Besser? Nein, es gibt in Traiskirchen kein gutes Gefühl.
Es wird sich etwas ändern. Nach dem 11. Oktober. Es wird neue - alte - Landeshauptleute geben, vielleicht neue Bürgermeister, neue Koalitionen, neue politische Verhältnisse. Als geübte_r Österreicher_in weiss man, dass bis dahin "Themen" die keine Stimmen bringen liegen bleiben.
Ich habe vor ca. 2 Wochen über meine Wut und Enttäuschung über die Zustände in Traiskirchen geschrieben. Über Menschen die von unserer Politik im Stich gelassen werden. Ein Lager in dem Männer, Frauen und Kinder in Zuständen leben die eine Schande für Österreich sind.
Auf Papier hat sich seit meinem letzten Bericht einiges verändert, es gibt eine parlamentarische Mehrheit die Quoten durchsetzen will, Amnesty International hat einen Bericht über die Zustände verfasst, die Regierungsspitze hat doch noch den Weg nach Traiskirchen gefunden.
Ich war die letzten beiden Tage in Traiskirchen. Noch immer krampft sich alles in mir zusammen wenn ich über die Gleise der Badner Bahn fahre. Über die imaginäre Grenze zwischen Normalität und Versagen. Für mich bleibt es die Grenze von Wut und Enttäuschung.
Die letzten beiden Tage waren eine gefühlsmässige Berg- und Talfahrt für mich. Ich kämpfe auch noch immer um die richtigen Worte. Die Hilfsbereitschaft die man in Traiskirchen sieht ist überwältigend. Menschen kommen aus ganz Österreich um Spenden zu bringen, Kleidung, Essen, Hygieneartikel, Zelte, Schlafsäcke, Medikamente, Infoblätter mit Informationen, Wasser und und und.
Es wird gesprochen was gerade gebraucht wird, Facebook Kontakte und Erfahrungen werden ausgetauscht. Akademiestrasse, SIAK und im Park sind in den Sprachgebrauch übergegangen. Es wird geholfen was das Zeug hält. Über Mauern und durch Zäune. Menschen bauen Suppenküchen auf. Es bilden sich Netzwerke der Hilfe. Man sieht Kennzeichen aus ganz Österreich. Offene Kofferräume mit Taschen bis obenhin. Grüppchen von Helfer_innen spielen mit Kindern andere versuchen sich als Deutschlehrer_innen. Die Stimmung ist entspannter. Man könnte fast das Gefühl bekommen es ist alles besser geworden.
Im Lager der Caritas wird fleissigst sortiert, die Gänge sind etwas enger geworden, die Luft noch immer stickig und staubig. Aber die Berge der Sachspenden scheinen sortierter und überschaubarer. Besser oder? Das Gefühl schleicht sich ein, dass Helfen schwieriger geworden ist. Die Listen der benötigten Sachen sind kürzer und präziser. Besser oder? Eigentlich ein gutes Gefühl.
Nein, es gibt in Traiskirchen kein gutes Gefühl. Denn jedes dankbare Lächeln und jedes Gespräch ist ein Sinnbild des Versagens aller Regierungen in Österreich. Bundesregierung wie auch Landesregierungen. Denn ohne der Hilfe der Bevölkerung, gäbe es noch immer keine annehmbare Unterkunft für die Menschen, die Menschen würden noch immer Hungern, es gäbe noch immer mangelnde medizinische Versorgung und die Menschen hätten nur die paar Dinge die sie auf ihrer Flucht retten konnten.
Das Lager der Caritas muss abgebaut werden, es wird erzählt, dass eine Betriebsanlagengenehmigung ausläuft. Strafzettel werden verteilt, Parkverbotsschilder sind aufgetaucht und es werden Autos abgeschleppt. Fotos von Müll auf der Straße kursieren im Internet mit Titel wie "Undankbarkeit" und noch viel grauslicheren Beschreibungen. Wir haben gestern versucht eine leere Dose wegzuwerfen, in einen Mistkübel, die Dose ist noch immer in meinem Auto.
Ein älterer Herr und seine im Rollstuhl sitzende Frau sprechen uns an ob wir Medikamente mithaben. Beide brauchen dringend medizinische Versorgung. Beide wirken erschöpft, sie leben in einem Zimmer mit zehn Familien, Männer, Frauen und vielen Kindern. Jemand sagt ihm, dass am Montag ein Arzt in der Moschee ist. Wir fragen ob sie etwas zu essen brauchen, er sagt, nein wir bekommen genug Essen von den den Helfer_innen weil im Lager ist das Essen unerkennbar und unessbar. Einer unserer Begleiter, schneidet ihm die Haare und der Mann macht ein Foto mit uns und verabschiedet sich mit den Worten: Bitte vergesst mich nicht. Nein die Situation in Traiskirchen ist nicht besser geworden. Da ist es wieder, das Gefühl der Wut und der Enttäuschung.
Die Bevölkerung hat die Aufgaben der Regierung übernommen, Menschen helfen Menschen. Manchmal vielleicht etwas zuviel und unorganisiert. Aber jede/r einzelne/r macht einen besseren Job als die zuständigen Minister, Präsidenten oder Landeshauptleute. Und auch wenn viele Spenden überbleiben oder wieder mit nachhause genommen werden, bin ich stolz darauf, dass soviele Menschen es schaffen die Situation zu verbessern.
Da bin ich nun, zwischen meiner Berg- und Talfahrt der Gefühle, über Stolz auf die Menschen die helfen, die Menschen die die Aufgaben des Staates übernehmen, Wut auf eben diese Vertreter des Staates die in einer Schockstarre leben und Enttäuschung, dass sich nichts verändert.
Jetzt kommt bei mir aber ein neues Gefühl dazu: Ich fühle mich verarscht!
Verarscht von Worten wie: "Mir wäre es 2 oder 3 Wochen früher lieber gewesen", "In vier Tagen werde ich mit meinen Kollegen sprechen" oder "Wer hilft kann auch feiern". Für mich insgesamt eine Bankrotterklärung und ein Kniefall vor der Hetze von rechts.
Doch all diese Gefühle zählen momentan nicht, was zählt ist der Mann den ich nicht vergessen werde. Ich lasse ihn nicht bis zum 12. Oktober warten um zu helfen!
Ich möchte noch allen von ganzem Herzen danken die in den letzten Wochen ihren Beitrag zur Hilfe geleistet haben, euer Einsatz lässt mich an eine bessere Welt glauben!
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