Trans*Identität / Psychotherapie
FAQ: Kann ich als trans*Person hormonelle und chirurgische Maßnahmen angehen, wenn ich unter einer psychischen Erkrankung leide?
Ja, denn der Weg der Transition und eine begleitende Beratung oder Psychotherapie kann eine Trans*Person so weit stärken, dass sie nun die Kraft und Zuversicht hat, sich ihren psychischen Problemen zu stellen.
Ja, und gleich einmal vorweg: Trans*Geschlechtlichkeit (transgender, transident, transsexuell, genderfluid, non-binary, polygender) ist an sich ist eine gesunde Spielweise menschlicher Identitäten und menschlichen Seins.
Bedauerlicherweise wurde früher Transidentität als psychische Erkrankung verstanden, weil nur eine Minderheit aller Menschen trans* ist und Transidentität daher nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Die Psychologie und Psychiatrie war hier jahrzehntelang äußerst unreflektiert und hat Norm mit Gesundheit bzw. Krankheit gleichgesetzt. Auch heute noch wird in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) Trans*Geschlechtlichkeit irrtümlicherweise noch als psychische Erkrankung genannt. Dies wird sich in Zukunft ändern.
Wenn Trans*Menschen unter Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Angststörungen oder anderen psychischen Symptomen leiden, dann sind das häufig reaktive Folgen auf schwierige Lebensumstände, Mobbing, Diskriminierung und soziale Stigmatisierung. Wird einem Kind die Transidentität verboten, so beginnt sich dieses für sein trans*-Sein zu schämen, seine Trans*Geschlechtlichkeit zu unterdrücken und sich selbst abzulehnen. Es kommt zu starken innerseelischen Konflikten, die jedoch nichts mit der Transidentität zu tun haben, sondern eine Folge der Unterdrückung und Diskriminierung sind.
Viele trans*, transidente und transgender Menschen sind sogar sehr belastbar und entwickeln sich trotz gesellschaftlicher Widerstände zu starken Persönlichkeiten.
Die meisten Trans*Menschen weisen nämlich trotz des schlechten gesellschaftlichen Umganges mit Trans*Geschlechtlichkeit keine psychischen Erkrankungen auf.
Vorsichtig sollten Gutachter*innen dann sein, wenn eine schwere psychische Erkrankung wie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung schwerer Ausprägung (mit ihrer verzweifelten Suche nach Identität) oder eine Schizophrenie (mit ihrem Verlust an Identitätsgefühl und dem Auflösen aller Grenzen) vorliegt. Hier ist dann das Risiko der Retransition größer. Retransition meint, dass ein Mensch nach hormonellen und chirurgischen Maßnahmen zur Angleichung an das Wunschgeschlecht (Transition) wieder in sein biologisches Geschlecht zurück möchte.
Allerdings gibt es selbstverständlich auch viele Menschen, die an einer schweren Borderline-Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenie leiden und transident sind und kein Risiko der Retransition haben. Hier würde dann die Transition die Borderline/Schizophrenie-Symptomatik unter Umständen sogar lindern.
Ein Beispiel: Der Trans*Mann Herr F. wurde als Mädchen geboren und wuchs in einer Familie auf, in der die Eltern viel stritten. Zudem war der Vater Alkoholiker und prügelte oft seine Frau und seine Kinder. Die Mutter von Herrn F. vermochte sich und ihre Kinder aufgrund ihrer eigenen psychischen Labilität nicht ausreichend zu schützen. Aufgrund dieser schweren psychischen und körperlichen Gewalterfahrungen entwickelte sich bei Herrn F. eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und eine Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung.
In der Psychotherapie lernt Herr F. besser mit sich selbst, seinen Borderline-Symptomen und seinen Traumen umzugehen und mehr inneren Halt und innere Sicherheit zu finden. Hier ist nun gerade die Transidentität eine große Ressource. Ermutigt durch seine Therapeutin, beginnt Herr F. seine Trans*Geschlechtlichkeit zunächst im Schutz der eigenen Wohnung, später auch im toleranten Freundeskreis zu leben. Dies gibt Herrn F. viel Kraft, Hoffnung und Zuversicht und auch seine Borderline-Persönlichkeitsstörung bessert sich zunehmend, da Herr F. immer mehr Selbstsicherheit entwickelt und er sich nun intensiv mit seiner eigenen Identität befasst und mehr so leben kann, wie es ihm im tiefsten Innersten entspricht.
An dieser Stelle wird ersichtlich, wie komplex die Diagnostik sein kann.
Auch wäre es ein Irrtum zu glauben, dass die Transition alle Probleme, psychischen Belastungen oder psychischen Symptome eines Menschen lösen würde. Trans*Menschen haben jedoch in aller Regel ein realistisches Bild von ihrer Transition. Allerdings kann der Weg der Transition und eine begleitende Beratung oder Psychotherapie eine Trans*Person so weit stärken, dass sie nun die Kraft und Zuversicht hat, sich ihren psychischen Problemen zu stellen.
Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision
(Logotherapie und Existenzanalyse)
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