Interview
Trendforscher Harry Gatterer: "Es gibt kein Zurück mehr!"
Trend- und Zukunftsforscher Harry Gatterer hat nun ein Buch geschrieben, das in diese verrückte Zeit gut hineinpasst. RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko sprach mit dem Autor über sein neues Buch und die Corona-Krise.
RMA: Herr Gatterer, Sie haben ein Buch heraus gebracht, mit dem Titel „Ich mach mir die Welt“. Was genau bedeutet dieser Titel?
Harry Gatterer: Die Zukunft ist nichts Gegenständliches, kein Ort, nichts, was man genau erforschen oder untersuchen kann. Insofern wird schnell klar, dass Zukunft eine Vorstellung ist, die wir haben. Zukunft ist nicht fertig und kommt nicht auf uns zu, sondern ist im Hier und Jetzt - eine Vorstellung von einer Welt, in der wir noch nicht sind. Wenn wir glauben, die Zukunft kommt auf uns zu, verhalten wir uns passiv. Wenn uns aber klar ist, dass die Zukunft erst in unserem Kopf entsteht, dann können wir dabei deutlich aktiver sein.
Was heißt dieser Ansatz in der momentanen Situation mit dem Corona-Virus?
Gerade jetzt ist es so, dass das, was wir Zukunft nennen, so offen ist, wie selten zuvor. Die Zukunft ist eine Vorstellung, diese ist gebunden an systemische Abhängigkeiten, man ist ja Teil einer Gesellschaft, einer Familie. Jetzt ist so viel gleichzeitig in Frage gestellt. Weil mit Corona erleben wir einen so historischen Moment, wo das gesamte gesellschaftliche Leben auf null gesetzt ist, wo die Wirtschaft und die Gesellschaft ausgeschalten sind, und das auch noch global. Wenn diese Isolationsphase zu Ende ist, wird es ganz viele Fragen geben: Was ist uns jetzt noch wichtig, worauf kommt es jetzt an? Was wollen wir denn von einer Zukunft haben? Ganz viele dieser Fragen sind eben unbeantwortet. So ist es jetzt noch wichtiger denn je, zu verstehen, dass Zukunft bei einem selbst beginnt, bei der Vorstellung, die man von der Welt hat und bei dem Möglichkeitsraum, den uns diese Welt zur Verfügung stellt.
Was können wir allgemein aus der aktuellen Situation lernen?
Wir sollten jetzt einmal lernen zu lernen. Das klingt blöd, ist aber ehrlich gemeint. Lernen, dass wir jetzt eine andere Welt haben und da müssen wir uns schnell wieder einrichten, adaptieren. Zu lernen und hinterfragen, was ist wichtig, was funktioniert? Auf was kommt es mir an, auf was kommt es in meinem engsten Familien- und Freundeskreis oder im gesellschaftlichen Leben an? Und es geht um das Verständnis, dass man das, was nicht mehr wichtig ist, über Bord wirft. Das ist nicht so einfach. Jetzt, wo ohnehin alle Rituale des gesellschaftlichen Lebens durchbrochen sind, kann ich selber für mich selbst Rituale durchbrechen, zum Beispiel dass ich neue Bücher lese, oder mich mit Dingen beschäftige, die außerhalb meiner Routine und Komfortzone stehen. Das ist der Beginn, bei dem jeder für sich lernt und einen Schritt aus der Komfortzone gehen kann. Weil wenn der Alltag wieder los geht, wird es die Qualität brauchen, dass man lernt, Dinge neu einschätzt, weil es geht nicht einfach nur so weiter. Es gibt kein Zurück mehr, viele Dinge müssen wir überdenken und neu lernen müssen. Das können die Menschen ja, das ist das Gute daran, nur über die Routine des Alltags haben wir das großteils vergessen.
Also die Krise als Chance sehen…
Ja. Dieses Klischee „die Krise als Chance“ kriegt jetzt plötzlich eine Bedeutung. Wir sind alle in dieser Krise. Natürlich hat der Begriff für jemanden, der seine Existenz verliert, eine schmerzhafte Bedeutung. Aber es bleibt uns am Ende nichts anderes übrig, weil die Alternative ist, sich aufzugeben. Jetzt müssen wir aus der Situation lernen uns weiterentwickeln, uns anpassen, und auch verstehen, dass sich einige leichter tun, andere schwerer.
