Der Flüchtling in unserer Wohnung
Bei Asylwerbern ist oft die Rede von Container, Massenquartieren oder Zelten. Es gibt aber auch Menschen, die Asylwerber privat bei sich aufnehmen.
Gast ist vermutlich der falsche Begriff. Familienmitglied trifft es wahrscheinlich auch nicht ganz. Die Entscheidung, einen Flüchtling in der eigenen Wohnung aufzunehmen, war ein großer Einschnitt in das Leben von Lisa und Michael Himmelsbach. "Wir würden es sofort wieder machen. Aber an dem Abend, bevor wir Ali treffen sollten, waren wir schon irrsinnig nervös", lachen beide. Ihre Sorge war unbegründet, denn das junge Ehepaar aus Linz und Ali Al Alqabi aus dem Irak waren sich sofort sympathisch. Seit knapp drei Monaten wohnt der 25-Jährige nun in einem freien Zimmer in der Wohnung des Paares. "Ich konnte mir nicht vorstellen, warum die beiden jemanden bei sich aufnehmen wollen. Ich dachte, sie bekommen vielleicht Geld dafür. Aber ich habe bald gemerkt, dass sie es aus Menschlichkeit machen", sagt Ali.
Selbst etwas tun
Die beiden waren geschockt, als im Sommer die ersten Flüchtlingszelte in Linz aufgebaut wurden. "Ich habe mich sehr über die Situation beschwert aber gemerkt, dass ich selbst nichts zur Verbesserung beitrage. Als wir darüber gesprochen haben, war für uns rasch klar, dass wir uns vorstellen können, jemanden aufzunehmen", sagt Lisa. Organisiert wurde der Kontakt durch die Plattform "Flüchtlinge Willkommen". "Am Telefon habe ich von zwei drei Schicksalsschlägen erfahren und sollte mich für jemanden entscheiden. Das hat mich überfordert. Die Entscheidung, wer zu uns passen könnte, hat schließlich der Verein getroffen. Sie haben sich Gedanken gemacht und weil sie gewusst haben, dass Michael Physik studiert hat und der Ali Chemie, haben sie gedacht, dass das passen könnte."
Offensive für private Unterbringung
Rund 11.230 Asylwerber sind derzeit in der Grundversorgung von Land und Bund in Oberösterreich untergebracht – 1150 davon in privaten Wohnungen, weitere 3200 in organisierten Quartieren, die von Privaten betrieben werden. Integrationslandesrat Rudi Anschober will bei der Suche nach Unterkünften nun eine Offensive für private Quartiere starten: "Vorbild ist hier Wien, wo rund 50 Prozent der Quartierplätze bei Privaten geschaffen wurden. In Oberösterreich stehen wir bei dieser Form der Unterbringung bei erst rund zehn Prozent."
Viele Hürden
Dabei haben private Quartiergeber nicht selten mit großen Hürden zu kämpfen. Ein großes Problem bei den Himmelsbachs war der Mietvertrag. "Es war nicht einfach einen Vertrag aufzusetzen, mit dem auch gewährleistet ist, dass Ali weiterhin die Grundversorgung erhält. Obwohl wir beide im Sozialbereich arbeiten und uns relativ gut auskennen, sehr engagiert und selbstständig sind, ist es trotzdem so, dass wir oft an unsere Grenzen gekommen sind", sagt Michael. Der AHS-Lehrer und die Sozialarbeiterin begleiten Ali auch bei Behördengängen für seinen Asylantrag und helfen ihm dabei, an der JKU für ein Masterstudium in Chemie zu inskribieren – bisher leider ohne Erfolg. Zumindest in puncto Behörden sollen künftige Quartiergeber entlastet werden: "Plan ist, dass die Asylwerber zuerst in organisierten Quartieren untergebracht werden, wo die wichtigsten Behördengänge erledigt und erste Sprachkenntnisse vermittelt werden. Dann soll die Weitervermittlung in private Quartiere erfolgen", sagt Anschober.
