Systemrelevante Berufe
Es braucht mehr als nur Applaus
Die Autorin Luna Al-Mousli gibt mit ihrem Buch "Klatschen reicht nicht!" Systemhelden eine laute Stimme.
WIEN. Von der Hilfslehrerin über den Postbeamten bis hin zur Pflegerin: Luna Al-Mousli porträtiert in ihrem Buch "Klatschen reicht nicht!" jene Menschen, die seit Beginn der Pandemie am meisten gefordert und mittlerweile an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit angelangt sind. Im großen bz-Interview fordert sie mehr Anerkennung und eine Aufwertung dieser Berufsgruppen.
In Ihrem neuen Buch "Klatschen reicht nicht!" haben Sie Systemheldinnen und -helden porträtiert. Sind Sie im ersten Lockdown am Fenster gestanden und haben diesen Menschen applaudiert?
LUNA AL-MOUSLI: Ja, anfangs schon. Ich habe das schön gefunden und mir gedacht: "Oh mein Gott, endlich werden die gesehen, die sonst nicht gesehen werden. Vielleicht werden sich jetzt endlich die Gesetze ändern." Aber so, wie es in Österreich halt ist, passiert das nicht bzw. nur sehr, sehr langsam, weil es sich dabei um Menschen handelt, deren Tätigkeit man als selbstverständlich betrachtet.
Was läuft da schief?
Ich glaube, so einiges. Diese Menschen halten an ihrem Job fest, weil sie ihn brauchen, andere wiederum erfüllt der Job. Es ist ja nicht nur die Arbeit an sich, die sie belastet, sondern auch ihre Lebensbedingungen. Es handelt sich dabei um zahlreiche Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher oder Menschen, die gerade erst in Österreich Fuß gefasst haben und dankbar dafür sind, arbeiten zu dürfen. Mit Angst davor, ihren Job zu verlieren, werden sie sicher nicht auf den Tisch hauen oder für bessere Arbeitsbedingungen streiken.
Welches Porträt hat Sie am meisten bewegt?
Jedes Porträt war einzigartig. Ich habe bei meinen Recherchen viel dazugelernt. Ich hatte gedacht: "Ich lese mich ein und dann kenne ich mich aus." Und dann wurde ich immer wieder aufs Neue überrascht, welche Arbeiten die einzelnen Berufe noch so umfassen und was die darin Beschäftigten alles ertragen müssen. Erschreckend war für mich, dass Rassismus diese Jobs zusätzlich erschwert – wie bei Ani, die in einem Altersheim arbeitet, wo sich einige Klientinnen und Klienten wegen ihrer Hautfarbe nicht von ihr pflegen lassen oder die Medikamente verweigern.
Was muss die Politik Ihrer Meinung nach tun, außer zu klatschen?
Diese Jobs müssen attraktiver werden. Dazu müssen die Arbeitsbedingungen besser werden. Es braucht faire Bezahlung, mehr Personal und auch Möglichkeiten zur Weiterbildung. Außerdem muss man darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn 65 Prozent dieser Jobs von Frauen ausgeübt werden. Viele von ihnen haben Kinder oder müssen nebenbei Angehörige pflegen. Das bedeutet: Die wenigsten können 40 Stunden pro Woche arbeiten, weil sie es einfach nicht schaffen. Dementsprechend braucht es Arbeitszeitmodelle, die zu ihren Lebensumständen passen.
Wie können wir als Gesellschaft für eine Verbesserung sorgen?
Wir als Gesellschaft müssen in erster Linie unsere Einstellung gegenüber diesen Berufsgruppen ändern und dürfen deren Arbeit nicht als selbstverständlich hinnehmen. Wir müssen das sehen und würdigen, was diese Menschen leisten, und auch dafür einstehen, dass es beispielsweise in der Pflege oder im Bildungsbereich mehr Personal geben soll. Das ist ja nicht nur deren Anliegen, sondern unser aller Wunsch, dass unsere Liebsten gut versorgt sind. Ich habe das Gefühl, wir als Gesellschaft sehen diese Zusammenhänge nicht mehr. Bildung, Gesundheit und Soziales: Das sind die wichtigsten Bereiche unseres Lebens, das A und O der Gesellschaft. Das muss uns bewusst werden. Hier müssen wir uns mit all unserer Energie einsetzen.
Wird sich für die Systemheldinnen und -helden jemals etwas ändern?
Ich hoffe es. Ich bin umgeben von Menschen, die in systemrelevanten Berufen tätig sind, wie beispielsweise meine Schwester. Als Elementarpädagogin kommt sie dem Burnout immer näher, obwohl sie gerade einmal in ihren 20ern ist. Das kann nicht normal sein und das dürfen wir nicht hinnehmen. Denn das bedeutet: Etwas läuft schief.
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