Welche Auswirkungen wird die Isolation auf Familien haben?
Wir erleben alle ein Extremszenario, sind zurückgeworfen auf unser privatestes Umfeld. Ganz viele Menschen in Österreich sind entweder allein zu Hause, oder mit Familie. Diese ist jetzt der Gradmesser für das, was in der Welt passiert. Da wird sich jetzt in den Familien ganz viel tun. Wenn sich alles wieder öffnet, werden wir Beziehungen neu wertschätzen. Weil wir verstehen, dass es wichtig ist, wie wir einander begegnen, miteinander umgehen. Das wird auch auf Familien Auswirkungen haben. Das kann nach dieser so intensiven Phase auch nicht gut ausgehen, in Form von Scheidungen und Trennungen. Für Familien wird es nach der Phase viel intensiver werden, weil dann die Frage kommt: Was ist jetzt übergeblieben? Ist es jetzt intensiver, besser geworden, oder hat man gemerkt, dass man ganz unterschiedliche Vorstellung auch von Zukunft hat, und man will diese vielleicht gar nicht gemeinsam erleben. Das ist ein spannender Moment, mit offenem Ausgang.
Was bedeutet dieser Stillstand speziell für Frauen?
Selbstvertrauen ist extrem wichtig. Weil wir leben immer noch in einer Welt, die sehr stark in systemischer Regulierung aufgebaut ist, etwa, wie Unternehmen geführt werden, Regierungen aufgebaut sind. Die Welt ist immer noch sehr stark vom männlichen Denken dominiert. Jetzt ist auch das in Frage gestellt. Natürlich ist die Lage für viele Menschen in Österreich momentan gesundheitlich und ökonomisch furchtbar. Aber jetzt ist ein Moment, in dem sich Frauen sagen können: Die Zukunft ist offener denn je, neues Denken und neue Konzepte sind möglich, die sich vorher nicht durchsetzen hätten können. Ich würde allen, vor allem Frauen, Mut zusprechen: sich mehr zu äußern, sich zu öffnen, Zukunft mitzugestalten, die Gestaltung nicht nur Männern überlassen, sondern auch aktiv mitzumachen, einen Schritt nach vorne zu machen und sich offensiv einzubringen.
Welche Auswirkungen sehen Sie auf das Leben in der Region bzw. die Umwelt?
Ich glaube, dass Regionalität an Bedeutung gewinnen wird, weil wir merken, dass die Globalität in diesem Ausmaß eine Seite hat, die wir kaum für möglich gehalten haben. Das würde aber nicht bedeuten, dass alles Globale sich abschottet. Wir werden das Globale aber anders, kritischer betrachten, zumindest in den ersten ein, zwei Jahren nach der Krise. Globales wird in anderer Bedeutung wachsen, zumindest im Ökologischen. Die Natur hat uns aktuell in die Schranken gewiesen. Als Erlebnis ist Natur für jeden spürbar und zwingt uns in eine Sondersituation. Das wird meines Erachtens ein Beschleuniger sein für ökologische Globalisierungen. Im Leben werden Menschen versuchen, sich tendenziell im Regionalen, Greifbareren zu orientieren, aber in einem globalen Bewusstsein, nicht im Bereich Technologie oder Aktienbörsen, sondern eher im Bewusstsein im Sinne des Planeten. Das ist als Potential sehr stark durch diese Krise angelegt. Es wird kein Zurück zum Vorher geben. Das werden wir nicht schaffen. Weder als Gesellschaft noch als Wirtschaft. Dieser Bezug wird relevanter werden. Das ist sehr spannend: Das bedeutet für das Regionale nicht nur regionale Berichterstattung über lokale Ereignisse, sondern, was das mit der Gemeinschaft macht, wie sich diese bilden und lokal weiterentwickeln wird. Das Reflektieren einer lokalen Lernbewegung...
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Harry Gatterer:
Ich mach mir die Welt (Molden Verlag), gebundene Ausgabe: 22 Euro.
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