"Das ist rechtlich erlaubte Genitalverstümmelung"
Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt fordert Verbot der derzeitigen Praxis, Babys und Kinder "umzuoperieren", damit sie der Norm "Mann" oder "Frau" entsprechen.
"Das ist de facto eine rechtlich erlaubte Genitalverstümmelung", bringt es Salzburgs Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt auf den Punkt. "Das" betrifft die derzeit in Österreich übliche Operation von intersexuell geborenen Kindern. "Das sind Kinder, die mit Anteilen beider Geschlechter oder mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden – und mit einem bis zwei pro 1.000 Neugeborenen sind das gar nicht so wenige."
"Es geht um das Selbstbestimmungsrecht"
"Es geht darum, dass Betroffene selber entscheiden können, ob und wie sie sich operieren lassen wollen. Für eine Brust-OP zum Beispiel muss man ja auch 18 Jahre alt sein – es sei denn es gibt ein Gutachten, das eine psychische Belastung attestiert, dann geht es auch früher. Daran angelehnt könnte man auch das Thema Operation von Intersex-Personen regeln", so die Kinder- und Jugendrechtsexpertin.
Mehr als "männlich" und "weiblich" im Reisepass
Aber auch auf anderer Ebene gebe es viel zu tun. "In Deutschland besteht bei Geburtsurkunde und Reisepass neben "männlich" und "weiblich" auch die Möglichkeit "anders" als Geschlecht anzugeben. "Das finde ich schon ziemlich mutig, und ich würde mir das für Österreich auch wünschen, weil wir damit auch Normalität mit Intersexualität an den Tag legen würden."
"Zwischengeschlechtlichkeit ist keine Krankheit"
Eine wichtige Forderung der österreichischen Kinder- und Jugendanwaltschaften betrifft die Weltgesundheitsorganisation WHO. Denn in ihre international anerkannten Klassifikation von Krankheiten und Gesundheitsproblemen wird Intersexualität als "Störung der Geschlechtsidentität" und damit als Krankheit definiert. "Das muss gestrichen werden, denn das bewirkt ja, dass betroffene Babys und Kinder operiert werden. Intersexualität ist aber keine Krankheit und diese Zwangsoperationen – auch noch während der Pubertät, in der Zwischengeschlechtlichkeit oft erst sichtbar werde – führten bei Betroffenen zu Libidoverlust, posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und sogar Suizid. Das widerspreche massiv der Kinderrechtskonvention, wonach das Kindeswohl an erster Stelle stehen müsste und jedes Kind das Recht auf Schutz seiner Identität sowie auf ein Höchstmaß an Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit habe.
Und: Auch bei der Ausbildung, in der Lehre und bei Fortbildungen müsse Intersexualität zum Thema bei medizinischen Gesundheitsberufen werden – auch um Eltern betroffener Kinder aufklären zu können.
Erste Inter-Tagung Österreichs am 8. November in Salzburg
Am 8. November findet in Salzburg die erste österreichische Inter-Tagung statt, bei der die österreichischen Kinder- und Jugendanwaltschaften ein Positionspapier zu diesem noch jungen, weil stark tabuisierten Thema präsentieren wollen.
Infos zur Inter-Tagung
Bei der ersten österreichischen Inter-Tagung zum Intersex-Solidarity-Day am 8. Noevember soll nun erstmals ein Dialog zwischen Intersex-Personen, Medizinern, Hebammen, Angehörigen, Kinderrechtsexperten und Interessierten stattfinden. Infos zum Tagungs- und öffentlichen Rahmenprogramm gibt es hier.
Lesen Sie auch Es gibt mehr als Buben und Mädchen
Mehr über Intersexualität erfahren Sie im Interview mit Gabriele Rothuber.
Einer, der als Kind zwangsoperiert wurde und jetzt als Aktivist für mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz von Intersex-Personen kämpft, ist Alex Jürgen – mehr über Alex, der nicht Mann und nicht Frau ist, hier.
2 Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.