Neues Buch über Karl Renner

Der langjährige wissenschaftliche Leiter des Karl Renner Museums in Gloggnitz Siegfried Nasko. | Foto: SPÖ NÖ
  • Der langjährige wissenschaftliche Leiter des Karl Renner Museums in Gloggnitz Siegfried Nasko.
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Im Residenzverlag ist soeben eine neue Monographie über Karl Renner erschienen. Der langjährige wissenschaftliche Leiter des Karl Renner Museums in Gloggnitz Siegfried Nasko versucht das vielfältige Schaffen des zweimaligen Republikgründers und Bundespräsidenten unter dem Titel „Karl Renner. Zu Unrecht umstritten? Eine Wahrheitssuche“ neu zu beleuchten.

In seinem noch als Bundespräsident verfassten Vorwort betont Heinz Fischer, er kenne in Österreich niemanden, der sich so intensiv, kenntnisreich und ausdauernd mit der Persönlichkeit und dem Wirken von Karl Renner auseinandergesetzt hat und weiter auseinandersetzt wie Siegfried Nasko. Wie Hugo Portisch in seinem Vorwort ausführt, stützt Nasko diese Neubewertung des Denkens und Wirkens Renners auf eine lange Reihe von Publikationen, Dokumenten, Briefen und Gesprächen mit Zeitzeugen sowie Weggefährten Renners. Aus all dem ziehe Nasko den Schluss, Renners Überzeugung sei es gewesen, als Politiker vor allem durch Kompromisse der Bevölkerung Blutvergießen, Hunger und Arbeitslosigkeit zu ersparen. Dafür finde Nasko mit „Kooperation als Evolutionsmaxime“ eine neue Bezeichnung, die gewiss eine weitere Diskussion auslösen werde. Hauptzweck des Buches aber sei es, die enorme Vielseitigkeit Renners in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu dokumentieren.

In 14 Kapiteln auf 480, mit 56 Fotos und Renners Stalin- Brief-Faksimile illustrierten, Seiten zeigt Nasko auf, dass sich Renner schon von seinem Herkommen her von
Kindheit an zur Sozialdemokratie rekrutiert fühlte. Er verwahrte sich von Anfang an, Karl Marxs Aussagen dogmenmäßig aufzufassen und tatenlos auf den in Aussicht gestellten Revolutionstag zu warten. Die Zeiten hatten sich geändert und der Staat sei nicht mehr als Gegner der Arbeiterschaft aufzufassen, sondern werde durch Annäherung sukzessive in den Dienst der Arbeiterschaft treten. Auch der von Gegnern geleitete Staat geselle die Bürger, er sei mit sozialdemokratischen Ideen zu durchdringen. Damit nahm Renner 50 Jahre vor Egon Bahrs Devise für Willy Brandts Ostpolitik dessen Prinzip „Wandel durch Annäherung“ vorweg. Diese Annäherung leitete Renner in allen fünf Staatssystemen seines Lebens: In der Monarchie, in der I. Republik, im Ständestaat, unter der NS- Herrschaft und in der II. Republik.
Zur Beamten- und Offiziersschaft sowie zu Kaiser Franz Joseph I. selbst war Renner distanziert, zuerst in Pseudonymen, als Landtagsabgeordneter bekannte er sich öffentlich als Anhänger der Republik. In seinem von der Linken vielfach kritisierten Werk „Marxismus, Krieg und Internationale“- (1917) formulierte Renner sein lebenslang eingehaltenes Prinzip: Es ist besser, sich einem von einem Diktator oder Tyrannen geführten Staat anzunähern als sich von einer ausländischen Armee befreien zu lassen. Denn der Befreiungsschlag treffe wieder mit Leid und Vernichtung die Mehrheit der Menschen und keineswegs den Usurpator. Renners Prinzip der Gewaltlosigkeit übertraf sogar das Handeln Mahathma Gandhis, der zwar auch noch so schwere Gegner schonte, seine eigenen Gefolgsleute jedoch massenhaft opferte. Sein eigenes Volk zu schützen, dessen Leben zu erhalten, war Renners oberste Maxime.

Im Prozess gegen Friedrich Adler nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Stürghk wurde Renner vom Sohn des Parteivorsitzenden öffentlich schärfstens attackiert, als Regimediener und Kriegsfreund gebranntmarkt. Renner reagierte darauf nicht, sein Prinzip war, Zank sei seine Sache nicht, sondern Arbeit und Leistung. Mit seiner zwar mutigen Tat habe Friedrich Adler jedenfalls real nichts bewirkt, auch keine Verkürzung des Weltkrieges.
Welche Funktion Renner auch immer ausübte, er verdankte sie nie irgendwelchen persönlichen Kontakten oder eigenen Bestrebungen. Seine Kompetenz, sein Wissen, seine Erfahrung und sein Fleiss, mit dem er anpackte, wo andere zuwarteten und auswichen, brachten Renner als Staats- kanzler an die Spitze der Ersten und Zweiten Republik. Die beiden Koalitionsparteien drängten Renner die Leitung der Friedensdelegation in St. Germain auf, Otto Bauer über- redete ihn schließlich, auch noch das Aussenministerium zu übernehmen. In all seinen Handlungen suchte Renner das Einvernehmen mit seiner SDAP.

