Wiener "Rote Riese"
Vor 30 Jahren schlitterte "Konsum" in die Insolvenz

Eine Konsum-Filiale im Jänner 1995. | Foto: Harald Schneider / APA-Archiv / picturedesk.com
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  • Eine Konsum-Filiale im Jänner 1995.
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Vor genau 30 Jahren begann das Ende von Konsum Österreich. Die Rede ist von der damals größten heimischen Wirtschaftspleite aller Zeiten. MeinBezirk bringt für dich den historischen Rückblick über den "roten Riesen".

WIEN. Wir schreiben die Zeit rund um das Frühjahr 1995. Das Lied „Old Pop in an Oak“ von Rednex ist seit sechs Wochen Platz 1 der österreichischen Single-Charts, die Tageszeitung „Standard“ startete als erstes deutschsprachiges Medium ihren Online-Auftritt und viele Wienerinnen und Wiener kaufen bei der Supermarkt-Kette Konsum täglich ein.

Das ganze Land war geschockt, denn obwohl es irgendwie zu erwarten war, konnte man es nicht fassen. Am 8. März, vor genau 30 Jahren, drehten Banken dem Handelskonzern in einer Krisensitzung vor Mitternacht den Geldhahn zu. Es war der Anfang vom Ende eines Konzerns, welcher 17.000 Mitarbeiter an mehr als 1.000 Standorten mit 30 Milliarden Schilling (umgerechnet 2,2 Milliarden Euro) Umsatz hatte. Aber auch 26 Milliarden Schilling Schulden. Es war die größte Insolvenz der Nachkriegsgeschichte. Erst im Jahr 2013 übertraf die Pleite von Alpine diesen Negativ-Rekord.

140 Jahre Geschichte

Der „Rote Riese“ schrieb rote Zahlen, so hieß es in vielen Schlagzeilen der Zeitungen der Republik. In einem Artikel schreibt der Kreditschutzverband (KSV) 1870 folgende Zeilen: „Anfang April 1995 hatte eine Insolvenzexpertin des KSV1870 ganze Kartons voller Namen und Adressen zu verstauen. Berge von Ordnern, die Daten von Tausenden Lieferanten und Gläubigern von einem von Österreichs größten Arbeitgebern, dem Handelskonzern Konsum, enthielten. Es war der Beginn einer Insolvenz der Superlative“.

Die "Spezerei und Delikatessen Konsum-Waren Donaufelder Molkerei" in Wien um das Jahr 1930. | Foto: Archiv Seemann / brandstaetter images / picturedesk.com
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1856 wurde Konsum als einstiger Selbsthilfeverein armer niederösterreichischer Textilarbeiter in Teesdorf gegründet. Sie wollten somit die negativen Auswirkungen aus Preissteigerungen und Inflation bei Grundnahrungsmitteln abfedern. In den 1930er-Jahren gerieten die Konsumgesellschaften unter Beschuss und nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Fittichen der Gewerkschaften begann der Aufstieg zum weitverzweigten Handelskonzern, der dann weit mehr als nur Lebensmittel im Angebot hatte, berichtete der KSV im Jahr 2021.

"Dritte Säule der Arbeiterbewegung"

Mitte der 1970er-Jahre war die finanzielle Lage einiger Regionalgenossenchaften bereits besorgniserregend. Deswegen wurde beschlossen, in drei Phasen eine Primärgenossenschaft zu gründen. Am 22. Juni 1978 wurde auf der Generalversammlung die Firma Konsum Österreich GmbH beschlossen, es handelte sich de facto um eine Notfusion von vielen Konsumgenossenschaften, die es wirtschaftlich schwer hatten.

So sahen die Geschäfte im Jahr 1962 aus. | Foto: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
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Etwa zehn Jahre später, nach einer kurzen Erholungsphase, gab es immer erneut finanzielle Schwierigkeiten. Etwa der Neubau eines Zentrallagers in Hirschstetten, was damals 720 Millionen Schilling kostete, erwies sich als Fehlinvestition und die Schulden kletterten auf 1,3 Milliarden Schilling.

