"Beim Poetry Slam weißt du nie, was passiert"

Severin "Sevi" Agostini tritt bei 20 bis 30 Poetry Slams im Jahr auf. Er organisiert als Mitglied des Vereins "Post Skriptum" aber auch selbst Slam-Veranstaltungen im Solaris und in der Tabakfabrik. | Foto: Pierre Jarawan
  • Severin "Sevi" Agostini tritt bei 20 bis 30 Poetry Slams im Jahr auf. Er organisiert als Mitglied des Vereins "Post Skriptum" aber auch selbst Slam-Veranstaltungen im Solaris und in der Tabakfabrik.
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StadtRundschau: Wie bist du zum Poetry Slam gekommen?
Sevi: 2008 habe ich im Posthof meinen ersten Poetry Slam gesehen. Das war kurz nach den zweiten österreichischen Meisterschaften und an dem Abend waren die drei besten Tiroler, zwei gute Wiener und ein paar gute Linzer da. Die haben so geile Texte gelesen, dass ich mir sofort gedacht hab, die machen genau das, was ich auch schreibe. Kurz darauf habe ich im Solaris selbst zum ersten Mal gelesen und bin gleich mal letzter geworden.

War die Aufregung schuld?
Ich war extrem nervös. Ich habe vorher noch nie in ein Mikro gesprochen. Nach zwei Sätzen hat sich die Nervosität gelegt. Ich war sofort fasziniert und es hat mich gepackt. Das Problem war eher, dass ich damals noch nicht verstanden habe, dass ein Text, der zum Lesen oder für die fünf besten betrunkenen Freunde lustig ist, noch lange nicht auf der Bühne funktionieren muss.

Also hast du gelernt, für die Bühne zu schreiben?
Damals gab es noch keine Youtube-Videos von Slammern, an denen man sich orientieren und von denen man lernen konnte. Damals hat man die Leute noch gefragt oder Workshops besucht. Ich habe viele verschiedene Einflüsse gesammelt, ein bisschen Rap-Affinität ist sicher auch hilfreich, und man lernt viel durch Erfahrung.

Was unterscheidet einen Slam-Text von einem anderen Text?
Wenn man nur fünf Minuten Zeit hat, muss man genau überlegen, was man in einen Text hineinpackt. Bühnentexte sind knapp, müssen sofort ein Bild erzeugen. Ich mache mir auch viel mehr Gedanken darüber, wie Menschen funktionieren. Ein bisschen Kenntnis der menschlichen Psychologie kann sicher nicht schaden.

Wie lief es dann mit dem ersten richtigen Bühnentext beim Poetry Slam?
Der hat auf Anhieb funktioniert und ab diesem Zeitpunkt bin ich erst so richtig hineingestürzt. Seither liegen das Romanprojekt und das HipHop-Album auf Eis, weil mich der Slam so gepackt hat.

Du lebst aber nicht vom Slammen, oder?
Wenn man es intensiv betreibt, gut ist, einen gewissen Bekanntheitsgrad hat und 250 Tage im Jahr auftritt – dann kann man davon leben. Das sind in Österreich maximal zehn Leute. Die leben aber eigentlich auch nicht vom Slammen selber sondern davon, dass sie durch die Poetry Slams bekannt wurden und heute bei den Auftritten ihre Bücher oder CDs verkaufen. Ich selbst habe einen normalen Job in einem Planungsbüro, bin Slammer und Veranstalter, lebe also mit einer Dreifachbelastung.

Mit deinem Verein Post Skriptum veranstaltest du regelmäßig Poetry Slams im Solaris und der Tabakfabrik. Wo ist der Unterschied bei den Veranstaltungsreihen?
Im Solaris gibt es jeden letzten Donnerstag im Monat eine offene Bühne. Die ist für alle gedacht, die gern schreiben und das Slammen schon immer ausprobieren wollten. Zu den Veranstaltungen in der Tabakfabrik werden bekannte Slammer eingeladen. Hier war es mir wichtig, dass es keinen Gratis-Eintritt gibt.

Warum?
Ich habe im Ausland die Erfahrung gemacht, dass Menschen sehr wohl bereit sind, für einen Slam Geld zu bezahlen – was mir meine Freunde in Linz früher nie glauben wollten. Wenn man für etwas zahlt, wird es auch besser honoriert. Bei kostenlosem Eintritt kann jeder kommen, der sich vielleicht gar nicht für das Gelesene interessiert, der sich dann vielleicht beschwert und seinen Unmut kundtut. Sich mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auf die Bühne zu trauen ist nicht ohne. Dieser Mut soll honoriert werden, auch wenn ein Text vielleicht nicht so toll ist.