Kochen und Fußball
Wie viel eine private Unterkunft zur Integration beitragen kann, zeigt sich auch in der Wohnung der Familie Himmelsbach. "Hier gibt es viel mehr für mich zu lernen – die Sprache, Traditionen, die Kultur, das Essen", sagt Ali. Die drei sehen sich fast jeden Tag und machen viel gemeinsam. "Was uns zusammenschweißt und was wir sehr oft gemeinsam machen ist kochen. Weil wir alle große Fußballfans sind, haben wir nun Sky und schauen oft gemeinsam", sagt Lisa, während Ali lacht: "Ich bin der erste Asylwerber mit Sky." Oft kann Ali seinen Freunden etwas von den Traditionen hier in Österreich erzählen, die er bei Lisa und Michael sowie ihren Familien und Freunden kennenlernt. Der 25-jährige Iraker ist froh, dass er nach der mehr als ein Jahr dauernden Flucht eine Art neues Zuhause gefunden hat und hofft, dass viele dem Beispiel von Lisa und Michael folgen: "Im Irak und in Syrien gibt es viele gute Menschen. Sie kommen den ganzen Weg bis nach Österreich, weil in ihrer Heimat Menschen getötet werden und weil sie glauben, dass sie hier in Sicherheit sind. Es gibt viele Menschen, die nie mit Flüchtlingen gesprochen haben und auch keine Muslime kennen. Ich möchte ihnen sagen: Bitte habt keine Angst vor den Asylsuchenden. Religion alleine macht uns nicht gut oder schlecht, sondern nur der Charakter."
Großer Zuspruch
Das gute Beispiel der beiden Linzer regte bereits viele Menschen in ihrem Bekanntenkreis zum Nachdenken an. "Unsere Familien und Freunde sind alle hinter diesem Schritt gestanden und waren auch sehr neugierig. Es kam Zuspruch von Seiten, an die man gar nicht gedacht hat", sagt Michael. "Sehr beeindruckend war, als wir auf Facebook gefragt haben, ob jemand eine Winterjacke von Ali hat. Wir haben mindestens zehn Jacken bekommen", erzählt Lisa. Die große Spendenbereitschaft hat das junge Paar aber auch vor so manche Frage gestellt. "Wir haben gemerkt, dass das Ali gar nicht so angenehm ist. Er hatte im Irak ja eine eigene Existenz, hat eine eigene Wohnung gehabt und gar nicht so wenig Geld verdient", so Michael. "Ich bin den Österreichern sehr dankbar. Natürlich wäre es besser, arbeiten zu können und unabhängig zu sein, aber man muss sich an die Regeln halten", sagt Ali, der sich von Lisa und Michael die Adressen der Spender erbeten hat, damit er den Menschen wenigstens schreiben kann.
Einlassen in sein Leben
Trotz aller Widrigkeiten würden Lisa und Michael sofort wieder einen Flüchtling bei sich aufnehmen: "Es ist eine schöne Möglichkeit, eine andere Kultur und Religion, einen anderen Menschen, andere Speisen kennenzulernen, aber auch eine Möglichkeit, eigene Verhaltensweisen und Traditionen noch einmal zu hinterfragen." Beide freuen sich, wenn sie sehen, wie Alis Deutsch von Tag zu Tag besser wird. "Wichtig ist, alle Ängste offen auszusprechen und das auch vom anderen einzufordern. Wenn man es dann wirklich macht, sind die meisten Ängste aber ohnehin schnell verflogen", sagt Michael und Lisa ergänzt: "Ich fürchte mich nur, dass Ali einen negativen Asylbescheid bekommt. Wenn eine Person, die man sehr weit hereingelassen hat in sein Leben, auf einmal weg ist und man machtlos dagegen ist."
Mehr Infos für Interessenten gibt es auf www.fluechtlinge-willkommen.at und auf der neuen Plattform "Zusammenhelfen in OÖ" auf zusammenhelfen.ooe.gv.at
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