Interview Christoph Wiederkehr
"Mit Lesen und Vorlesen entsteht Lust auf Sprache"
Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) über verlorene Lernfreude, Bildungsdefizite und wie oft er in seiner Schulzeit heimlich unter der Schulbank Fantasyromane gelesen hat.
WIEN. Corona hin, Corona her – schon vor der Pandemie hatten Wiens Kinder massive Leseprobleme. Distance Learning verschärft diese Situation massiv. Die bz wollte von Wiens neuem Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) wissen, wie er seine Liebe zum Lesen entdeckt hat und wie man Kindern die Lust am Lesen vermitteln kann.
Laut aktueller Studie haben viele Schüler aufgrund von Homeschooling die Lernfreude verloren und sind verzweifelt. Wie reagieren Sie auf diese Erkenntnis?
CHRISTOPH WIEDERKEHR: Sehr besorgt. Wir haben nicht nur gegen verlorene Bildungschancen zu kämpfen, sondern auch mit den psychischen Begleiterscheinungen. Ich beschäftige mich gerade sehr intensiv mit dieser Thematik und damit, wie wir im Herbst wieder eine Aufholjagd starten, sowohl auf pädagogischer Ebene als auch bei Themen wie psychischer Gesundheit, Ernährungsgewohnheiten und Bewegung.
Bildungsdefizite gab es schon vor Corona. Laut dem Rechnungshof haben bis zu 25 Prozent der Jugendlichen massive Leseprobleme. Was kann man dagegen tun?
Der Kindergarten ist die erste und wichtigste Bildungseinrichtung. Alles, was an Defiziten im Kindergarten beginnt, zieht sich über die ganze Bildungskarriere fort. Darum haben wir in der Fortschrittskoalition vereinbart, dass die Anzahl der Sprachförderkräfte in Kindergärten auf 500 aufgestockt wird. Weiters braucht es in den Pflichtschulen mehr individuelle Förderung, Begleitung und Sprachförderung. Sehr zu begrüßen sind auch Initiativen wie die der bz, die Lust aufs Lesen machen. Genau solche Initiativen brauchen wir, denn durch das eigene Lesen der Kinder und das Vorlesen der Eltern entsteht Lust auf Sprache.
Welche Rolle hat das Lesen in Ihrer Kindheit gespielt?
Mein Vater hat mir viel vorgelesen. Zum Einschlafen gab es immer eine Kurzgeschichte. Ein paar davon hatte ich besonders gerne, die musste er mir immer wieder vorlesen. Besonders gefallen hat mir die Geschichte von Tschipsi, einem Vögelchen, das immer wer anderer sein wollte, irgendwann aber erkannt hat, dass es nicht glücklich wird und akzeptiert hat, wie es ist. Die Moral von der Geschichte fand ich schon damals sehr faszinierend.
Welches war das erste Buch, das Sie selbst gelesen haben?
Es waren nicht meine ersten Bücher, aber ich habe recht früh damit begonnen, Hohlbein-Bücher zu lesen. Diese Fantasy-Geschichten, in denen es immer darum geht, dass Kinder eine Fantasiewelt erleben und dort die Welt retten, haben mich in den Bann gezogen. Ich habe in meiner Kindheit sicher 30 Bücher von Hohlbein gelesen. Die haben mich sehr fasziniert und haben mir sehr viel Lust zum Lesen bereitet. Und dann in weiterer Folge die Harry Potter-Bücher. Mein Glück ist, dass ich in meiner Jugend sehr früh auf die Lust des Lesens gekommen bin. Es war eine sehr, sehr schöne Welt, in die ich da eintauchen konnte. Gerade Märchen- und Fantasy-Geschichten sind meiner Meinung nach eine unglaubliche Bereicherung für die eigene Entwicklung.
Wie oft haben Ihre Eltern Sie spät in der Nacht beim Lesen erwischt?
Das war tatsächlich ein großes Thema. Es gab eine Zeit, in der ich nicht gerne in die Schule gegangen bin, aber sehr gerne gelesen habe – auch nachts. Ich habe sogar teilweise während des Unterrichts unter dem Tisch gelesen, weil ich von der Lektüre so begeistert war. Und das wünsche ich eigentlich allen Kindern und Jugendlichen, dass sie diese Lust des Lesens auch einmal erleben. Mir persönlich hat sie sehr geholfen, denn durch das Lesen konnte ich mich sprachlich gut weiterentwickeln.
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