Wie entstehen deine eigenen Texte?

Hauptantriebsfedern waren früher oft Wut, Hass und Unverständnis. Äußerlich schaue ich zwar aus wie 33, innerlich bin ich aber immer noch 14. Mit Reimen und Kritischem tue ich mich am leichtesten, obwohl ich eher für meine lustigen Texte bekannt bin. Meist sind es spontane Ideen, die ich mir aufschreibe. Manchmal packt es mich direkt, manchmal bleibt eine Idee auch ein halbes Jahr liegen, bevor sich etwas daraus entwickelt. Für einen Text brauche ich aber mindestens zwei Stunden.

Das klingt nach harter Arbeit.
Das ist etwas, das man in viele Köpfe erst hineinbekommen muss. Ein Slammer ist wie ein Musiker oder ein Maler, der für sein Werk Vorbereitungszeit braucht. Viele Veranstalter glauben, sie laden sich einen kostenlosen Pausenclown ein. Beim Kostenvoranschlag haut es sie dann vom Hocker und sie meinen, darum hätten sie auch einen Kabarettisten buchen können. Der hätte sie aber nicht so gut unterhalten.

Was fasziniert das Publikum an Poetry Slams?
Die Unvorhersehbarkeit. Beim Slam weißt du nie, was passiert. Und: Man kann selbst mitentscheiden. Keine Fachjury mit Doktortiteln sondern ich selbst kann mir ein Taferl nehmen und Punkte vergeben. Vielen gefällt die persönliche Note. Ein Text ist dann gut zu vermitteln, wenn man merkt, er gehört zu dem Menschen dort oben dazu. Das ist nicht gestellt. Damit es funktioniert, muss es zu mir passen, und nur dann kann ich es vermitteln. Etwas zu lesen, nur weil das Publikum das hören will, funktioniert nicht.

Wer sind die Menschen im Publikum?
Der Großteil sind Studierende, Menschen die sich in höheren Schulen mit Literatur auseinandersetzen, ältere Menschen, die dem eine Chance geben wollen. Von den Berufs- und Interessensgruppen ist es jedoch bunt gemischt. In meinen Veranstaltungen frage ich manchmal ein paar Berufsgruppen ab, weil ich wissen möchte, was das für Leute sind, die sich das anschauen. Polizisten etwa haben wir noch nie dabei gehabt. Zumindest trauen sie sich nicht, sich zu melden. Sonst war von der Kassiererin an der Wursttheke bis zum Doktor alles dabei.

Euer Verein hält auch Workshops, etwa an Schulen. Kann man Jugendliche in Zeiten von Smartphone und Co noch zum schreiben animieren?

Wir vermitteln, dass Slam und Bühnentexte kein Deutschunterricht sind. Bei den Workshops brechen wir die Konventionen der deutschen Sprache etwas auf. Wenn du es schaffst, dass sich ein Zwölfjähriger, der sonst höchsten "Penis" in der Klasse herumschreit, sich hinsetzt und ein Gedicht schreibt, dann ist das ein Wahnsinn. Auch wenn das Gedicht vielleicht nicht sonderlich großartig ist. Wichtig ist uns auch, die, die immer schon geschrieben haben, dazu zu bringen, die Scheu abzulegen. Wir zeigen ihnen einen Weg, um Gehör zu finden. Gerade bei Jugendlichen entstehen tolle Texte, weil sie sich im Grunde zum ersten Mal mit sich selbst beschäftigen. Man findet darin sehr viel Selbstreflexion, Unverständnis der Politik und der Welt gegenüber. Solche Texte höre ich gern.

Welche Pläne hat "Post Skriptum" in nächster Zeit in Linz?
Wir wollen die U20-Szene mehr stärken. Junge Poeten, die gern schreiben und ein Ventil suchen, sollen die Möglichkeit haben, ihre Werke in eigenen U20-Slams zu präsentieren. Für viele Jugendliche ist selbst die offene Bühne im Solaris eine zu große Hürde. Dort treten oft auch die gestandenen Linzer Poetry Slammer auf und da gibt es bei den Jungen einfach zu viele Hemmungen. Man vermittelt ihnen zwar, dass es beim Poetry Slam keine Beurteilung der Persönlichkeit gibt, sondern nur eine Beurteilung des Gehörten, und dass man sich das nicht zu Herzen nehmen darf. Aber das passiert natürlich trotzdem. Daher ist es uns wichtig, eine Szene von Gleichaltrigen aufzubauen.

Derzeit macht die Linzer Slam-Szene Sommerpause. Die nächsten Poetry Slams gibt es wieder im Herbst. Mehr Infos: www.postskriptum.at

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