In der Monarchie warf man Renner vor, er habe sich angedient. Tatsächlich sollte sein Nationalitätenprogramm das Reichsinnere befrieden und die Kriegsgefahr von außen eliminieren. Im Erhalt der Monarchie ging es ihm nicht um die Dynastie, sondern um den Großraum. Auch seine Nähe zu Naumanns Mitteleuropaplänen war vom freiwilligen Zusammenschluss und keineswegs von imperialer Eroberung geleitet. Mit seinem vielschichtigen Ernährungs- engagement arbeitete Renner gegen Hungersnot, auch im Genossenschaftsbereich.

In der Ersten Republik verwirklichte er als Kanzler vor allem eine ideale sozialdemokratische Sozial- und Bildungspolitik. Er postulierte das Recht der Sozialdemokratie an der Teilnahme an der auch bürgerlichen Regierung im Sinne einer verstärkten Annäherung. Es ging ihm um das Gestalten, nicht um bloße Macht. Für die Emanzipation der Arbeiterschaft gründete Renner die Arbeiterbank. Als internationaler Genossenschafter setzte er sich für vom Faschismus Verfolgte ein. Abgesehen von zahlreichen jüdischen Parteifreunden hatte Renner einen jüdischen Schwiegersohn. Zahlreiche seiner Bekannten waren Juden, denen er sein Leben lang verbunden blieb, wie seinem Nikolsburger Lehrer Wilhelm Jerusalem. Diesem verhalf er letztlich zu einer Universitätskarriere.
Nach seinem fraktionell akkordierten Rücktritt als Nationalratspräsident näherte sich Renner dem Dollfuss- Regime mit einem Staatsnotstandsgesetz an, das bis zur Selbstaufgabe der SDAP ging. Den Bürgerkrieg konnte er nicht verhindern. Trotz seines mäßigenden Einflusses auf das eigene Lager wurde er als „Hochverräter“ 100 Tage eingekerkert. Wie Konrad Adenauer, so hielt sich auch Renner nicht für den Widerstand geeignet. Dennoch engagierte er sich persönlich weiter für Österreichs Selbständigkeit.

Der Anschluss an das deutsche Mutterland war für Renner erst nach dem Zerfall der Monarchie ein politisches Ziel. Der größere Wirtschaftsraum war so atraktiv, dass er trotz des Anschlussverbots durch die Entente den nahezu einhelligen Parlamentsbeschluss von 1918 die nächsten zwanzig Jahre weiter verfolgte. Seine Medienerklärung am 3. April 1938 war prinzipiell gleichfalls ein Schritt der Annäherung, um die
Härte des Nazistaates abzufedern. Allerdings distanzierte sich Renner darin mutig vom Nationalsozialismus und erwähnt Hitler - im Unterschied zu den meisten anderen Bekundungen - überhaupt nicht. Ohne es je auszusprechen, wollte er damit seine jüdischen Familienmitglieder im besonderen und die Arbeiterbewegung im allgemeinen schützen. Die Behauptung, dadurch sei es erst nach drei Monaten zu einem organisierten Widerstand gekommen, ist falsch, da die Revolutionären Sozialisten am 15. März 1938 den Beschluss gefasst hatten, diese Zeit nichts zu unternehmen, um den 5.000 eigenen Funktionären nicht zu schaden.

Ins Zwielicht geriet Karl Renner vor allem durch die Interviews, die ein Direktor Thomas Kozich 1972 für die Kommission für Zeitgeschichte gegeben hat. Er behauptete, Ende März 1938 als damaliger NS-Vizebürgermeister und SA-Brigadeführer Augenzeuge der Vorsprache Renners bei NS-Bürgermeister Hermann Neubacher gewesen zu sein. Dieser Thomas Kozich ist 1947 vom Volksgerichtshof wegen illegaler Betätigung und Denunziation zu zehn Jahren Kerker verurteilt worden. Während seiner Haft bis 1951 suchte er nahezu ununterbrochen um Amnestie beim Justizminister und Bundespräsidenten an. Da die Polizei regelmäßig Einspruch dagegen erhob, da eine vorzeitige Entlassung eines Denunzianten eventuell zu einem Volksaufstand führen könne, kam es nicht dazu. Erst beim Antritt von Theodor Körner als neuer Bundespräsident wurde Kozich von diesem begnadigt.

