Originalberichte und viele weitere Bilder finden Sie auf www.lukasruetz.at

Alles Fotos: Lukas Ruetz/Florian Plank

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