Für die SPÖ galt Konsum als „dritte Säule der Arbeiterbewegung“ neben der Partei und Gewerkschaft. In fast jedem Gemeindebau gab es eine Filiale von Konsum, auch Drogerien, Bäckereien und Fleischfabriken sowie die Traditionskaufhäuser „Steffl“ und „Gerngross“ gehörten zum Konzern, gemeinsam mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) war man zudem Inhaber der BAWAG.

Konflikt mit Migros, Ende am 9. März

Noch Anfang der 1990er-Jahre erhöhte sich der Druck durch die Konkurrenz wie Billa und Meinl, die eigenen Filialen sahen altmodisch aus. 1993 holte die Firma Migros aus der Schweiz als Partner, doch obwohl es einen Kooperationsvertrag über eine gemeinsame Einkaufsgesellschaft gab, kam man sich als Partner nie richtig nahe, berichtete die „Presse“ vor einigen Jahren. Migros wollte einen Blick in die Konsum-Bücher werfen, doch der damalige Geschäftsführer verweigerte dies. Am Ende prüfte Migros den Verkauf von Beteiligungen, dann zog man sich enttäuscht zurück und die Banken beschlossen in der besagten Nachtsitzung, Konsum nicht mehr weiter zu finanzieren.

Diese Filiale in der Landstraßer Hauptstraße 195 kündigte für den 30. April 1995 die Schließung. | Foto: Robert Jäger / APA-Archiv / picturedesk.com
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Ab dem 9. März waren Konsum Österreich sowie 22 Tochterunternehmen zahlungsunfähig, nicht betroffen waren Gerngross Gruppe und die Tagger AG. Wenig später wurden BAWAG-Anteile an die Bayerische Landesbank verkauft, am 31. März 1995 wurde schließlich beim Handelsgericht Wien der Ausgleich bzw. die Insolvenz angemeldet. 3.350 Lieferanten, 700.000 Genossenschafter und 17.000 Mitarbeiter waren betroffen, die gesamten Schulden beliefen sich am Ende auf 17,4 Milliarden Schulden bzw. 1,26 Milliarden Euro.

Konsum-Vibes im "Okay Reiseproviant"

Später wurden 630 Filialen unter den Konkurrenten Billa, Spar, Adeg, LÖWA (später Zielpunkt) und Meinl aufgeteilt, Palmers übernahm die Gerngross-Gruppe, Ankerbrot kaufte die Brotfabrik Ährenstolz. Billa übernahm auch 60 defizitäre Coop-Geschäfte und Inform-Parfümerien. Mit einer durchgerechneten Quotenzahlung von 51 Prozent kamen 1999, sechs Jahre nach der "Pleite aller Pleiten", die Lieferanten mit einem blauen Auge davon, berichtet der KSV. Am Ende wurde der gesamte Konsum-Vorstand 1999 wegen fahrlässiger Krida verurteilt.

So sieht das Logo von "Okay Reiseproviant" aus. | Foto: Weingartner-Foto / picturedesk.com
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Doch Konsum ist nicht komplett aus der heimischen Handelsbranche verschwunden. Ab 1996 war Konsum Österreich nämlich mit einem neuen Vorstandsvorsitzenden im Handel aktiv und hielt diverse Beteiligungen mit Kleinsupermärkten. Vor einigen Jahren wurde die Firma in „OKAY Team eingetragene Genossenschaft“ umbenannt. Heute gibt es einige „Okay-Reiseproviant“-Filialen in Ostösterreich, davon drei am Praterstern, Schottentor sowie am Westbahnhof.

Übrigens: Für die Jugend, die das erwähnte Lied vom Anfang des Artikels nicht kennt, hier das Musikvideo:

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