Im von zahlreichen Historikern wiedergegebenen oder zumindest zitierten Interview wurde Renner merkwürdiger Weise als dicklicher, kleiner und zappeliger Mann
dargestellt, der Neubacher offenbar zum ersten Mal sah. Weiters legte Kozich Renner Worte in den Mund, die dieser mit Sicherheit nicht gebraucht hat. Renner hat sich meines Erachtens nach keinesfalls hitlerbegeistert gezeigt, diese Behauptung ist erlogen. Renner präzisierte seine NS- Distanz wenige Wochen später in einer holländischen Zeitung und in der britischen The world Review. Es war das Profil, das 2010 aufgedeckt hat, dass ein gewisser Vizebürgermeister Kozich seine wirklich belastenden Akten vor dem Volksgerichtshof hatte verschwinden lassen. In Wahrheit war dieser Kozich nach neuer Aktenlage einer der schwersten Schreibtischtäter Österreichs und derjenige NS- Funktionär, der die erste Massendeportation von 1000 polnischen Juden im September 1939 vom Wiener Prater Stadion ins KZ Buchenwald angeordnet hatte, um als Sportreferent ein Ländermatch Ostmark-Ungarn durchzuführen. Nur 71 dieser deportierten Juden haben überlebt. Darüber hinaus war Kozich für die Arisierungen zuständig. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit identifizierte Nasko diesen Kozich als jenen Augenzeugen, der Renner in seinem Interview 1972 so arg belastet hat. Nasko nimmt als Grund für diese Falschaussagen Rache dafür an, dass Renner ihn nicht begnadigt hatte, wohl aber dann Körner.

Die Sudetenbroschüre war 1938 überhaupt nicht bekannt, wurde von Raimund Löw 1977 entdeckt und 1990 publiziert. Der Vertreter des Kompromisses Renner würdigt darin, dass die Alliierten von 1919 Hitler nun gewährten, was sie ihm damals untersagt hatten, das Selbstbestimmungsrecht. Die Vereinnahmung von 3 Millionen Sudetendeutschen durch den Tschechischen Staat hatte Renner als Gefahr für den Frieden angesehen.
Renner war seit Beginn der 1920er Jahre ein Gegner der Nazis, er hatte durch sein Verhalten 1938 keinen Vorteil. Gloggnitz-Enzenreith erkannte ihm die Ehrenbürgerschaft ab, noch vor Kriegsende wollten ihn die Nazis durch ein Werwolfkommando zu Tode bringen.

Noch fünf Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges begab sich Renner, gut vorbereitet, unter Lebensgefahr zu den Sowjetischen Stellen in Gloggnitz, Köttlach und Hoch- wolkersdorf. Von Anfang an sah er Österreich als erstes Opfer der Nazis, was bis 1991 Staatsdoktrin war. Renners Regierung war gegen die Rückkehr von Sudetendeutschen, Juden u.a., weil sie damals nicht einmal die eigene Bevölkerung ernähren konnte. Stalin suggerierte Renner ein aus lauter Dankbarkeit sozialistisches Österreich. Mit seiner Patentlösung in der Konzentrationsregierung ergab sich in jedem Staatsamt eine nichtkommunistische Mehrheit. Trotz Renners Vorbehalte gegenüber den Vertretern der Dollfussclique kam es zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der nunmehrigen ÖVP, als deren Ergebnis er letztlich von der Bundesversammlungung zum ersten Bundes- präsidenten gewählt wurde.
Als Bundespräsident musste Renner erst sukzessive erkennen, nicht mehr das effektive Sagen zu haben. Er kämpfte um Österreichs Souveränität und tadelte den nun in der Schweiz lebenden Friedrich Adler, auch nach der Katastrophe von 1945 immer noch für den Anschluss zu sein. Renner kämpfte in den Medien für den Staatsvertrag und sah in der UNO die Verwirklichung seines Traums vom Weltstaat.
Alles in allem war Karl Renner nach dieser Wahrheitssuche alles andere als je opportunistisch. Er handelte strikt nach seinen Prinzipien und trat dafür ein, Politikern kein Entgelt zu zahlen, lediglich Spesenvergütung. Er war als Rechts- soziologe weltberühmt, war stets für Reformen offen, suchte Möglichkeiten eines neuen Regierens, trat bereits mit 20 für eine Eheschließung ausschließlich zwischen Mann und Frau ein, kreierte bedeutende wirtschaftliche Institutionen und war auch als Dichter engagiert. Frauen in der Politik würden nach Renners Meinung das sittliche Niveau in diesen Gremien heben. Als sozialdemokratischer Realpolitiker war Renner den Linken ein Dorn im Auge. Mit seinen Ideen von Gewaltlosigkeit, vom letztlich gemeinsamen zu erobernden Staat, vom friedenssichern- den Zusammenschluss zum Weltstaat war und bleibt er einer der größten sozialdemokratischen Politiker Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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